Religionskonflikt im Unterhaltungsformat

Die Bollywoodwelle schwappt nun auch in den Westen. Doch wie gesellschaftskritisch und politisch sind diese indischen Filme, in denen es vordergründig nur um Liebe, Konsum und Reichtum geht? Pouyeh Ansari berichtet.

​​Der indische Bollywoodfilm begeistert nicht nur in Indien ein Millionenpublikum, auch im Westen entwickelt sich zunehmend Interesse für dieses populäre Genre. Auf den ersten Blick scheint der Bollywoodfilm ein Frauenpublikum anzusprechen, das auf kitschige Liebesfilme steht. Das indische populäre Kino besticht durch bunte Farben, klangvolle Gesangseinlagen und rhythmische Tänze.

Doch neben dem reinen Unterhaltungsaspekt greift Bollywood auch brisante Themen auf, wie zum Beispiel den Religionskonflikt zwischen Muslimen und Hindus, der sich darüber hinaus auch im machtpolitischen Spannungsverhältnis zwischen den Bruderstaaten Indien und Pakistan spiegelt.

In "Veer – Zaara" beispielsweise wird der Konflikt à la "Romeo und Julia" behandelt und so dekonstruiert. Bewusst thematisiert der Regisseur Yash Chopra den Konflikt zwischen Hindus und Muslimen und bereitet ihn im populären Unterhaltungsformat auf.

Kino als Muster gesellschaftlicher Konflikte

Der Filmwissenschaftler Vinzenz Hediger, Professor an der Ruhr-Universität Bochum, ist der Meinung, dass insbesondere der Unterhaltungsfilm gesellschaftliche Konflikte behandeln kann: "Gerade das populäre Kino mit seinen dramatischen Zuspitzungen und prägnanten Formeln eignet sich am besten für eine breitenwirksame Verhandlung gesellschaftlicher Konflikte. Populäre Filme müssen überdies ohnehin immer relevant sein, d.h. etwas mit dem Leben ihres Publikums zu tun haben, wenn sie erfolgreich sein wollen – und erfolgreich müssen sie sein, weil sie teuer sind."

Diese gesellschaftlichen Konflikte, die im Bollywoodfilm angesprochen und aufgearbeitet werden, dienen dem Publikum in gewisser Weise als Modell und Projektionsfläche.

Pluralismus in der Filmbranche

Indische Männer verbrennen ein Poster, auf dem der Schauspieler Aamir Khan abgebildet ist; Foto: AP
Anhänger der hinduistisch rechtskonservativen Partei BJP rufen zu einem Boykott des neusten Films "Fanaa" mit dem bekannten Schauspieler Aamir Khan auf.

​​In der indischen Filmindustrie arbeiten nicht nur viele Muslime und Hindus zusammen, auch Angehörige anderer Religionsgruppen sind in der Filmbranche aktiv. Zu einem gewissen Grad ist diese harmonische Zusammenarbeit ein Modell für die Gesellschaft.

"Hält man sich an Blogs und Fanwebseiten, dann sieht man, dass etwa Fans von Superstar Rhitik Roshan durchaus zur Kenntnis nehmen, dass dieser mit einer Muslima verheiratet ist", sagt Vinzenz Hediger. "Die entsprechenden Einträge suggerieren auf jeden Fall, dass Roshans Entscheidung, seine Hochzeit zugleich nach einem hinduistischen und einem islamischen Zeremoniell durchzuführen, als Geste von symbolischem Wert gesehen wird."

Boykottaufrufe durch die konservativen Hindus

Allerdings hat in jüngster Zeit dieser harmonische Trend eine negative Wendung genommen. Anhänger der hinduistisch rechtskonservativen Partei BJP rufen zu einem Boykott des neusten Films "Fanaa" mit dem bekannten Schauspieler Aamir Khan auf. Dieser hatte sich dafür ausgesprochen, Muslime ausreichend zu entschädigen, die von dem Staudammbau in Gujarat betroffen waren und zwangsumgesiedelt wurden.

Auf diese Ereignisse bezieht sich der indische Dokumentarfilmer Rakesh Sharma, ein Brahmane (Angehöriger der obersten indischen Kaste), in seinem Weblog. Er gehört zu den schärfsten Kritikern des Hindu-Nationalismus. In seinem Internettagebuch wird deutlich, dass für ihn diese Entwicklungen keineswegs überraschend sind. Er selbst musste sich schon mehrfach mit solchen Boykottaufrufen seiner Filme auseinandersetzen.

Indischer Dokumentarfilmer Rakesh Sharma; Foto: AP
Mit bitterem Sarkasmus äußert sich Sharma zu dem unpolitischen Verhalten, das den Schauspielern abverlangt wird.

​​In seinem Blog gibt er seinem Filmkollegen Aamir Khan einen Rat: "Willkommen, Aamir Khan, in einer Welt fernab vom Rampenlicht. Bist du von der Hysterie überrascht, die sich über die Parteigrenzen hinweg ausbreitet? Zu sehen, dass die Congress-Partei und die BJP-Jugend der Reihe nach deine Poster verbrennen? […] Warum entschuldigst du dich nicht einfach – Schauspieler sollen nur 'Bimbos' sein – entschuldige dich und alles wird dir vergeben. Lerne die Vorteile des Schweigens."

Mit bitterem Sarkasmus äußert sich Sharma zu dem unpolitischen Verhalten, das den Schauspielern abverlangt wird. Sie sind lediglich dazu da, zu tanzen und zu singen, das Publikum zu unterhalten und sich möglichst mit einer eigenen Meinung zurückzuhalten. Ihre Aufgabe sei allein, das Publikum bei Laune zu halten und sich nicht in innerpolitische Konflikte einzumischen.

Gerade wegen der Boykottaufrufe von "Fanaa" in Gujarat, wurde der Film in den restlichen Bundesstaaten Indiens zu einem Kassenschlager. Es ist nur zu hoffen, dass Khans Äußerung nicht bloß ein Marketing-Trick war, um dem Film zum Erfolg zu verhelfen.

Pouyeh Ansari

© Qantara.de 2006

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