Hisbollah in der Zwickmühle 

Hezbollah sees the latest developments as a U.S. escalation: following sanctioning of a Lebanese moneychanger by the U.S. Treasury, fears are rife that sanctions could also target money transfer firms. A plummeting Iraqi dinar as the Fed seeks to make Iraq SWIFT-compliant has seen a massive decline in wire transfers from the United States, down to $22 million per day. For Hezbollah, which sees Iraq as a vital corner on Iran's map of regional influence, such measures represent a threat.
Hezbollah sees the latest developments as a U.S. escalation: following sanctioning of a Lebanese moneychanger by the U.S. Treasury, fears are rife that sanctions could also target money transfer firms. A plummeting Iraqi dinar as the Fed seeks to make Iraq SWIFT-compliant has seen a massive decline in wire transfers from the United States, down to $22 million per day. For Hezbollah, which sees Iraq as a vital corner on Iran's map of regional influence, such measures represent a threat.

Die "Partei Gottes“ steckt im Libanon und in der gesamten Region in einer Zwickmühle, der sie mit ihrer bisherigen Taktik kaum entfliehen dürfte. Von Mohanad Hage Ali 

Von Mohanad Hage Ali

Im Januar kam es im Libanon zu wichtigen Ereignissen, bei denen die Hisbollah als größte Verliererin dasteht. Zunächst hat der für die Ermittlungen im Zusammenhang mit der Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 zuständige Richter Tarek Bitar angekündigt, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Ein Jahr lang hatten einflussreiche Politiker seine Ermittlungen blockiert, da sie befürchten mussten, selbst ins Visier des Ermittlers zu geraten.

Dann belegte am 24. Januar das US-Finanzministerium einen libanesischen Finanzakteur und die mit ihm verbundenen Unternehmen und Personen wegen mutmaßlicher finanzieller Verbindungen zur Hisbollah mit Sanktionen. Diese Maßnahmen treffen das Land mitten in einer dramatischen Finanzkrise und einem politischen Vakuum, in dem sich das libanesische Parlament noch nicht einmal auf die Nominierung eines Präsidentschaftskandidaten verständigen kann. 

So wie die Hisbollah tickt, wähnt sie hinter den Ereignissen die Vereinigten Staaten als Strippenzieher: Die USA würden versuchen, im Vorfeld der libanesischen Präsidentschaftswahl den Druck auf die "Partei Gottes“ zu erhöhen. Auch die Spannungen zwischen Teheran und Washington ebenso wie zwischen den jeweiligen regionalen Verbündeten hätten zugenommen.

Die Handlungsspielräume der Hisbollah bleiben allerdings angesichts der prekären Lage des Libanon und der Unfähigkeit der Partei, sich mit ihren Verbündeten auf einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl zu einigen, begrenzt.

Ein Poster mit dem Foto des Richters Tarek Bitar, der die tödliche Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 untersucht, wird von Unterstützern der schiitischen Hisbollah während Protesten vor dem Justizpalast in Brand gesteckt, Beirut, Lebanon, 14. Oktober 2021 (Foto: Jamal Eddine/newscom/picture-alliance)
Der anhaltende Widerstand der Hisbollah gegen die Ermittlungen von Tarek Bitar zur Explosion im Hafen von Beirut könnte die Partei teuer zu stehen kommen. Denn die "Freie Patriotische Bewegung“, der wichtigste Verbündete der Hisbollah im christlichen Lager, unterstützt zumindest öffentlich die richterlichen Ermittlungen Bitars. Dass die beiden Akteure in dieser Frage gegensätzliche Standpunkte vertreten, könnte ihr ohnehin schon fragiles Bündnis, zusätzlich zu den ohnehin bestehenden Differenzen über die Frage der Präsidentschaft, belasten.   

Spannungen in der Justiz

Das wohl größte Problem droht der Hisbollah gleichwohl durch die strafrechtlichen Untersuchungen von Ermittlungsrichter Tarek Bitar. Am 23. Januar überraschte der Bitar die politische Klasse des Libanon mit der Wiederaufnahme seiner Ermittlungen, nachdem diese ein Jahr lang von einflussreichen Politikern blockiert worden waren, die gegen ihn geklagt und seine Suspendierung gefordert hatten.

Berichten zufolge hat Bitar auch rechtliche Schritte gegen zwei hochrangige Vertreter der Sicherheitsdienste eingeleitet, gegen Abbas Ibrahim, den mächtigen Chef der Staatssicherheit, und Tony Saliba, den Leiter einer weiteren Sicherheitsbehörde. Ibrahim ist ein wichtiger Verbündeter der Hisbollah und ein gut vernetzter Gesprächspartner von regionalen und westlichen Staaten in Fragen der regionalen Sicherheit. Seine Amtszeit endet in zwei Monaten. Eine Anklage gegen ihn würde eine erneute Amtszeit erschweren, von den weiteren Auswirkungen auf seine politischen Ambitionen ganz abgesehen. 

Die von Bitar geleiteten Ermittlungen zur Explosion im Hafen von Beirut sind eine innerlibanesische Angelegenheit. Gleichwohl wirft die Hisbollah ihm vor, auf Weisung Washingtons zu handeln. Eine Woche vor der Wiederaufnahme seiner Ermittlungen traf Bitar mit einer französischen Justizdelegation zusammen. Das führte zu Spekulationen, ob die französische Delegation ihn zu den erneuten Ermittlungen ermutigt habe. Doch die Justiz ist in dieser Frage gespalten. Generalstaatsanwalt Ghassan Oueidat hat prompt erklärt, die Untersuchung sei nach wie vor per Gesetz ausgesetzt.

Zudem habe er die Sicherheitskräfte angewiesen, die Entscheidungen Bitars nicht umzusetzen. Dass Bitar mittlerweile rechtliche Schritte gegen den Generalstaatsanwalt eingeleitet hat, spricht nicht gerade für die Glaubwürdigkeit von Oueidat. 



 

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Die Explosion im Hafen und die Konfessionen

Die Hisbollah dürfte sich mehr um die politischen Folgen des Geschehens sorgen. Die Tatsache, dass es derzeit keinen Präsidenten und kein funktionierendes Kabinett gibt, verschärft bereits die konfessionellen Spannungen im Land. Im politischen System des Libanon muss der Präsident ein maronitischer Christ, der Premierminister ein sunnitischer Muslim und der Parlamentspräsident ein schiitischer Muslim sein.



Die Mehrheit der Opfer der Hafenexplosion waren Christen. Rechtliche Schritte gegen bestimmte Beamte könnten dazu führen, ihre konfessionellen Unterstützer zu verärgern, während ausbleibende Erfolge bei den Ermittlungen als gezielte Aktion gegen Christen gewertet werden könnten. 

Der anhaltende Widerstand der Hisbollah gegen die Ermittlungen von Bitar könnte deshalb der Partei teuer zu stehen kommen. Die "Freie Patriotische Bewegung“, der wichtigste Verbündete der Hisbollah aus dem christlichen Lager, unterstützt zumindest öffentlich die richterlichen Ermittlungen.



Dass die beiden Akteure in dieser Frage gegensätzliche Standpunkte vertreten, könnte ihr ohnehin schon fragilen Bündnis zusätzlich zu den ohnehin bestehenden Differenzen über die Frage der Präsidentschaft belasten. 

Im Oktober 2021 gelang es der Hisbollah und den ihr nahestehenden Kräften, die Ermittlungen von Bitar zu blockieren. Zuvor hatte sie Straßenproteste gegen den Richter organisiert. Bei bewaffneten Zusammenstößen infolge dieser Straßenproteste in Nähe des Justizpalasts gab es Tote und Verletzte. Danach reichten hochrangige Politiker, gegen die Bitar ermittelt hatte, Klage ein und erzwangen eine Aussetzung der Ermittlungen.

Bitars Ermittlungen: Eine Gefahr für die Hisbollah

Die von der Hisbollah organisierten Proteste verdeutlichen vor allem, dass die Ermittlungen von Tarek Bitar für sie offenbar unangenehm sind. Im Libanon sind viele Menschen davon überzeugt, dass die Partei für die Lagerung des explosiven Ammoniumnitrats verantwortlich ist und dass zahlreiche ihr nahestehende Politiker und Sicherheitskräfte in den Vorfall verwickelt sind. 

In der Zwischenzeit erweist sich das vakante Präsidentenamt als nachteilig für die Hisbollah, die dadurch gegenüber Bitar in einer schwächeren Position ist. Jeder Schritt gegen ihn würde die konfessionellen Spannungen weiter verschärfen, da die jeweiligen Communities angesichts der geschwächten staatlichen Institutionen ihre Sicherheit zunehmend selbst in die Hand nehmen. Schon jetzt rufen die Stellungnahmen der Hisbollah zu den Präsidentschaftswahlen heftige Reaktionen hervor.

 

 

Samir Geagea, Anführer der christlichen Partei Forces Libanaises, schlug vor, die politische Ordnung des Libanon zu ändern, sollte die Hisbollah ihren Präsidentschaftskandidaten durchsetzen. Die Hisbollah ihrerseits warf Geagea vor, die Teilung des Landes zu betreiben, was dieser umgehend zurückwies.



Allerdings steht Geagea mit seiner Kritik nicht allein da. So bezichtigte auch der maronitische Patriarch Béchara Raï die Hisbollah – allerdings ohne sie beim Namen zu nennen. Die "Partei Gottes“ würde die Besetzung hoher Staatsämter, die der maronitischen Gemeinschaft vorbehalten sind, absichtlich hintertreiben, monierte er – angefangen beim Amt des Präsidenten, das den maronitischen Christen vorbehalten ist. 

Ein "mutiger Mann" gesucht

Trotz dieser Spannungen beharrt die Hisbollah auf ihrem Standpunkt. Letzte Woche wiederholte Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah die Kriterien seiner Organisation für einen neuen Präsidenten. Man suche "einen mutigen Mann“, der die Vereinigten Staaten nicht fürchte und der dem Druck aus Washington widerstehen könne. Der Libanon brauche eine widerstandsfähige politische Klasse und Wirtschaft.

Die vorgebrachten Kriterien lassen darauf schließen, dass Nasrallah die Wahl des Oberbefehlshabers der libanesischen Streitkräfte, Joseph Khalil Aoun, als potenziellen Kompromisskandidaten nicht gutheißen würde, da dieser als Washington nahestehend gilt. Wunschkandidat der Hisbollah ist Suleiman Franjieh, ehemaliger Parlamentarier, Minister und enger Verbündeter der Hisbollah und des syrischen Regimes.



Vorerst hält die Hisbollah an Franjieh fest und versucht, im Parlament genügend Unterstützung für seine Kandidatur zu mobilisieren. Doch die Zeit wird knapp. Nicht nur wegen der Ermittlungen zur Explosion im Hafen, sondern auch wegen der akuten Wirtschafts- und Finanzkrise des Landes. Das libanesische Pfund verlor im Januar innerhalb von zwei Wochen mehr als ein Fünftel seines Wertes: Kostete Anfang Januar ein US-Dollar noch 42.000 libanesische Pfund, so war er 14 Tage später schon 55.000 Libanesische Pfund wert. 



Die Rolle der Finanzwirtschaft

Abgesehen von der immer gleichen Erzählung der Partei über eine amerikanische Blockade des Libanon begreift die Hisbollah die jüngsten Entwicklungen aus zwei Gründen als Eskalation der USA: Erstens haben Sanktionen des US-Finanzministeriums gegen den libanesischen Finanzakteur die Befürchtung geweckt, dass sich die nächste Sanktionsrunde gegen Geldtransferagenturen richten könnte.



Seit dem Quasi-Zusammenbruch des Bankensystems haben sie teilweise die regulären Banken ersetzt haben. Viele Libanesinnen und Libanesen beziehen über dieses System Geld von Verwandten im Ausland. Sanktionen gegen die Geldtransferagenturen würden den Wechselkurs des Pfunds und die libanesische Wirtschaft weiter schwächen. 

Zweitens gibt es Signale der US-Notenbank, wonach sie Dollar-Überweisungen aus dem Irak in Ländern wie Libanon, Iran, Syrien und Jemen genauer überprüfen will. Daraufhin hat auch der irakische Dinar im Verhältnis zum US-Dollar nachgegeben. Die US-Notenbank will den Irak in das internationale elektronische Überweisungssystem SWIFT eingliedern, wodurch viele Überweisungen aus den genannten Ländern blockiert würden.



Nach Schätzungen eines irakischen Wirtschaftsexperten sind die Überweisungen aus den Vereinigten Staaten in den Irak von 240 Millionen Dollar auf 22 Millionen Dollar pro Tag eingebrochen. Da die Hisbollah den Irak als wichtiges Land im Einflussbereich des Irans verortet, sieht sie solche Maßnahmen als Bedrohung – es erinnert sie zu sehr an den Kollaps des Finanzsystems im Libanon. 



Abgesehen von einer militärischen Eskalation bleiben Irans Verbündeten angesichts dieser US-Maßnahmen nur begrenzte Möglichkeiten. Die Schwierigkeiten im Irak lassen sich möglicherweise noch meistern. Im Libanon ist die Lage jedoch komplizierter angesichts einer schwierigen Präsidentschaftswahl, konfessionellen Spannungen und wirtschaftlichen Turbulenzen. Um diese Probleme zu bewältigen, wird sich die Hisbollah ein neues Instrumentarium zulegen müssen. Gewaltanwendung hilft hier ebenso wenig wie das Spielen auf Zeit. 

Mohanad Hage Ali

© Carnegie Middle East Center 2023

Mohanad Hage Ali ist Director of Communications und Senior Fellow am Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center.

Aus dem Englischen übersetzt von Gaby Lammers.