Hoffnung für "die Unsichtbaren" der Gesellschaft

Von den knapp drei Millionen Migranten in Spanien leben viele ohne Arbeits- oder Aufenthaltsgenehmigung. Mit einem neuen Programm zur Legalisierung von Einwanderern will die Regierung das Problem nun in den Griff bekommen.

Von den knapp drei Millionen Migranten in Spanien leben viele immer noch ohne Arbeits- oder Aufenthaltsgenehmigung. Die Regierung Zapatero will dieses Problem nun in den Griff bekommen und hat ein neues Programm zur Legalisierung von Einwanderern gestartet. Gina Pellarini berichtet aus Barcelona.

Foto: AP
Banges Warten - zur Beglaubigung von Urkunden für die erhoffte Legalisierung harren viele Einwanderer vor dem marrokanischen Konsulat in Valencia aus.

​​Die Zahl der Einwanderer in Spanien hat sich in weniger als fünf Jahren auf fast drei Millionen verdreifacht. Heute stellen sie etwa sieben Prozent der Gesamtbevölkerung. Sie kommen aus Nordafrika, Südamerika oder auch aus den ehemaligen Ostblockstaaten. Sie sind auf der Suche nach einer Arbeit, einem besseren Leben.

Doch rund die Hälfte der Einwanderer lebt illegal im Land. Sie werden "sin papeles", "Papierlose" oder "die Unsichtbaren" genannt. Sie besitzen weder eine Aufenthaltsgenehmigung noch eine Arbeitserlaubnis.

Die sozialistische Regierung will jetzt das Ausländergesetz reformieren. Ab Anfang Februar hat sie eine dreimonatige außerordentliche Legalisierungsphase initiiert, die Anfang Mai enden soll. Die Regierung verfolgt dabei insbesondere ein Ziel: Die Bekämpfung der Schattenwirtschaft.

Die Immigranten machen sich von dem Programm große Hoffnungen, dass sie aus ihrer Illegalität heraus endlich eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis erhalten können. Doch die Bürokratie legt ihnen viele Steine in den Weg.

Hohe Hürden für "illegale" Einwanderer

Mohammed Cherkawis' Leben änderte sich radikal vor genau eineinhalb Jahren. Der Marokkaner gelangte unbemerkt auf ein Passagierschiff, das von Tanger ins südspanische Algeciras fuhr.

Der 21-jährige hatte nur die Kleidung, die er am Leib trug und ein bisschen Geld für ein Busticket. Die Reise sollte im 1000 Kilometer entfernten Barcelona enden. Dort lebt er bis heute bei seinem Onkel und seiner Tante.

Der ehemalige Mathematikstudent gehört zu den schätzungsweise mehr als einer Million illegal im Land lebenden Einwanderern. Sie arbeiten auf dem Bau, in der Landwirtschaft, im Hotel- und Gastronomiegewerbe und in Privathäusern. Sie verrichten Arbeiten, die die Spanier nicht machen wollen, weil sie zu mühsam ist oder schlecht bezahlt sind.

Mohammed Cherkawi versucht jetzt seinen Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Denn seit Anfang Februar hat die sozialistische Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero eine dreimonatige Legalisierungsphase für illegale Einwanderer initiiert.

Doch die Hürden, um den Aufenthaltsstatus zu legalisieren, sind hoch. "Man braucht eine Meldebestätigung, aus der hervorgeht, dass man mindestens seit sechs Monaten hier lebt, man benötigt ein polizeiliches Führungszeugnis und einen Arbeitsvertrag", weiß Mohammed Cherkawi.

Tausend Euro schwarz auf die Hand

Er selbst und die große Mehrheit seiner Freunde und Bekannte aus Marokko können diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Das erste große Problem fange schon bei der Meldebescheinigung an.

"Ich habe viele Freunde, die nur für ein paar Wochen oder Monate ein Bett oder ein Zimmer für 100 oder 200 Euro anmieten", erzählt der junge Marokkaner. Die Vermieter würden diesen Einwanderern nicht die Erlaubnis geben, sich unter ihrer Adresse anzumelden. Dabei leben und arbeiten sie zum Teil schon mehr als drei Jahre in Spanien.

Das zweite große Problem sei der Arbeitsvertrag. Mohammed Cherkawi hat seit seiner Ankunft nur schwarz gearbeitet und zwar als Zeitungsausträger oder auf dem Bau, als Hilfsarbeiter.

Er musste Zementsäcke schleppen. Die Arbeit, sagt er, sei gut bezahlt gewesen. Er bekam monatlich 1000 Euro schwarz auf die Hand. Aber seine Arbeitgeber wollen ihm bis heute keinen Arbeitsvertrag geben.

Deswegen meint Mohammed, die Legalisierungsphase sei ungerecht: "Viele haben nur eine Meldebestätigung, aber keinen Arbeitsvertrag. Andere wiederum haben einen Arbeitsvertrag, aber keine Meldebestätigung".

Mohammed braucht einen Arbeitsvertrag, der mindestens auf sechs Monate befristet ist, um seinen Antrag auf Legalisierung bei den Behörden stellen zu können.

NGO kritisieren Zuwanderungspolitik

Obwohl die Regierung diesen Legalisierungsprozess letztes Jahr vor In-Kraft-Treten am 7. Februar 2005 mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden abgestimmt hatte, gibt es viele Menschenrechtsorganisationen, die an dieser Zuwanderungspolitik Kritik üben.

So zum Beispiel die Organisation SOS Racisme, die ihren Sitz in der Altstadt von Barcelona hat. Hier ginge es nur um eine kurzfristige Lösung in der Zuwanderungsproblematik, meint Begoña Sánchez, Pressesprecherin von SOS Racisme. "Die Legalisierungsphase ist schon vom Ansatz her falsch", bemängelt sie.

Die Regierung wolle primär die Schattenwirtschaft bekämpfen, dabei müsse es in erster Linie um soziale Gerechtigkeit gehen, so SOS Racisme. Die illegalen Einwanderer seien in der spanischen Gesellschaft Unsichtbare, Menschen zweiter Klasse, die ausgebeutet würden und schutzlos seien.

Die "Papiere haben", so nennen die Einwanderer ihr großes Ziel, d.h. die Regelung ihre Aufenthaltsstatus. Das bedeutet vor allen Dingen, endlich wieder ins Heimatland reisen und Familienangehörige besuchen zu können. Wiederum andere denken daran, ihre Familienangehörige nach Spanien zu holen, wenn sie selbst ihren Aufenthalt legalisieren konnten.

Für Mohammed Cherkawi bedeutet die Legalisierung insbesondere das Recht auf Sicherheit. Wenn ihn als "Illegaler" jemand angreife, sagt er, könne er keine Anzeige erstatten. Im Polizeikommissariat würde er entweder wieder nach Hause geschickt oder sogar des Landes verwiesen werden.

Schleppender Legalisierungsprozess

Die Voraussetzungen für die Regelung des Aufenthaltsstatus seien zu restriktiv, meint SOS Racisme und drängt deswegen auf eine Lockerung der Auflagen, damit diese Legalisierung die gewünschten Erfolge bringt.

Das Arbeitsministerium hatte Mitte Januar geschätzt, dass etwa 800.000 "illegale" Einwanderer in dieser Legalisierungsphase ihren Aufenthalt regeln könnten.

Doch bisher sind nur knapp 240.000 Anträge landesweit bei den Behörden
registriert worden. Der Großteil stammt von südamerikanischen Einwanderern, Ecuadorianern und Kolumbianern, gefolgt von Marokkanern, die mit etwa 15 Prozent die zweitgrößte Gruppe der Antragsteller repräsentiert.

Angesichts dieser Entwicklung warnte die Regierung die Arbeitgeber: Wer bis zum 7. Mai, also bis zum Ende der Frist, weiterhin illegale Arbeitskräfte beschäftige, werde mit hohen Geldstrafen rechnen müssen.

Für die Arbeitgeber sei es natürlich viel lukrativer, Immigranten ohne Verträge zu beschäftigen, weiß Mohammed Cherkawi. Er habe auch schon von Freunden gehört, ihre Vorgesetzten würden diese Situation ausnutzen.

Eine ordnungsgemäße Anstellung würde es nur geben, wenn der Einwanderer für den erhofften Arbeitsvertrag 4000 bis 5000 Euro zahle. Und Gewerkschaften berichten von Fällen, in denen "Illegale" kurzerhand entlassen würden.

Doch Mohammed Cherkawi bleibt zuversichtlich. Irgendwann werde er die ersehnten Papiere bekommen. Wenn er jetzt in die Vergangenheit zurück schaut, dann bereut er nichts. Das Durchhalten habe sich gelohnt:

"Immerhin habe ich schon meine Meldebescheinigung", sagt er lächelnd. Und damit er eines Tages eine ordentliche Arbeit bekommt, belegt er einen kostenlosen Weiterbildungskurs für den Hotel- und Gastronomiebereich, den die Gewerkschaft anbietet. "Danach mache ich ein Praktikum. Und dann bekomme ich vielleicht irgendwann einen Vertrag. Irgendwann, da bin ich mir sicher."

Gina Pellarini

© Qantara.de 2005

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