Dialog durch Taten - wichtiger denn je

Im Libanon bestimmt die Religion die Identität. Eine soziale Hilfsorganisation überwindet die scharfgezogenen Demarkationslinien des Glaubens.

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​​Nach dem Sieg des Basketballvereins Hikme (Weisheit) gegen Riyadhi (Sportlich) bildet sich ein Autokorso und fährt gen Westen. Der Osten, sind hier Christen, der Westen Muslime. Was passiert, hat nichts mit Weisheit oder Sportsgeist zu tun. Sport ist eben ehrlicher als die Reden der Politiker. Einige Fans haben sich Kreuze ins Gesicht gemalt und singen Songs mit eindeutigen Texten, demgegenüber vergeht keine Rede offizieller Repräsentanten, die nicht das gelungene Miteinander der Religionen im Libanon gebetsmühlenartig beschwört.

Anders Le Mouvement Social, jenseits der grossen Politik will diese Organisation ein Ort sein, wo ohne Rücksicht auf Politik und Religion gemeinsam für die Gesellschaft gearbeitet wird. "Wir arbeiten in Projekten für unterschiedliche marginalisierten Gruppen im Libanon", erläutert Roula Yazbek vom Mouvement Social. Mit Schulabbrechern, Analphabeten, in Gefängnissen und in Frauengruppen arbeiten knapp 200 Freiwillige im ganzen Land verstreut in der 1961 von einem Bischof gegründeten Organisation. "Nein, er ist Bischof und trotzdem ein wirklich nicht konfessionell denkender Mensch", sagt Roula lachend auf die Frage nach dieser ungewöhnlichen Mischung. Sonst sorgen sich die geistlichen Oberhäupter vor allem um die eigenen Schäfchen. Dies ist anders bei Bischof Gregor Haddad, er ging von den Missständen in der Gesellschaft aus und wollte gemeinsam für die Gesellschaft arbeiten.

Als Roula vor drei Jahren anfing, in der Organisation zu arbeiten, wusste sie, dass sie mit und auch für die "andere" Seite arbeiten würde. Mittlerweile ist sie vollkommen überzeugt, dass es der richtige Weg für den Libanon ist. "Ich habe genug von den Reden der Politiker, ich will Taten sehen." Die 31-jährige Christin arbeitet mit und für alle Konfessionen. "Die Begegnung mit dem anderen und das Achten des Gegenübers sind die wichtigsten Ziele der Arbeit", so Roula. "Wir reden nicht gezielt über unsere Differenzen, sondern kommen immer wieder durch die Arbeit darauf zu sprechen" sagt sie - ein Dialog durch Taten.

Früher gab es Berührungspunkte in den konfessionell gemischten Wohnvierteln. Durch den Krieg leben heute in Beirut nur fünf Prozent der "anderen" Seite auf der "eigenen" Seite. Über 40 Prozent waren es früher. Ein Teufelskreis, Jobs werden nach konfessionellen Gesichtspunkten vergeben. Gewählt wird nach Religionsgemeinschaften. Wo immer man im Libanon ist, fühlt man sich durch seine Konfession bestimmt.

Selbst Schulen sind selten gemischt. "Wir sind eine fast ausschliesslich muslimische Schule geworden" so klagt der Direktor der in West-Beirut gelegenen griechisch-katholischen Patriarchatsschule Saba. "Trotz aller Bemühungen kommen die Christen aus dem Osten nicht in unsere Schule", so Bruder Michel Saba. Mit dem Bürgerkrieg ging das Miteinander in dieser Schule endgültig zu Ende. Heute legt kein Christ den einen Kilometer Luftlinie über die Grünen Grenze zurück, um die Schulbank mit Muslimen zu drücken. Die Arbeit für die Begegnung ist somit wichtiger denn je.

Von Bernhard Hillenkamp für Qantara.de

B. Hillenkamp ist Islamwissenschaftler und Journalist. Er lebt und arbeitet in Beirut.

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