Ein wackelnder Stein im syrischen Mosaik

In Syrien leben die verschiedenen Ethnien und Religionen relativ friedlich zusammen. Doch im so genannten "syrischen Mosaik" sind viele kurdische Syrer Staatenlose im eigenen Land. Manuela Römer informiert.

In Syrien leben die verschiedenen Ethnien und Religionen so friedlich zusammen wie in keinem anderen Land im Nahen Osten. Doch im so genannten "syrischen Mosaik" ist die größte Volksgruppe nach den Arabern benachteiligt: Hoch gerechnet bis zu 300.000 kurdische Syrer leben staatenlos im eigenen Land. Manuela Römer hat sich die Lage der Kurden genauer angeschaut.

Stadteinfahrt von Qamishli; Foto: Wikipedia Commons
Qamishli ist die größte Stadt der syrischen Provinz Hassake und wird mehrheitlich von Kurden bewohnt

​​Im Restaurant des Journalistenclubs in Damaskus nippt Salar Aussi an seinem Weinglas. Der kurdische Autor hat ein Buch über die "Kurden im arabischen Kulturbewusstsein" geschrieben. Gedruckt wurde es im Libanon, denn in Syrien bekam er dazu keine Erlaubnis.

Die Kurden, die in Syrien fast zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, haben nicht die gleichen Rechte wie die anderen Minderheiten im Land, sagt Aussi:

"In Rukne Din, einem Stadtviertel von Damaskus, in dem mehrheitlich Kurden leben, findest Du an der Hauptstraße zum Beispiel die Wohltätigkeitsorganisation der Tscherkessen. Da sollte man annehmen, dass es ebenso einen Verband der Kurden gibt. Aber den gibt es eben nicht. Das ist der Unterschied".

Die heimliche Hauptstadt der Kurden

Aussis Frau Sonja erzählt, wie sie mit kurdischen Freunden in einem Restaurant nahe der berühmten Ummajaden-Moschee saß und der Wirt ihnen verbot, kurdische Lieder zu singen:

"Ich war die einzige Araberin und habe gefragt, warum es verboten ist. Er antwortete: Die Sicherheitsdienste würden es nicht erlauben, dass auf Kurdisch gesungen wird, weil die anderen Gäste im Restaurant uns nicht verstehen könnten. Allerdings waren am Nebentisch Spanier, die auf Spanisch sangen - und das war kein Problem."

Was in der Hauptstadt Schwierigkeiten bereitet, ist in Qamishli Normalität. Bei Hochzeiten, in Restaurants und in Läden entlang der Geschäftsstraßen schallt kurdische Musik. Qamishli, die größte Stadt in der Provinz Hassake, gilt als die heimliche Hauptstadt der Kurden und ist gleichzeitig das Zentrum der syrischen Kurdenproblematik.

Umstrittene Volkszählung

Hintergrund ist eine außerordentliche Volkszählung aus dem Jahr 1962, durch die sich Zehntausende kurdische Syrer von einem Tag auf den anderen als Ausländer wiederfanden.

Mit ihrer Staatsbürgerschaft verloren sie grundlegende Rechte: Sie dürfen nicht wählen, Land und Immobilien oder ein Geschäft kaufen und bekommen keinen Pass, um ins Ausland zu reisen. Sie erhalten nur eine "rote Karte", um sich auszuweisen. Diejenigen, die gar nicht bei den Behörden registriert sind, die so genannten "Maktumin", existieren offiziell gar nicht, sie gelten als illegal.

Doch das Phänomen ist nicht nur auf Kurden begrenzt: Auch Christen leiden unter den Folgen der Volkszählung. Aber ihre Zahl macht mit etwa fünfzig Familien nur einen Bruchteil der Zahl der Kurden aus.

Für viele kurdische Intellektuelle ist der politische Hintergrund des Zensus offensichtlich: In der Hochzeit des arabischen Nationalismus sollte die ethnische Zusammensetzung des Hauptsiedlungsgebiets der Kurden in Syrien durch die Volkszählung zu Gunsten der Araber schön gerechnet werden.

Keine Investitionen in Kurdengebieten?

Viele kurdische Bauern haben die Region inzwischen auf der Suche nach Arbeit verlassen und überleben in Damaskus als Taxifahrer oder Kellner.

"In den kurdischen Gebieten werden keine Fabriken gebaut oder große wirtschaftliche Projekte angeschoben", erklärt Ismail Omr von der verbotenen kurdischen Einheitspartei die Situation. "Ein Beispiel: In der Provinz Deir Al-Zohr wurde eine Papierfabrik errichtet. Dazu braucht es Stroh. Die Provinz, die am meisten Stroh produziert, ist Hassake. Trotzdem wurde sie nicht in unserer Provinz errichtet, damit die kurdischen Gebiete nicht davon profitieren."

Der stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsexperte Abdullah Dardari weist den Vorwurf wirtschaftlicher Diskriminierung zurück:

"Das ist eine grobe Vereinfachung. Wir fragen nicht nach dem ethnischen Hintergrund der Menschen, die von staatlichen Investitionen profitieren. Jetzt haben wir zum Beispiel einen großen Staudamm bei Afrin (im Kurdengebiet nördlich von Aleppo, Anm. d. Redaktion). Und die Papierfabrik: Das war in den 70er Jahren. Damals hat man wegen des Wassers des Tigris den Standort Deir Al-Zohr gewählt. Heute würde man anders entscheiden. Das wissen alle."

Dialog ohne Ergebnisse

Seit 2002 hat der Staat einen Dialog mit den Kurden begonnen und mehrfach zumindest 90.000 Kurden die Staatsangehörigkeit versprochen. Doch geschehen ist bisher nichts. Auch dürfen die Kurden ihre Sprache nicht in privaten Institutionen lernen, wie es anderen Minderheiten, wie den Armeniern, erlaubt ist.

Um ihre Forderungen durchzusetzen, haben sich die Kurden in Parteien organisiert. Diese sind – wie alle Oppositionsparteien – verboten, werden aber vom Staat bis zu einem gewissen Grad geduldet. Die Regierung befürchtet, dass sich die Kurden in einem unabhängigen Staat von Syrien abspalten wollen.

Als Gegenstrategie wurde deshalb schon Anfang der 70er Jahre ein umstrittenes Umsiedlungsprojekt durchgesetzt, bei dem in einem 350 km langen und 15 km breiten Grenzstreifen zur kurdischen Türkei nicht-kurdische Syrer Land bekamen, das zuvor überwiegend Kurden gehörte.

Selbstverwaltung oder Unabhängigkeit?

"Dieses rassistische Projekt des 'arabischen Gürtels' akzeptieren wir nicht. Wir haben das Recht auf unser Land", sagt Ismail Omr und fordert eine Selbstverwaltung für die kurdischen Gebiete in Syrien.

Suad, Tochter des kurdischen Schriftstellers Cegerxwin; Foto: Manuela Römer
"Ich wünsche ich mir einen eigenen Staat für alle Kurden", sagt Suad, Tochter des kurdischen Schriftstellers Cegerxwin

​​Die Tochter des bekannten kurdischen Schriftstellers Cegerxwin, Suad, die aus Qamishli stammt, geht noch weiter: "Wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir einen eigenen Staat für alle Kurden. Aber wenn das nicht geht, dann ist eine föderale Struktur auch in Ordnung."

Mit solchen Forderungen kann der Autor Salar Aussi wenig anfangen. Er hat sich in keiner der rund ein Dutzend Parteien organisiert, denn die "treten sehr konservativ auf", sagt er.

"Sie richten sich nach innen, also nur an die Kurden, nicht an die andere Seite, also die syrischen Araber. Aber die müssen wir doch überzeugen, damit sie unsere Lage verstehen und uns bei der Durchsetzung berechtigter Forderungen zur Seite stehen."

Manuela Römer

© Qantara.de 2007

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