Akkurat oder poetisch?

Rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse werden zwei neue deutsche Übersetzungen des Korans auf dem Büchermarkt erscheinen. Doch wozu noch weitere Koran-Übersetzungen, wo doch bereits so viele vorliegen? Und: Worauf kommt es bei der Wiedergabe des Korans an? Von Peter Philipp

Rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse werden zwei neue deutsche Übersetzungen des Korans auf dem Büchermarkt erscheinen. Doch wozu noch weitere Koran-Übersetzungen, wo doch bereits so viele vorliegen? Und: Worauf kommt es bei der Wiedergabe des Korans vor allem an? Von Peter Philipp

Die erste Sure des Koran 'al-Fatiha' aus einer Koranhandschrift von Hattat Aziz Efendi; Foto: wikipedia.de
Koran-Übersetzungen sind nach Auffassung einiger Muslime insofern kritikwürdig, da sie grundsätzlich eine Veränderung des Ursprungstextes mit sich bringen.

​​Die eine Koran-Übersetzung, die im Münchener "Beck"-Verlag erscheint, stammt vom Erlanger Islamwissenschaftler Hartmut Bobzin, die zweite – im Freiburger "Herder"-Verlag – von dem aus Afghanistan stammenden Philosophen Ahmad Karimi.

Letzterer ist gläubiger Muslim und hat binnen eines Jahres eine Übersetzung erstellt, um dem deutschsprachigen Publikum die Schönheit des Korans zu vermitteln.

Bobzin hingegen arbeitet bereits seit zehn Jahren an seiner Übersetzung, die vor allem darauf abzielt, eine zeitgemäße, aber dennoch korrekte und möglichst unverfälschte Fassung des Heiligen Buches des Islam vorzulegen.

Die Poesie des Korans sprachlich einfangen

Beide Übersetzer wussten angeblich lange nichts von der jeweiligen Konkurrenz und noch bevor man in Fachkreisen die Güte der beiden Übersetzungen beurteilen kann, ist man dort doch verwundert darüber, dass sich zwei verschiedene Verlage dasselbe vorgenommen haben und offenbar glauben, eine deutsche Fassung des Korans bei einem Preis von knapp 50 Euro vermarkten zu können.

Es ist auch insofern erstaunlich, zumal ja bereits mehrere deutsche Übersetzungen des Korans vorliegen. Die bisher "philologisch korrekteste" Fassung sei die von Rudi Paret, meint die Bonner Islamforscherin Professor Eva Orthmann, räumt aber ein, dass diese Fassung sehr akademisch und für den Laien etwas schwierig zu lesen sei:

Friedrich Rückert; Foto: © dpa/picture-alliance
Friedrich Rückert wirkte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Islamforscher und versuchte in seiner Übersetzung, die sprachliche Poesie des Korans im Deutschen wiederzugeben.

​​"Außerdem gibt es noch die frühe Koranübersetzung von Friedrich Rückert, der versucht hatte, die Poesie des Korans in seiner Sprache auch im Deutschen einzufangen und wiederzugeben", erklärt Orthmann, fügt jedoch ergänzend hinzu: "Allerdings ist die Übersetzung nicht vollständig und philologisch dann auch in jeder Hinsicht nicht ganz so korrekt."

Rückert, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Dichter und Islamforscher wirkte, beeinflusste mit seiner Übersetzung immerhin Johann Wolfgang von Goethe, der sich mit seinem "Ost-Westlichen Diwan" auf das Werk Rückerts stützte.

Es gibt Puristen, die fordern, der Koran dürfe nicht übersetzt werden, weil jede Übersetzung eine Interpretation und damit auch Veränderung des Wortes des Propheten sei.

Nur "sinngemäße" Wiedergaben

Der ehemalige Vorsitzende des "Zentralrats der Muslime", Nadeem Elyas, hatte zusammen mit Scheich Abdullah as-Samit Frank Bubenheim selbst eine – von Saudi-Arabien getragene – Koran-Übersetzung verfasst, die in 300.000 Exemplaren und in einer Höhe von 12 Auflagen kostenlos verteilt wird.

Er teilt die Auffassung der Puristen nicht, denn zum besseren Verständnis des Korans müsse es Übersetzungen geben, meint Elyas, räumt jedoch gleichzeitig ein: "Diejenigen, die sagen, der Koran sei nicht übersetzbar, meinen, dass die Feinheiten der Sprache und der Sinn durch eine Übersetzung nicht wiedergegeben werden können. Das stimmt insofern, da jede Übersetzung nur einen Teilaspekt von dem wiedergibt, was der arabische Text in sich birgt."

Buchcover 'Der Koran' von Hartmut Bobzin; Foto: Beck-Verlag
Die Koran-Übersetzung Bobzins zielt vor allem darauf ab, eine zeitgemäße, aber dennoch möglichst unverfälschte Fassung des Heiligen Buches des Islam vorzulegen.

​​Auch auf Arabisch existierten unzählige Auslegungen und Interpretationen des Korans – und umso mehr sei denn eine Übersetzung in eine andere Sprache eine Interpretation des Korans.

Idealerweise sollte ein Muslim Arabisch können, das ist aber in den nicht-arabischen Ländern der muslimischen Welt meist nicht der Fall. Und so musste man schon früh zu Übersetzungen greifen, fand dabei aber oft einen Mittelweg, wie Prof. Orthmann beschreibt:

"Die früheste Übersetzung war ins Persische. Und wenn man sich heute zum Beispiel im Iran Koran-Editionen ansieht, dann hat man den Haupttext auf Arabisch und die Betenden rezitieren den Text auch auf Arabisch, aber es findet sich meist interlinear eine Übersetzung ins Persische, damit die Gläubigen auch verstehen können, was sie da überhaupt rezitieren."

Die Vielfalt erhalten

Nadeem Elyas betont, dass auch in muslimischen Ländern keine Koran-Übersetzung für "verbindlich" erklärt sei. Bei der Übersetzung gehe es immer in erster Linie darum, den Gläubigen zum besseren Verständnis des Textes zu verhelfen.

Und wenn in einem nicht-muslimischen Land wie Deutschland inzwischen mehrere Übersetzungen vorliegen, dann sei dies auch zu begrüßen: "Es ist eine positive Entwicklung: Die Zeiten ändern sich. Nicht nur, dass die deutsche Sprache sich entwickelt, sondern das Verständnis der Leute, der Geschmack der Leute, was den Sprachsinn angeht. Und jeder Versuch ist zu begrüßen, denn was dem einen Übersetzer verborgen blieb, kann vom anderen offengelegt werden."

Nadeem Elyas; Foto: AP
Dass in Deutschland mehrere Koranübersetzungen vorliegen, sei zu begrüßen, "denn was dem einen Übersetzer verborgen blieb, kann vom anderen offengelegt werden", so Nadeem Elyas.

​​Besondere Bedeutung könnte einer deutschen Koran-Übersetzung zukommen, wenn es um die Einführung von Koran-Unterricht an deutschen Schulen geht. Dieser soll nämlich auf Deutsch abgehalten werden.

Doch die Entscheidung darüber, welche übersetzte Fassung schließlich in den Schulen zur Anwendung kommen kann und soll, müsse natürlich in Absprache mit den muslimischen Organisationen getroffen werden, denn deren Kinder seien es ja schließlich, die an diesem Unterricht teilnehmen.

Beim privaten Gebrauch hingegen spiele dies keine so große Rolle, meint schließlich Prof. Orthmann: "Letztendlich wird es in mancher Hinsicht auch eine Geschmackssache sein: Möchte man lieber eine Übersetzung haben, die vielleicht etwas poetischer ist? Möchte man lieber eine Übersetzung haben, die ganz akkurat ist und vielleicht nicht ganz so schön klingt?"

Dies sei letztlich den Gläubigen selbst überlassen. Und selbst im Schulunterricht wäre vermutlich Platz für Vergleiche zwischen verschiedenen Übersetzungsversionen.

Peter Philipp

© Qantara.de 2009

Qantara.de

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