Übersetzungen als Zerrbilder des Westens?

Hinter der Auswahl übersetzter arabischer Schriften wittern manche Schriftsteller in der islamischen Welt eine Verschwörung des Westens. Samir Grees beschreibt, weshalb derartige Wahrnehmungen verfehlt sind.

In der islamischen Welt wittern manche Schriftsteller hinter der Auswahl übersetzter arabischer Schriften eine Verschwörung des Westens. Klischees vom Orient der Phantasien und 1001 Nacht würden dadurch bedient. Samir Grees beschreibt, weshalb solche Wahrnehmungen verfehlt sind.

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Feindbild westliche Literaturübersetzungen

​​Nur selten erfolgt die Auswahl der Texte zur Übersetzung aus dem Arabischen oder ins Arabische im Rahmen eines umfassenderen Konzepts. Was übersetzt wird, bleibt zumeist dem Zufall oder dem Geschmack des Übersetzers überlassen. Auf der anderen Seite sind da die Anforderungen des Marktes, die die Auswahl beeinflussen. Das gilt zum einen für Übersetzungen aus dem Arabischen, aber auch für die ins Arabische.

Doch da es zumeist Ausländer sind, die arabische Literatur in andere Sprachen übertragen, betrachtet man sie oft mit Argwohn und Zweifel. Häufig hält man ihnen vor, sie wollten nur Negatives präsentieren. Ihre Auswahl diene der Bestätigung von westlichen Vorurteilen, die man teilweise als rassistisch bezeichnen könne.

Orientalischer Okkultismus und Aberglaube?

Ein Beispiel: Als Nagi Naguib, viele Jahre bevor der Romancier Nagib Mahfuz den Nobelpreis erhielt, dessen Roman "Hausboot am Nil" oder Yahya Haqqis "Die Öllampe der Umm Hashim" übersetzte, wurde er zu Recht gefeiert. Denn er hatte zwei der besten Werke arabischer Literatur ausgewählt und dem deutschen Leser zugänglich gemacht hatte.

Hätte ein deutscher Übersetzer die selben Werke ausgewählt, hätten viele seine Wahl in Zweifel gezogen und ihm unterstellt, er habe mit Yahya Haqqis Roman nur orientalischen Okkultismus und Aberglauben beweisen wollen. Das "Hausboot am Nil" habe lediglich dazu gedient, seine deutschen Leser mit Geschichten von Haschbrüdern zu unterhalten.

Vor kurzem erschien endlich in deutscher Sprache der erste Teil der „Salzstädte“, jenes berühmten Romans von Abdarrahman Munif. Doch vielleicht fragen sich manche Araber, warum dieser Roman ausgerechnet jetzt, zwanzig Jahre nach seinem Erscheinen, übersetzt wird. Vielleicht wolle man ja damit eine simplifizierte Geschichte Saudi-Arabiens vor der Entdeckung des Erdöls präsentieren, um die Mentalität derjenigen zu verstehen, die die Türme in New York in die Luft gejagt haben.

Würde man sich auf diese willkürlichen Anschuldigungen einlassen, müssten man bald die wichtigsten Werke der modernen arabischen Literatur verteidigen. Man habe den Arabern die Übersetzung der Werke Nagib Mahfuz aufgezwungen, nachdem er den Nobel-Preis bekommen hatte, hörte ich von einem ägyptischen Schriftsteller.

Die "Verschwörung" der westlichen Verlage

Mohamed Shukri sei übersetzt worden, weil er vulgär ist und die arabische Welt bloßstellt. Edwar al-Kharrat, weil er christlicher Kopte ist und der Westen immer Partei ergreife für die Minderheiten in der arabischen Welt. Ibrahim al-Koni, weil er über die Wüste und die Touareg schreibt und damit beweist, dass die Araber Kameltreiber sind. Und schließlich Miral al-Tahawi, weil sie über die unterdrückte Frau schreibt, so wie der Westen es gern sehen würde. Das alles sind nur Beispiele für das, was ich von Schriftstellern und Intellektuellen gehört habe.

Die Auswahl der übersetzten Werke ist also fragwürdig. Es gibt natürlich Übersetzer, die arabische Vorbehalte bestätigen, aber dabei vergisst man die vielen anderen, die wichtige literarische Werke in andere Sprachen übertragen. Menschen, die dies mit viel Liebe und Geschick tun und nicht gerade fürstlich dafür bezahlt werden.

Und weil dieses Verschwörungsdenken ebenso in der Politik wie auch in der Kultur existiert, neigt man dazu, alles Mögliche auch ohne Beweis zu glauben, solange es nur ins eigene Denken passt. Ein Beispiel: In einem kürzlich veröffentlichten Sammelband, der aus einer Tagung zu Problemen der Übersetzung im Jahr 2000 in Kairo hervorgegangen ist, spricht der ägyptische Schriftsteller Muhammad Gibril von einer "Verschwörung gegenüber der arabischen Kultur".

Er belegt dies damit, dass der Verlag, der die Bücher von Nagib Mahfuz herausgebracht hat, bekanntermaßen araberfeindlich sei. Da sei es nur logisch, dass der Verlag Übersetzer beauftragt hätte, die bis dahin nur Im- und Exportbriefe übersetzt hätten. So zumindest habe er es von einem befreundeten Germanisten gehört.

Ich weiß nicht, wie sie zu dieser Behauptung gelangt sind, aber der Schweizer Unionsverlag ist sehr angesehen, und die Übersetzerin, die Arabistin Doris Kilias, hat bis heute mehr als zwanzig Romane wichtiger arabischer Schriftsteller übersetzt.

Orientalisten als arabische Mentalitätenforscher

Doch damit nicht genug: Gibril meint, die Übersetzungen seien so schlecht, dass sich deutsche Intellektuelle nun fragten, wie Mahfuz den Nobelpreis bekommen konnte. Wenn dem so ist, wie kommt es dann, dass Nagib Mahfuz der einzige arabische Schriftsteller ist, der mehr als eine Million Exemplare seiner Bücher in deutscher Sprache verkauft hat?

Die Übersetzungen können also nicht so schlecht sein, wie er uns glauben machen möchte. Gibril zitiert auch Yusuf al-Sharuni, der sagt: Die Orientalisten interessieren sich nicht für unsere Literatur als Kunst sondern nur für das, was man durch sie über die Mentalität der arabischen Gesellschaft und ihre Stärken und Schwächen erfahren kann. Daran ist sicherlich einiges richtig, aber leider gilt das allgemein für Übersetzungen, nicht nur aus dem Arabischen.

Feindbild ausländischer Übersetzer

Gibril wirft dem ausländischen Übersetzer vor, er suche sich das aus, was ihm passe, den Orient der Phantasien und 1001 Nacht. Noch einmal: Das stimmt vielleicht in vielen Fällen, aber ist das wirklich das einzige Auswahlkriterium?

Schauen wir uns an, was aus der arabischen Literatur ins Deutsche übersetzt worden ist, finden wir berühmte Namen wie Taha Husain, Yusuf Idris, Hanna Mina, Zakaria Tamir, Tayyib Salih, Ghassan Kanafani, Emile Habibi, Sahar Khalifa, Mahmud Darwish, Salah Abd as-Sabbur, Adonis, Elias Khoury, Ibrahim Aslan, Bahaa Tahir oder Sonallah Ibrahim. Beschreiben sie alle den Orient der Phantasien? Dann wäre die gesamte arabische Literatur phantastisch, exotisch und nur für folkloristischen Export, nicht aber für kulturellen Austausch geeignet.

Trotz allem: Angenommen, der Markt würde den Übersetzern seine Bedingungen aufzwingen. Angenommen, der Geschmack des Übersetzers und sein Wunsch nach Berühmtheit würden dafür sorgen, nur die "exotischen" Werke auszuwählen. Was tun?

Mangelnde Eigeninitiative

Warum übernimmt nicht die Arabische Liga, so wie es Mahfuz schon seit Jahren vorschlägt, die Übersetzung wertvoller literarischer Werke? Warum beauftragt man nicht selbst Übersetzer, von deren Fähigkeiten und Ehrenhaftigkeit man überzeugt ist? Warum wendet sich die arabische Seite nicht an ausländische Verlage und unterstützt sie materiell bei Werken, die arabischer Meinung nach übersetzenswert sind? Kurz gesagt: Welche Rolle spielen die Araber selbst bei der Übersetzung ihrer Literatur in andere Sprachen?

Diese Fragen stehen in engem Zusammenhang mit der Frankfurter Buchmesse 2004, auf der die arabische Welt ja Gastregion sein wird. Das könnte die Gelegenheit für die arabische Welt sein. Wie steht es mit den arabischen Vorbereitungen, um diese Gelegenheit zu nutzen? Haben arabische Verleger und die arabische Organisation für Erziehung, Kultur und Wissenschaft (ALECSO), die ja der offizielle Gast sein wird, ernsthafte Vorbereitungen getroffen, um die arabische Kultur angemessen zu präsentieren? Oder vergeudet man die Gelegenheit, auf die man so lange gewartet hat? (Leider „verdanken“ wir sie nur den Ereignissen vom 11. September.)

Konzeptionslosigkeit vor der Frankfurter Buchmesse

Vor einigen Wochen nahmen Verantwortliche der Frankfurter Buchmesse und des Goethe-Instituts an der Beiruter Buchmesse teil, wo sie arabische Verleger trafen. Sie gewannen den Eindruck, dass die arabische Seite noch keine konkreten Pläne und keine festen Programmpunkte für Frankfurt habe, so Holger Ehling, der Sprecher der Frankfurter Buchmesse.

Elisabeth Pyroth vom Goethe-Institut Kairo bestätigte diesen Eindruck und befürchtet ein Desaster im Oktober 2004, denn bisher gebe es nur überstürzte, hektische Ansätze ohne Koordination zwischen den arabischen Staaten. So als wäre die Einladung der arabischen Welt auf die Frankfurter Buchmesse nicht schon seit mehr als einem Jahr bekannt.

Es bleibt keine Zeit mehr, die wenigen deutschen Übersetzer arabischer Literatur zu beauftragen, eine Reihe repräsentativer Werke arabischer Literatur ins Deutsche zu übersetzen. Aber es ist noch Zeit dafür, ein gutes kulturelles Rahmenprogramm vorzubereiten. Man sollte also anlässlich der Buchmesse auf arabischer Seite noch einmal darüber nachdenken, wie man selbst arabische Literatur in anderen Sprachen präsentieren will, statt sich in Verschwörungstheorien zu ergehen.

Samir Grees, © Qantara.de 2003

Publiziert in "Al-Hayat", vom 4. Dezember 2003

Übersetzung aus dem Arabischen von Michaela Kleinhaus