Sozialer Sprengstoff

Bei Kämpfen zwischen Berbern und arabischen Stämmen sind im Osten Algeriens mindestens 22 Menschen getötet und Dutzende verletzt worden. Das algerische Verteidigungsministerium hat inzwischen angekündigt, Truppen in die Unruheprovinz Ghardaia zu entsenden, um die Gewalt zu beenden. Über die Hintergründe informiert Andreas Gorzewski.

Von Andreas Gorzewski

Geplünderte und verkohlte Geschäfte, Wohnhäuser und Behörden sowie mindestens 22 Tote und dutzende Verletzte - das ist die vorläufige Bilanz der zweitägigen Unruhen in der algerischen Provinz Ghardaia. Der lange schwelende Konflikt zwischen Arabern und Berbern ist in der Region 600 Kilometer südlich der Hauptstadt Algier in blutige Gewalt umgeschlagen. Ein Berber-Vertreter klagte, dass bewaffnete Banden die Zugänge zur Stadt Guerara in der Unruheprovinz kontrollierten: "Die Lage ist sehr schlimm. Das sind keine Zusammenstöße mehr, das ist Terror."

In Algier protestierten wütende Berber gegen die Eskalation des Konflikts. Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika trommelte eilig Minister, Armee- und Polizeikommandeure zu einem Krisentreffen zusammen. Soldaten sollen nun die Ordnung wiederherstellen.

Lange lebten Araber und Berber friedlich miteinander. Beide Gruppen unterscheiden sich zumindest teilweise in ihrer Konfession und Sprache. Die Berber stellen in Algerien etwa 30 Prozent der Bevölkerung, in der Provinz Ghardaia sind sie hingegen seit Jahrhunderten in der Mehrheit. Die Berber dort folgen dem ibaditischen Islam, der auf die konfessionellen Spaltungen in der Frühzeit des Islam zurückgeht. Die Araber sind hingegen sunnitische Muslime.

Araber versus Imazighen

Viele Araber wanderten erst in den vergangenen Jahrzehnten in das Gebiet, das als Tor zur Sahara gilt. Außerdem fühlten sich viele Berber in ihrer Sprache und Kultur diskriminiert, weil die Regierung die Arabisierung der Bevölkerung vorantrieb. Bereits Ende 2013 gab es erste Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen. Seitdem gehen Berber und Araber immer wieder aufeinander los. Allerdings gab es nie so viele Tote und so schwere Schäden, wie in dieser Woche. Dafür machen Augenzeugen den erstmaligen Einsatz von Schusswaffen verantwortlich.

Polizisten versuchen Unruhen mit Tränengas zu beenden. Foto: AFP/Getty Images/F. Batiche
Nur eine Frage der Zeit? Bereits im letzten Jahr versuchten Polizeieinheiten, die Unruhen zwischen Berbern und Arabern in der Region Ghardaia mit Tränengas zu beenden. Das hat die Ängste der algerischen Bevölkerungsgruppen vor der jeweils anderen weder vermindert, noch die Konflikte gelöst. In Ghardaia, der größten Stadt der Region, wurden Häuser, Geschäfte, Behördengebäude, Autos und Palmenhaine in Brand gesetzt. Die Stadt gehört mit ihren weißen Häusern zum Unesco-Weltkulturerbe.

Berichte über maskierte Angreifer

Was genau in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch in der Stadt Guerara geschah, war zunächst unklar. Die algerische Zeitung "Al Chabar"schrieb, dass Maskierte mit Jagdgewehren das Feuer auf Bewohner eröffnet hätten. Laut Informationen der Zeitung "Al Watan" sollen Vermummte auf Motorrädern die Bewohner zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert haben. Anschließend seien Häuser in Brand gesteckt worden. Offizielle Bestätigungen dafür gibt es jedoch nicht. Allein in Guerara starben nach Angaben eines Berber-Vertreters 16 Berber und drei Araber. Die Gewalt griff auch auf andere Orte über, wo mindestens drei Menschen getötet worden sein sollen.

Beide Gruppen machen sich gegenseitig für die latenten Spannungen verantwortlich, erklärt Merin Abbass von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Er leitet vom tunesischen Büro der Stiftung aus deren Algerien-Projekte. Die Araber sagten, dass die Berber wegen ihrer Schlüsselstellung im Handel an der Armut der Araber schuld seien. Abbass nennt die Berber nach deren Eigenbezeichnung "Imazighen". "Die Imazighen sagen, dass der Staat die Araber bevorzugt", führt Abbass aus. Ihrer Ansicht würden nur Araber eine Stelle im Staatsdienst oder lukrative Aufträge erhalten. "Beide Gruppen fühlen sich benachteiligt", resümiert der Algerien-Experte.

Für Abbass hat die jüngste Gewalt wenig mit Konfession oder ethnischer Zugehörigkeit zu tun: "Das ist auf alle Fälle ein sozialer Konflikt". Die Medien würden zwar immer die Religion betonen, aber eigentlich gehe es um Armut. Die Regierung in Algier habe für den vernachlässigten Süden zwar Aufbauprogramme versprochen. "Aber es passiert nichts", sagt der Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Jenseits der materiellen Probleme werde auch nicht versucht, Vertrauen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen aufzubauen.

Verbranntes Haus in der Stadt Ghardaia, August 2014. Foto: DW/E. Elkebir
"Das sind keine Zusammenstöße mehr, das ist Terrorismus": Aus Sicherheitskreisen verlautete, dass aus der Hauptstadt Algier Polizeibeamte als Verstärkung nach Ghardaia geschickt worden seien. Die jahrhundertelang guten Beziehungen zwischen Arabern und Berbern in Algerien haben sich seit Ende 2013 drastisch verschlechtert. Ursache sind die gewachsenen sozialen Probleme, Besitzstreitigkeiten sowie die Zerstörung eines historischen Berber-Schreins.

Kein Geld für Subventionen mehr

Deshalb sieht Abbass die Hauptverantwortung für die Spannungen beim Staat. Dieser vernachlässige die Region und die Menschen komplett. Dabei dürften die vermutlich leeren Staatskassen eine Rolle spielen. Bislang versuchte die Regierung, mit üppigen Subventionen den Unmut der Bevölkerung zu besänftigen. Solange der Ölpreis noch hoch war, konnte Algier das bezahlen. Doch nun ist der Ölpreis tief in den Keller gerutscht. Damit habe Algier kaum noch Möglichkeiten, soziale Spannungen abzufedern, führt der Forscher aus.

Auch die Berber zeigen auf den Staat. Im französischsprachigen Internetportal "Tamazgha", das die Berber-Sicht wiedergibt, geht die Kritik jedoch in eine andere Richtung. "Es gibt keinen Zweifel an der Absicht des algerischen Staates, das Berbertum auszurotten", heißt es dort. Polizei und Gendarmerie würden bei den Unruhen nicht zum Schutz der Berber eingreifen, so die Deutung der aufgebrachten Berber.

Die Staatsführung in Afrikas größtem Land sieht die Schuld jedoch woanders. "Offizielle Meldungen sagen, dass andere Gruppierungen dahinter stecken und Unruhe ins Land bringen wollen", sagt Abbass. Diese Sichtweise werde auch über die Medien verbreitet. Der Algerien-Forscher sagt dazu: "Es ist immer einfach, anderen die Schuld zu geben."

Andreas Gorzewski

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