Wenn Musikern Folter und Exil droht

Die Freiheit der Musik steht unter Beschuss. Künstler wie die Iranerin Farzane Zamen und der Ägypter Ramy Essam lassen sich hiervon dennoch nicht beirren – auch wenn ihnen Verbote, Zensur und Gefängnis drohen. Informationen von Cristina Burack

Von Cristina Burack

Ramy Essam (im Titelbild rechts) hat die Ereignisse des 9. März 2011 inzwischen zwar verarbeitet, doch was damals bei seiner Verhaftung durch ägyptische Armeeoffiziere geschah, hat sich ihm für immer ins Gedächtnis eingebrannt: die Schläge mit Prügeln und Metallstäben, die Militärstiefel, die gegen seinen nackten Körper und den Kopf traten, die Stromschläge. Und er erinnert sich, wie seine Folterer ihn bei seinem Namen "Ramy" riefen und dadurch deutlich machten, dass sie genau wussten, wer er war: Der Musiker, dessen Lied "Irhal" oder "Leave" zur Hymne des Tahrir-Platz-Protestes geworden war, jener Proteste, die den langjährigen Präsidenten Hosni Mubarak während der ägyptischen Revolution stürzten.

Für seine politisch kritische Musik übten die ägyptischen Behörden äußerst brutal Vergeltung an Essam. Seit 2014 lebt er im Exil in Schweden. Aber er schweigt auch jetzt noch nicht. Im Jahr 2018, während der ägyptischen Präsidentschaftskampagne, veröffentlichte Essam seine Single "Balaha". Im Arabischen bedeutet das Wort "Dattelfrucht", aber in Ägypten wird es auch oft verwendet, um eine Person auf unschöne Weise zu beschreiben. Das Lied kritisiert die letzten vier Jahre der Regierung und zielte darauf ab, vor der Abstimmung eine Debatte unter den Ägyptern anzuregen, sagte Essam.

Musikrebellen verfolgt als Dissidenten

Nach der Veröffentlichung des Videos ließ die ägyptische Regierung den Texter und Dichter Galal El-Behairy sowie den Musikvideo-Regisseur Shady Habash und den ehemaligen Social Media Manager von Essam, Mustafa Gamal, verhaften, obwohl die beiden letzteren nicht an der Entstehung des Songs beteiligt waren. Alle drei bleiben - unter anderem wegen der Anschuldigung, sich terroristisch zu betätigen -, im Gefängnis.

Für Essam war es schmerzhafter, seine künstlerischen Mitarbeiter inhaftiert zu sehen, als die Folter, die er selbst erlebt hatte. "Sie haben andere Menschen wegen etwas verletzt, was ich getan habe", sagte er. Er startete die "Fall Balaha"-Kampagne, um die internationale Aufmerksamkeit auf die seiner Meinung nach unrechtmäßige Inhaftierung zu lenken. In einem Vortrag des geplanten Panels zur Meinungsfreiheit auf dem Weltmusikforum in Paris am 1. Oktober will er auf die Notlage seiner Kollegen hinweisen.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung, eines der fünf vom Internationalen Musikrat festgelegten Musikrechte, steht weltweit zunehmend unter Beschuss. Einschränkungen des musikalischen Ausdrucks sind nach Ansicht des Präsidenten des Europäischen Musikrates heute noch mehr Thema als vor zehn Jahren. 

Ein in diesem Jahr veröffentlichter Bericht der internationalen Nichtregierungsorganisation Freedom House stellt eine drastische Einschränkung der Meinungsfreiheit seit 2012 fest. Freemuse, eine internationale NGO mit Sitz in Kopenhagen, dokumentiert in einem aktuellen Bericht zum Stand der künstlerischen Freiheit für das vergangene Jahr insgesamt 270 Fälle von Repression in der Musik, 68 mehr als im Vorjahr.

"Die Meinungsfreiheit hat immer die politische Entwicklung widergespiegelt. Je mehr Populisten eine Rolle spielen, umso stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind zu verzeichnen", sagte Ko-Generalsekretärin von EMC Simone Dudt. Der Freemuse-Bericht zeigte auch, dass unter allen Künstlern am häufigsten die freie Meinungsäußerung von Musikern verletzt wird.

Die Einschränkung der musikalischen Meinungsfreiheit finde auf vielen Ebenen statt, erklärten Dudt und Ko-Generalsekretärin Ruth Jakobi. "Das heißt nicht nur, dass man nicht auftreten und sich nicht frei bewegen kann. Es bedeutet auch, dass man einfach gar keine Gelegenheit zu Auftritten mehr bekommt."

Vom iranischen Untergrund auf die schottische Bühne

In einer solchen Situation war Farzane Zamen in ihrer iranischen Heimat, wo die islamische Regierung Solomusikerinnen verbietet, in der Öffentlichkeit aufzutreten oder ihre Musik in dem Land zu vertreiben. Zamen verbrachte die vergangenen zehn Jahre vor allem damit, in ihrem Zimmer in Teheran Songs zu komponieren, sie in privaten Studios aufzunehmen und auf Online-Plattformen wie dem US-amerikanischen Radio Javan zu veröffentlichen. Wenn sie gebeten wurde, privat aufzutreten, um für ein gemischtes Publikum zu singen, lehnte sie immer ab. "Ich fühlte mich nicht wohl, denn es konnte immer alles passieren, sogar bei Konzerten mit offiziell genehmigten Musikern", erinnert sich Farzane Zamen.

Zamen lebt seit 2017 in Glasgow. Durch ein Stipendium war sie zunächst nach Schottland gekommen, wo sie als Flüchtling blieb. Zu ihrer Entscheidung, Asyl zu beantragen, trug die Veröffentlichung ihres ersten Albums im vergangenen Jahr bei. Auf diesem setzt sie sich unter anderem kritisch mit der Diskriminierung von Frauen im Nahen Osten auseinander. Als sie versuchte, das Album auf Radio Javan zu veröffentlichen, wiesen die Administratoren der Webseite sie mit der Begründung ab, ihre Songs seien zu politisch, andere Administratoren im Iran seien wegen der Veröffentlichung von Underground-Musik inhaftiert worden.

"Das war ein sehr trauriger Tag für mich, denn ich musste feststellen, dass das Regime sogar die Medien außerhalb des Iran kontrolliert", sagte Zamen. In ihrer iranischen Heimat war das Album nach der Veröffentlichung zwar noch nicht im größeren Rahmen publik geworden, trotzdem bestand ein erhöhtes Risiko für sie. Nachdem das Regime erneut gegen Demonstranten vorgegangen war und wegen der ohnehin bestehenden musikalischen Einschränkungen beschloss die Musikerin, Asyl zu beantragen.

Der Protest geht weiter

Zamen hat keine große Hoffnung, dass sich die Situation für Musiker im Iran verbessern wird. "Solange das islamische Regime an der Macht ist, tendiert die Hoffnung auf Veränderung gegen Null. Sogar unter Null", meint sie. Zwar wäre sie gern in ihrer Heimat, um in Kontakt mit iranischen Musikliebhabern sein zu können, doch sie genießt auch die neue musikalische Freiheit in Schottland. "Hier bin ich eine darstellende Künstlerin, und ich mache mich wirklich gar nicht schlecht", so Zamen.

Essam kann nicht nach Ägypten zurückkehren. Auch er wurde inzwischen von der ägyptischen Justiz wegen seines "Balaha"-Songs angeklagt. Er glaubt, dass die Regierung seinen Fall benutzt, um andere Künstler einzuschüchtern. Trotzdem werden er und der inhaftierte Lyriker Galal weiterhin Musik machen. In Kürze wollen sie ein Lied über die sudanesische Demokratiebewegung veröffentlichen, und Essam vertont derzeit Galals Gefängnisgedicht "The Tartan Shirt".

Essam glaubt nicht, dass es in Ägypten zurzeit Meinungsfreiheit gibt. Kunst könne aber genau diese Unterdrückung zum Thema machen, sagt er. Die Form könne sich ändern, "aber die Kernaussage der Botschaft bleibt erhalten. Und die Leute auf der Straße sind klug genug, um die Botschaft zwischen den Zeilen und hinter den Worten zu verstehen."

Cristina Burack

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