Krieg ohne Grenzen

Im west-sudanesischen Darfur eskaliert die Gewalt ebenso wie im Osten Tschads, gleich jenseits der Grenze. Obwohl beide Konflikte ihre eigenen Ursachen aufweisen, verstärken sie sich gegenseitig. Marc Engelhardt informiert.

Die Milizen kamen in Armeeuniform, auf Kamelen und Pferden, und schlugen unbarmherzig zu: Mindestens 63 Zivilisten, 27 von ihnen Kinder unter zwölf Jahren, ermordeten die Dschandschawid an einem einzigen Sonntag Ende Oktober.

Beobachter der Afrikanischen Union berichten von acht Zielen der arabischen Reitermiliz, die von Sudans Regierung aufgerüstet wird: Dörfer und Flüchtlingscamps im äußersten Westen Darfurs, der Hochburg der "Nationalen Erlösungsfront": jenen Rebellen, die dem im Mai abgeschlossenen Friedensvertrag nicht zugestimmt haben.

Doch auch jenseits der durchlässigen Westgrenze Sudans, im Osten des Tschad, eskalieren seit einigen Wochen die Kämpfe. Bei Überfällen berittener Milizen auf Dörfer in der Grenzregion wurden alleine in der ersten Novemberwoche mehr als 200 Menschen getötet.

Dazu kommen die Rebellen, die seit einigen Tagen wieder auf die Hauptstadt N'Djamena marschieren, um den ungeliebten Präsidenten Idriss Deby zu stürzen. Ein erster Putschversuch war im April gescheitert.

Jenseits des Friedensabkommens

Der Jubel, der am 5. Mai in Nigerias Hauptstadt Abuja ausbrach, als zumindest die größte Fraktion der Sudanesischen Befreiungsarmee (SLA) von Minni Minnawi das zwei Jahre lang ausgehandelte Friedensabkommen für Darfur unterschrieben hatte, ist längst im Kriegsdonner verhallt.

"Kaum zu glauben, aber der humanitäre Horror in Darfur wird tatsächlich noch größer", staunt Bill Clintons ehemaliger Afrika-Berater, John Prendergast. Darfur bewege sich näher am Abgrund als er es je zuvor erlebt habe, schreibt der Hilfskoordinator der UN, Jan Egeland, Ende November nach seinem vierten Besuchs in Darfur.

"Sudans Regierung entwaffnet die Dschandschawid nicht, wie im Friedensvertrag vereinbart, sondern bewaffnet sie bis an die Zähne."

Das sagt auch Minnawi selber, der inzwischen als "spezieller Berater" von Sudans Präsident Omar Hassan el Baschir für Darfur zuständig ist. "Jeder weiß, dass die Regierung die Dschandschawid wieder bewaffnet und stärker benutzt als je zuvor, das muss aufhören."

Minnawi steht unter Druck. Bei den restlichen Rebellen gilt Minnawi seit dem Tag, an dem er die Unterschrift unter den umstrittenen Friedensvertrag mit Khartum setzte, als Verräter. Internationale Beobachter werfen seinen Truppen vor, seitdem als paramilitärischer Arm der Regierungsarmee zu agieren und zahlreiche Kriegsverbrechen zu begehen.

Der Friedensvertrag von Abuja, so bilanziert SPIEGEL-Korrespondent Thilo Thielke in seinem gerade erschienenen Buch "Krieg im Lande des Mahdi", habe den Konflikt in Darfur nicht beschwichtigt, sondern im Gegenteil angefacht: Zum Kampf zwischen Rebellen, der sudanesischen Armee und ihren Verbündeten, den Dschandschawid, sei nun noch ein "Bruderkrieg" der gespaltenen Rebellenbewegungen gekommen.

Aufrüstung im Westen

Dazu kommt, dass Sudans Regierung und die Rebellen seit Abschluss des Friedensabkommens beide die Hoffnung hegen, den seit fast vier Jahren schwelenden Konflikt militärisch lösen zu können. Die "Nationale Erlösungsfront", der sich fast alle Gegner des Abuja-Abkommens angeschlossen haben, hat Sudans Armee seit Mai mehrere Niederlagen beigebracht.

Ende November nahm die Gruppe sogar eine Ölquelle im außerhalb von Darfur gelegenen Kordofan ein – das erste Mal, dass die Rebellen ihren Kampf für mehr Autonomie von Khartum außerhalb ihrer Region austrugen.

Die zentralistische Regierung Baschirs, die vor allem Angst vor weiteren Autonomiebewegungen im Land hat, reagierte mit der Verstärkung ihrer Truppen, die sie den UN sogar als "Friedensplan" verkaufte – und mit der Aufrüstung der Dschandschawid, die Anfang des Jahres noch über die nachlassende Unterstützung aus Khartum geklagt hatten.

Wie früher im Südsudan, so versucht Baschir zudem, die Rebellen weiter zu spalten und so zu schwächen. Die UN hält Baschirs Regime mit einer "Ein Schritt vor, zwei Schritt zurück"-Taktik hin: Die Entsendung von mehr als 20.000 UN-Friedenstruppen nach Darfur, wie vom Sicherheitsrat in Resolution 1706 beschlossen, lehnt Baschir in regelmäßigen Abständen ab.

Als UN-Generalsekretär Kofi Annan nach einem Darfur-Krisengipfel Mitte November eine prinzipielle Einwilligung Baschirs für eine Friedenstruppe unter UN-Beteiligung ausmachte, bezichtigte Baschir ihn Tage später der Lüge.

Krise im Ost-Tschad

Dass der Osten Tschads inzwischen unter ähnlichen Zuständen wie in Darfur leidet, ist kein Zufall. Die ethnische Zusammensetzung in beiden Regionen ist gleich, man hilft sich – oder hasst sich.

Vereinzelte Scharmützel zwischen nomadischen Hirtenvölkern arabischer Herkunft und schwarzen Farmern - vor allem um rares Land - gab es hier wie dort schon immer. Tschads Präsident Idriss Deby, selber von der Ethnie der Saghawa, unterstützte die Darfur-Rebellen von Anfang an mit Waffen und Nachschubbasen. Im Gegenzug unterstützte Khartum Rebellen der "Vereinigten Front für Demokratie und Freiheit", die Deby stürzen wollen.

Tatsächlich, so weiß ein Darfur-Experte der "International Crisis Group", waren es Darfur-Rebellen der "Bewegung für Gleichheit und Gerechtigkeit", die Debys vom Sudan unterstützte Gegner im April vor dem Parlament von N'Djamena besiegten.

Die Ursachen für die Rebellion im Tschad sind zwar – wie in Darfur - hausgemacht: Deby regiert autoritär, das Land gilt laut "Transparency International" als das korrupteste der Welt, und die Öleinnahmen eines der ärmsten Staaten fließen vor allem in Waffenkäufe. Doch erst die unübersichtliche Lage in Darfur macht die Kämpfe im derzeitigen Ausmaß möglich.

Dazu kommen die Flüchtlinge: Mehr als 220.000 Darfuris kampieren im tschadischen Grenzstreifen, gemeinsam mit 100.000 intern Vertriebenen. Die Dschandschawid schlagen dort genauso zu wie in Darfur – die Grenze ist weitgehend unmarkiert und unkontrolliert.

Im Tschad werden inzwischen auch Araber Opfer ethnisch motivierter Morde. Menschenrechtler haben Angriffe von afrikanischen Milizen beobachtet, die – wie die Dschandschawid in Darfur – über arabische Siedlungen herfallen. "Die Rebellen kamen am Nachmittag und schossen ohne Ankündigung mit Gewehren auf uns und schrien: 'Tod den Arabern'", beschreibt ein 46-jähriger Hirte vom Volk der Salamat einen Überfall.

"Einer sagte, die hübschen Frauen nehmen wir mit, die hässlichen töten wir sofort." Peter Takirambudde von "Human Rights Watch" macht Darfur-Rebellen für die Aufhetzung vor allem von Flüchtlingen zu ethnisch motivierten Angriffen verantwortlich. "Das sind keine kleinräumigen Konflikte, es gibt eindeutige Verbindungen zu den Krisen im Tschad und in Darfur."

Marc Engelhardt

© Qantara.de 2006

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