Sarteps Comic-Reise in eine bessere Welt

Kunstprojekte von Bürgerinnen und Bürgern will "Die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber" anschieben, um so Kunst und Leben besser zu verzahnen. Jeder kann ein Auftraggeber sein. In Berlin entstand so der beeindruckende Comic "Temple of Refuge", der im Auftrag des irakisch-kurdischen Geflüchteten Sartep Namiq die Geschichte einer Flucht und die Hoffnung auf ein besseres Leben beschreibt. Von Stefan Dege

Von Stefan Dege

Die Geschichte des jungen Sartep Namiq beginnt in seiner irakisch-kurdischen Heimat. Als dort die Lebensbedingungen unerträglich werden, weil sich Dürre und Wüste ausbreiten, die Bäume absterben und Seen austrocknen, beginnt ein Exodus. Auch Sartep reiht sich ein in den Flüchtlingsstrom und gelangt, nach gefährlicher und abenteuerlicher Flucht, nach Berlin.

Das trostlose Flüchtlingscamp auf dem Flughafen Tempelhof verwandelt sich dann aber - dank einer Art Zauberstab - in Windeseile in eine neue, schönere Welt. "Natürlich ist das ein modernes Märchen", gibt Sartep Namiq im Gespräch mit der Deutschen Welle zu. "Aber warum nicht von einem Ort träumen, an dem alle Menschen die gleichen Chancen haben, ob sie nun reich sind oder arm?"

Es sind eindrückliche Bilder, in die der Zeichner Felix Mertikat die Geschichte gegossen hat. Mit kantigem, reduziertem Strich setzen seine Panels die Massenflucht in Szene, illustrieren den Aufbruch des überfüllten Schlauchbootes von einem Mittelmeerstrand in Nordafrika, das Herumirren der Geflüchteten durch Rom, die nicht enden wollende Wanderung durch das winterliche Südosteuropa. Fragend stehen die Menschen schließlich vor den meterhohen Betonwänden der Festung Europa, von vermummten und bis an die Zähne bewaffneten Polizisten bewacht, bevor sie Sartep und seine Leidensgenossen mit weißen Bussen in das Flüchtlingscamp auf dem Tempelhofer Feld eskortieren.

Starke Bilder ohne Worte

Und starke Bilder müssen es schon sein, denn der Comic "Temple of Refuge" kommt ganz ohne Worte aus. Die Sprachlosigkeit der Flüchtlingscamp-Bewohner war es auch, die der aus dem Nordirak stammende Sartep und seine Freunde vor vier Jahren durchbrechen wollten - mit einem Projekt der Gesellschaft der Neuen Auftraggeber[embed:render:embedded:node:42846]Die Story stammt aus der Feder des US-Science-Fiction-Autors Bruce Sterling. Anfang März kommt der Comic in einer Hardcover-Auflage von 5000 Stück im Berliner Egmont-Verlag heraus. Neben Donald Duck, Lucky Luke und Asterix ist Sartep, der Held des "Temple of Refuge", damit in allerbester Gesellschaft.

Eigentlicher Held dieses Science-Fiction-Projekts aber ist die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber, ein Netzwerk von Menschen, die etwas bewegen wollen, und zwar abseits ausgetretener Pfade: "Warum ist es in demokratischen Gesellschaften immer noch so, dass nur ein Prozent der Bevölkerung die Möglichkeit hat, Auftraggeber von neuen Kulturgütern zu sein?", fragt Alexander Koch. Er ist Direktor der deutschen Sektion der Neuen Auftraggeber. Entstanden ist die Bewegung, die Koch eine "Demokratisierungsinitiative" nennt, vor Jahren in Frankreich.

Kunst verdeutlicht Probleme

Das Netzwerk beauftragt Künstlerinnen und Künstler damit, Kunstwerke zu entwickeln, die in ihrer Stadt oder ihrem Dorf Antworten auf drängende Fragen geben. Zum Einsatz kommen je nach Bedarf alle Spielarten von Kunst – ob Architektur, Fotografie, Film, Malerei, Theater, Skulptur, Performance, Literatur, Design, Installation, Aktionen zur Stadtplanung oder auch Musik. Doch können Künstlerinnen und Künstler Probleme besser lösen? "Kunst kann Problembewusstsein erzeugen", sagt Gesellschafter Koch, der selbst in der Kunstszene verwurzelt ist, "indem sie etwas tut, was man sich vorher gar nicht vorstellen konnte."

Direktor der deutschen Sektion der Gesellschaft Neue Auftraggeber: Alexander Koch steht vor einem neuen Plan. Foto: Gesellschaft der Neuen Auftraggeber
Jeder kann ein neuer Auftraggeber werden: "Warum ist es in demokratischen Gesellschaften immer noch so, dass nur ein Prozent der Bevölkerung die Möglichkeit hat, Auftraggeber von neuen Kulturgütern zu sein?", fragt Alexander Koch. "Kunst kann Problembewusstsein erzeugen, indem sie etwas tut, was man sich vorher gar nicht vorstellen konnte."

So geschehen beim "Temple of Refuge". Ein implantierter Chip verleiht im Comic dem Helden Sartep Zauberkräfte. Damit lässt er die Wünsche und Träume der Einwohner von Tempelhof Wirklichkeit werden: Die Festungswand bekommt Risse. Pflanzen breiten sich aus. Eine ökologische Stadt entsteht, in der neue und angestammte Berliner friedlich zusammenleben. Der Comic entfaltet eine Utopie vom guten Leben.

Jeder ein neuer Auftraggeber

Wie Sartep kann jeder ein neuer Auftraggeber werden. Mediatoren der Gesellschaft der Neuen Auftraggeber helfen beim Formulieren der Aufträge. So sucht ein Dorf in Mecklenburg-Vorpommern etwa nach seiner Mitte, ein Arbeitslosenzentrum in Mönchengladbach soll Anschluss an die Stadt finden und in Eberswalde will man ein Plattenbauviertel neu beleben. Die meisten Projekte kreisen um Kommunikation und Gemeinschaft - ganz wie der Comic "Temple of Refuge", der vom Institut für Auslandsbeziehungen (IfA), dem Auswärtigen Amt und der Fondation de France gefördert wird.

Die Hardcover-Ausgabe erscheint im März 2021 zum Preis von zehn Euro bei der Egmont Comic Collection. Der Erlös wird an den Verein Sea-Watch gespendet, der im Mittelmeer in Seenot geratene Geflüchtete rettet. Weitere 10.000 Exemplare einer Softcover-Version will die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber laut Direktor Koch an deutsche Schulen, Geflüchtetentreffs und Flüchtlingsinitiativen in der arabischen Welt verschenken. "Wenn nur ein einziger Mensch diese Geschichte liest, hat es sich gelohnt", sagt der wirkliche Sartep.

Stefan Dege

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