Die Grande Dame der arabischen Musik wird 85

Musikalische Ikone zwischen Orient und Okzident: Fairuz eroberte die Bühnen dieser Welt - in Kairo, Rabat und Amman ebenso wie in New York, London, Paris oder Athen. Mehr als 1500 Lieder soll sie aufgenommen, über 80 Alben veröffentlicht haben. In mindestens 20 Musicals war sie der Star.
Musikalische Ikone zwischen Orient und Okzident: Fairuz eroberte die Bühnen dieser Welt - in Kairo, Rabat und Amman ebenso wie in New York, London, Paris oder Athen. Mehr als 1500 Lieder soll sie aufgenommen, über 80 Alben veröffentlicht haben. In mindestens 20 Musicals war sie der Star.

"Mutter der libanesischen Nation" wird sie genannt und "Harfe des Orients": Fairuz ist in der arabischen Welt eine Ikone. Jetzt feiert sie ihren 85. Von Suzanne Cords

Von Suzanne Cords

Auf der Bühne steht sie schon seit ein paar Jahren nicht mehr, das letzte Album kam 2017 heraus - und doch ist Fairuz allgegenwärtig. Ob in Beirut, Bagdad, Dubai oder Rabat: Wer morgens das Radio andreht, hört mit Sicherheit ihre vertraute Stimme.

Denn seit Jahrzehnten gehören die Lieder der Libanesin zum täglichen Repertoire arabischsprachiger Sender - so, wie es einer Ikone würdig ist. Und eine solche ist sie, sagt der marokkanische Musikethnologe Mohcine Ait Ramdan im Gespräch mit der DW: "Fairuz ist einer der Grundpfeiler der arabischen Musik, der arabischen Kultur überhaupt. Auch für die junge Generation ist sie immer noch eine Schlüsselfigur." Das sehe man auch daran, dass ihre Lieder immer wieder in Talentsshows wie "Voice Arab" interpretiert würden.

Ein Orden für eine starke Frau

 Mit ihren eingängigen melancholischen Liedern über Liebe, Sehnsucht, Frieden und Heimatverbundenheit hat sich Fairuz über Jahrzehnte hinweg in die Herzen von Millionen von Araberinnen und Arabern gesungen. Ihre Alben gehören bis heute zu den meistverkauften der arabischen Welt.

 

 

Mit 78 Jahren wurde Fairuz offiziell zur "Botschafterin der arabischen Kultur" ernannt. Den blumigen Titel "Harfe des Orients" sowie "Mutter der libanesischen Nation" hatte sie da längst inne. 

Ihr Ruhm ist so groß, dass selbst der französische Präsident Emanuel Macron ihr letztens seine Aufwartung im Beiruter Vorort Rabieh machte. Als er einen Monat nach der verheerenden Explosion in Beirut auf Staatsbesuch im Libanon war, verlieh er ihr den französischen Verdienstorden der Ehrenlegion, die einst von Napoleon ausgelobte ranghöchste Auszeichnung seines Landes - und blieb danach zum Abendessen.

"Fairuz", sagte er nach dem Treffen, "gibt uns Hoffnung." Sie sei das Symbol eines Landes, das den Schmerz und den Ruhm kenne - "wunderschön und sehr stark". Die so Geehrte ließ ihre Fans auf Twitter an dem Treffen teilhaben.

 

الرابية ٣١ آب ٢٠٢٠

© Soazig de la Moissonniere / Présidence de la République pic.twitter.com/4TgGmKmrNY

— Fayrouz (@FayrouzOfficial) September 1, 2020

 

Aufstieg in den Gesangsolymp

 Fairuz kam als Nouhad Haddad am 21. November 1935 zur Welt - laut anderen Quellen vielleicht auch schon am 20. November 1934; die auf der Bühne so stimmgewaltige, aber im Privaten sehr schweigsame Sängerin hat sich selbst nie dazu geäußert.

Zusammen mit ihren drei Geschwistern wuchs sie in der Beiruter Altstadt auf. Im Sommer besuchte sie ihre Großmutter, die in einem kleinen Dorf in den Bergen lebte. Später sollte sie dank dieser Kindheitserfahrungen das dörfliche und das elitär-großstädtische Libanon gleichermaßen verkörpern.

Als Teenager sang sie erstmals Ende der 1940er Jahre im Radio, damals noch im Chor. Mit dem Lied "Itab" wurde sie 1952 über Nacht berühmt, und doch sollte es bis 1957 dauern, bis sie beim Baalbeck International Festival erstmals live auf einer Bühne stand - und vom damaligen libanesischen Präsidenten Camille Chamoun prompt mit dem renommierten Künstlerpreis "Cavalier" ausgezeichnet wurde.

An diesem Tag katapultierte sich Fairuz, deren Künstlername auf Arabisch "türkis" bedeutet, endgültig in den Olymp der arabischen Gesangsikonen. Und das nicht nur wegen ihrer einzigartigen Stimme, wie die Musikwissenschaftlerin und Sängerin Dorsaf Hamdani einmal gegenüber dem Deutschlandfunk erklärte."Fairuz hat eine Revolution angeführt, eine, die den ästhetischen Code von Musik veränderte. Und zusammen mit den Leuten um sie herum veränderte Fairuz die arabische Kultur."

"Der Gesang ist das Geheimnis jeder Existenz"

 Die Leute um sie herum, das waren vor allem Mansour und Assi Rahbani, letzteren heiratete Fairouz im Jahr 1954. Die Brüder etablierten im politisch wie wirtschaftlich relativ stabilen Libanon der 1960er Jahre einen neuen Musikstil, der nach dem Untergang des Osmanischen Reiches und der Auflösung des französischen Mandats wesentlich zur Identitätsstiftung des noch jungen Staates beitrug.

 

 

Wo vorher Volkslied und klassische arabische Musik noch streng getrennt waren, interpretierten sie in ihrem Kompositionen Folklore plötzlich auf klassizistische Weise und vertonten Gedichte berühmter Philosophen wie die ihres Landsmannes Khalil Gibran.

Und wenn Fairuz dann mit gefühlvoller Stimme die Zeilen "Der Gesang ist das Geheimnis jeder Existenz" anstimmte, sang sie sich direkt in die Herzen ihrer Zuhörer. "Ihre Lieder sprachen nicht nur Libanesen an, sondern sie sprachen die ganze arabische Welt an, weil sie sehr abstrakt sind", sagt Musikethnologe Mohcine Ait Ramdan.

Politisch immer neutral 

Das Geheimnis ihres Erfolgs im ganzen arabischen Raum erklärt er sich auch damit, dass Fairuz sich vor keinen politischen Karren spannen ließ, auch nicht in Krisenzeiten wie dem Libanesischen Bürgerkrieg (1975-1990).

"In ihrem Gesang hat Gewalt keinen Platz. Sie singt für den Frieden, für die Unbeschwertheit. Sie hält sich fern von jeglicher politischer oder religiöser Färbung ihrer Musik. Das macht sie zu einer sehr neutralen Figur in der ganzen arabischen Welt, die eben über Jahrzehnte eine starke Präsenz hat."

In Syrien hört man ihre Lieder sowohl im Radio, das von der Assad-Regierung kontrolliert wird, als auch in den oppositionellen Medien. Man habe ihr nicht mal übel genommen, dass sie ein Lied für Jerusalem gesungen habe, erzählt Ramdan.

Und auch dass sie Christin sei, war in der muslimischen Welt nie ein Thema. "Mir ist es gar nicht bewusst gewesen. Ich glaube, die meisten wissen es wahrscheinlich gar nicht."

 

 

Auftritte rund um den Globus 

 Fairuz eroberte die Bühnen dieser Welt - in Kairo, Rabat und Amman ebenso wie in New York, London, Paris oder Athen. Mehr als 1500 Lieder soll sie aufgenommen, über 80 Alben veröffentlicht haben. In mindestens 20 Musicals war sie der Star.

Anfang dieses Jahrzehnts erfand sie sich noch mal neu und brachte mit "Eh Fi Amal" eine jazzige Platte heraus, die unter der Ägide ihres Sohns Ziad entstand. 2017 folgte dann mit "Bebalee" ein Überraschungscoup: Fairuz covert unter anderem Songs des französischen Chansonniers Gilbert Bécaud und singt sogar eine arabische Version von John Jennons Welt-Hit "Imagine".

"Diese letzten Alben waren sehr zeitgemäß, gerade Musiker der alten Zeiten schaffen es normalerweise nicht, noch mal so eine Bogen zu schlagen", findet der Musikethnologe Ramdan. Bei der jungen Generation brachte ihr das viel Respekt ein, Altere schüttelten hingegen mit dem Kopf: "Fairuz ist eine große Sängerin", schrieb Abdo Wazen, Leiter des Feuilletons der pan-arabischen Tageszeitung "Al Hayat". "Aber ich glaube, manche Fans stellen die Frage, ob es wirklich nötig war, dass Fairuz in ihren letzten Jahren noch Neues singt."

Fairuz kann die Kritik egal sein, ihr Legendenstatus ist unumstößlich. Wenn sie heute ihren 85. Geburtstag feiert, wird die Mutter der Nation coronabedingt wohl nicht so ausgiebig im ganzen Land gefeiert wie in anderen Jahren, aber ein warmes "Tahanina" von ihren Landsleuten wird ihr gewiss sein. Das heißt "Herzlichen Glückwunsch" - und der kommt auch von uns.

Suzanne Cords

© Deutsche Welle 2020