Umstrittene Brücke in Nikosias Niemandsland

Die Aussicht auf eine Öffnung der Ledra-Strasse im Zentrum Nikosias hat Hoffnungen genährt, dass die Stacheldrahtverhaue auf der seit über 30 Jahren geteilten Mittelmeerinsel abgebaut werden könnten. Von Amalia van Gent

Die Aussicht auf eine Öffnung der berühmten Ledra-Strasse im Zentrum der zypriotischen Hauptstadt Nikosia hat vorübergehend Hoffnungen genährt, dass die Stacheldrahtverhaue auf der seit über 30 Jahren geteilten Mittelmeerinsel abgebaut werden könnten. Eine Wiedervereinigung scheint derzeit jedoch keine politische Priorität zu sein. Von Amalia van Gent

UN-Soldaten vor Stacheldrahtzahn am 'Ledra Palace Checkpoint' in Nikosia, Foto: AP
Der Krieg im Jahre 1974, zu dem es nach dem Putsch der damaligen Athener Obristen und der darauffolgenden Invasion der türkischen Armee kam, zementierte die Trennung zwischen Nord- und Südzypern

​​Der militärische Grenzposten im griechischen Teil der zypriotischen Hauptstadt Nikosia ist mit einer martialischen Aufschrift versehen: "Keine Freiheit ohne Blutvergiessen", steht mit riesigen Lettern geschrieben. Und: "Nikosia: Europas letzte, geteilte Hauptstadt".

Eine hohe, undurchdringliche Mauer versperrt den Weg in Richtung des türkischen Nordens. Südlich der Mauer erstreckt sich die Ledra-Strasse. Sie ist dank ihren schicken Läden und Cafés eine beliebte Flaniermeile der Hauptstadt. Der Widerspruch zur Mauer und den sichtbaren Kriegsspuren ist gross.

Eine neue Grenze

Die Ledra-Strasse ist ein Spiegelbild der Geschichte der Mittelmeerinsel. Die griechischzypriotische Eoka-Guerilla führte vor 50 Jahren ihren Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialherrschaft und brachte britische Soldaten um, die sich auf dieser zentralen Strasse Nikosias zwischen den aus beigem Sandstein gebauten Herrschaftshäusern sicher fühlten. In London sprach man damals nicht ohne Grund von der "Mördermeile".

Als die griechischzypriotische Bevölkerungsmehrheit 1958 für eine Vereinigung mit Griechenland eintrat, die türkischzypriotische Minderheit dies jedoch ablehnte, wurden erstmals Stacheldrahtverhaue errichtet, welche die Ledra-Strasse in einen südlichen, griechischen und einen nördlichen, türkischen Teil trennten.

Nach dem Bürgerkrieg 1963 ersetzten Barrikaden den Stacheldraht. Der Krieg im Jahre 1974, zu dem es nach dem Putsch der damaligen Athener Obristen und der darauffolgenden Invasion der türkischen Armee kam, zementierte schliesslich die Trennung. Eine mit Stacheldraht und Sandsäcken versehene sogenannte grüne Linie zieht sich durch die Altstadt Nikosias und durch ganz Zypern.

Zaghafte Versuche zur Öffnung

Im vergangenen Winter beschlossen einige junge Aktivisten beiderseits der Mauer, die Öffnung der Ledra-Strasse zu erzwingen. "Weg mit den Barrieren aus Zypern", lautete ihr Slogan. Ihr Ziel habe darin bestanden, dem Starrsinn der Politiker, der jede Lösung der Zypernfrage verunmögliche, zu trotzen, sagt die griechischzypriotische Aktivistin Valentina Sofokleous.

Im Sog ihrer jugendlichen Begeisterung wurden auch die beiden Bürgermeister sowie Geschäftsleute der geteilten Hauptstadt mitgezogen. Die türkische Seite begann damit, Stacheldraht und Sandsäcke zu entfernen, was die Hoffnung nährte, dass alle Stacheldrahtverhaue aus der geteilten Stadt beseitigt werden könnten.

Warum die Führung der Inseltürken direkt am Niemandsland eine kurze, seltsam anmutende Brücke aus Beton, Metall und Glas bauen liess, ist umstritten. Die türkische Armee, welche die Demarkationslinie kontrolliert, habe keine Touristen hier haben wollen, sagen türkische Oppositionspolitiker. Für die Regierung, die die Öffnung der Ledra-Strass gewünscht habe, sei der Bau der Brücke ein Kompromiss gewesen.

Grenze zwischen dem türkischen und dem grieschichen Teil Zyperns; Foto: Larissa Bender
Eine mit Stacheldraht und Sandsäcken versehene sogenannte grüne Linie zieht sich durch die Altstadt Nikosias und durch ganz Zypern

​​Die Regierung der Inselgriechen nahm die Brücke aber zum Anlass, um von einem illegalen Vorrücken der türkischen Armee über die Demarkationslinie zu sprechen. Die Brücke müsse weg, sagte Zyperns Präsident Tassos Papadopoulos. Sein Amtskollege in der völkerrechtlich nicht anerkannten "Türkischen Republik Nordzypern", Mehmet Ali Talat, wies die Forderung wütend zurück.

Die Arbeiten zur Öffnung der Ledra-Strasse wurden eingestellt. Vom griechischzypriotischen Grenzposten aus blickt man in Richtung Norden auf einen fast tausend Meter breiten Streifen Niemandsland mit verlassenen Ruinen und auf eine nagelneue blaue Brücke, die allerdings nirgendswohin führt.

Erhaltung des Status quo

Die blaue Brücke an der Ledra-Strasse ist ein Symbol für den Zypernkonflikt, der nach der Ablehnung des Annan-Plans durch die Griechischzyprioten weit von einer Lösung entfernt ist. Unter dem Motto "Territorien gegen politische Kompetenzen" sah der Annan-Plan vor, dass die türkische Seite einen Teil der seit 1974 von der Armee der Türkei besetzten Territorien an die Inselgriechen zurückgibt.

Die griechisch dominierte Regierung müsste ihrerseits die völkerrechtlich anerkannte Republik Zypern auflösen und mit den Inseltürken die Macht in einem neu zu gründenden und in der EU verankerten Staat teilen. In einem Referendum im April 2004 stimmte die überwältigende Mehrheit der Inseltürken für den Plan. Sie versprachen sich von einer EU-Mitgliedschaft das Ende der Isolation, in welcher der völkerrechtlich nicht anerkannte Nordteil seit 1974 lebt.

Dass die Inselgriechen gemäss dem Plan ihre Republik hätten auflösen, den Grossteil der Kosten für die türkische Invasion tragen und vor allem die Türkei auch in einem künftigen Staat als Ordnungsmacht akzeptieren müssen, schien ihnen ein allzu hoher Preis. Sie verwarfen den Plan.

Seither spricht Nikosia von einer "Politik der kleinen Schritte". Damit ist vor allem die Erhaltung des Status quo gemeint. Präsident Papadopoulos, ein Hardliner, misst der Lösung der Zypernfrage keine Priorität bei. Zudem glaubt er, dass Zypern dank der EU-Mitgliedschaft stark genug sei, um der Türkei trotzen zu können.

Auch die Türkei hat es mittlerweile nicht mehr eilig, eine Lösung zu finden. Ankara ist hauptsächlich darauf bedacht, dass Zypern auf dem Weg der Türkei in die EU nicht zu einem Hindernis wird. Zu einem solchen drohte die Insel Ende Januar jedoch zu werden. Damals erklärte die türkische Regierung, dass sie ihre See- und Flughäfen für zypriotische Schiffe und Flugzeuge nicht öffnen werde.

Zypern ist EU-Mitglied, und zur Öffnung ist der EU-Kandidat Türkei verpflichtet. Ankara werde dieser Verpflichtung nicht nachkommen, solange die EU den direkten Handel mit dem türkischen Nordteil der Insel nicht aufnehme, sagte der türkische Aussenminister Abdullah Gül.

Byzantinische Diplomatie

Die Aufnahme direkter Handelsbeziehungen mit dem Norden will Nikosia aber verhindern, befürchtet es doch, dies könnte der erste Schritt zu einer völkerrechtlichen Anerkennung des türkischzypriotischen Staatsgebildes sein. Die Regierung Papadopoulos sprach von einer "Taiwanisierung Nordzyperns" und drohte, die für diesen Frühling vorgesehene Aufnahme der EU-Beitritts-Verhandlungen mit der Türkei mit einem Veto zu blockieren.

Grenze zwischen dem türkischen und dem grieschichen Teil Zyperns; Foto: Larissa Bender
Touristen erhalten formlos ein Visum zur Einreise in den türkischen Teil der Insel

​​Ende Februar hat die EU eine Finanzhilfe in der Höhe von 139 Millionen Euro für den armen türkischen Norden bereitgestellt. Die Frage der Aufnahme direkter Handelsbeziehungen wurde stillschweigend beiseite geschoben. Die Türkei hat auf diesen Beschluss erstaunlich ruhig reagiert. Stillschweigend vom Tisch war auch die Drohung Zyperns, ein Veto einzulegen.

In den Räumen der linksliberalen griechischzypriotischen Tageszeitung "Politis" ist dieser Tage die Rede von einem anatolischen Kuhhandel und einem "Meisterstück byzantinischer Diplomatie". "Politis" gilt als Sprachrohr jener Inselgriechen (es sind 25 Prozent), die vor zwei Jahren für den Annan-Plan und damit für die Wiedervereinigung ihrer geteilten Heimat gestimmt hatten. Sie sind heute völlig demoralisiert.

Pläne zur Demilitarisierung

Die Aussicht auf einen EU-Beitritt gemeinsam mit dem Süden der Insel hatte im Norden 2004 eine solche Dynamik entwickelt, dass völlig unerwartet der langjährige Herrscher Rauf Denktasch vom Sockel gestürzt wurde. Einer der überzeugten Befürworter der Wiedervereinigung Zyperns ist Mustafa Akinci, Vorsitzender der kleinen, in Intellektuellenkreisen aber einflussreichen Friedens- und Demokratiebewegung.

Er sehe keinen Grund für Optimismus, sagt er im Gespräch demoralisiert. Vierzehn Jahre lang war Akinci in den schwierigen Jahren nach der türkischen Invasion Bürgermeister im türkischen Nordteil Nikosias.

Beflügelt von der Vision einer Wiedervereinigung, arbeiteten er und sein griechischzypriotischer Amtskollege Lelos Dimitriadis einen Plan aus, der auch die Öffnung der Ledra-Strasse vorsah. Sie wurde damals beidseits der Demarkationslinie zu einer Fussgängerzone ausgebaut. "Wir wollten das Herz der vereinten Altstadt Nikosias zu einem autofreien, lebenswerten und Europa-komformen Zentrum machen."

Seit die blaue Brücke der Realisierung dieses Traums im Wege steht, schlägt Akinci eine Demilitarisierung der Altstadt vor. Und schon haben Jugendliche eine Kampagne für ein demilitarisiertes Nikosia lanciert. Ob sie wie im Jahre 2004 auch diesmal grössere Teile der Bevölkerung mitreissen können, bleibt dahin gestellt.

Amalia van Gent

© Neue Zürcher Zeitung, 15.03.2006

Qantara.de

Kommentar
Zypern-Türken müssen draußen bleiben
Die Zyperngriechen stimmen gegen die Wiedervereinigung, dürfen aber der EU beitreten - der Ausgang der Referenden wirft nicht nur einen dunklen Schatten über Zyperns EU-Beitritt, er ist auch ein Desaster für die europäische Außenpolitik, meint Rainer Sollich in seinem Kommentar.

EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
Erdogans hürdenreicher Weg in die Europäische Union
Die türkische Führung muss während der kommenden Verhandlungen beweisen, dass sie in der Lage ist, die vielen Hindernisse für den EU-Beitritt zu beseitigen: Angefangen bei der Zypern- und der Armenierfrage, bis hin zur Garantie demokratischer Grundrechte. Ömer Erzeren fasst die Knackpunkte zusammen.

EU-Skeptiker in der Türkei
Sorgen wegen Ausverkaufs nationaler Interessen
Über Parteigrenzen hinweg wächst in der türkischen Bevölkerung die Sorge, die Türkei könne mit einem Beitritt in die EU ihre Eigenstaatlichkeit verlieren. Susanne Güsten aus Istanbul mit Einzelheiten