Kommunikation über Satellit

"In den vergangenen Monaten musste ich oft an einen Satz der deutschen Schriftstellerin Irmgard Keun denken: 'Sie tragen keine Hakenkreuze mehr, aber sonst hat sich nichts geändert.'" Der irakische Dichter Khalid Al-Maaly im Gespräch mit seinem Dichterkollegen Hussain Ali Younis.

Ein Gespräch zweier irakischer Dichter übers Satellitentelefon

Khalid Al-Maaly
Khalid Al-Maaly

​​In den vergangenen Monaten musste ich oft an einen Satz der deutschen Schriftstellerin Irmgard Keun denken, den ich zum ersten Mal vor über zwanzig Jahren gelesen habe: "Sie tragen keine Hakenkreuze mehr, aber sonst hat sich nichts geändert." Das schrieb sie am 10. 10. 1946 in einem Brief aus Köln an Hermann Kesten. Heute scheint die Lage im Irak nicht viel anders zu sein als in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Seit dem 9. 4. 2003 stellen wir uns viele Fragen. Wir wollen wirklich wissen, was gerade im Irak los ist. Die arabischen Medien sind im Allgemeinen den Irakern feindlich gesinnt und schmeicheln den Gefühlen der arabischen und muslimischen Massen. Kleine Ereignisse werden aufgebauscht. Das Leiden der Iraker unter Saddam wird ignoriert. Sogar die Massengräber finden nur am Rande Interesse. Als hätten diese Massaker überhaupt nicht stattgefunden.

Es ist fast unmöglich, telefonischen Kontakt zu bekommen. Und wenn es plötzlich doch möglich wird, dann hat man kaum Gelegenheit, sich ein Bild von den Zuständen zu bilden. Denn entweder handelt es sich bei dem Gesprächspartner um einen alten Freund oder um eine unbekannte Person. Ein richtiges Gespräch kann sich nicht entwickeln.

Vereinzelte Ausgaben der Zeitungen, die im Irak erschienen sind und die uns hier erreicht haben, spiegeln auch nicht das wirkliche Geschehen wieder.

Aber vor kurzem rief mich ein irakischer Freund aus den Vereinigten Arabischen Emiraten an. Er sagte mir, dass ich den Dichter Hussain Ali Younis in Bagdad anrufen könnte und gab mir seine Telefonnummer. Ich habe Hussain nie getroffen. 1994 fing er eine Korrespondenz mit mir an. Die Gedichte, die er mir geschickt hat, erregten meine Aufmerksamkeit. 1995 veröffentlichte ich zum ersten Mal einige davon in der Zeitschrift Uyun. Trotz der damit verbundenen Gefahren wurde er ein inoffizieller Mitarbeiter der Zeitschrift in Bagdad. Oft sollte er deswegen verhaftet, geschlagen und gedemütigt werden. Sein Gedichtband wird dieser Tage bei uns erscheinen. Einige Tage vor dem Ausbruch des Krieges versuchte ich ihn das letzte Mal zu erreichen. Seine Mutter war am anderen Ende und sagte trocken, er sei nicht da, sie wisse nicht, wo er sei und er wohne sowieso nicht mehr dort. Ich wollte nachhaken, aber sie legte auf.

Nun spreche ich mit ihm. Ohne Angst, die unsere früheren Gespräche diktierte, sprechen wir über Saddam und seine Ära. Wir beschimpfen ihn und lachen aus vollem Herzen. In den Wochen vor dem Krieg wurde Hussain vom Geheimdienst verfolgt. Weil sie seiner nicht habhaft werden konnten, verhafteten sie seine Brüder. Erst nach der Eroberung Bagdads kamen sie frei.

Wann kommst du? Ich habe gehört, dass du in dieser Woche kommen wirst! Wir haben einige Gedichte von dir veröffentlicht. Uns geht es wunderbar. Du wirst es nicht glauben. Wir haben das vorher nicht gekannt. Freie Presse, freie Dikussionen.

Aber was ist mit der Sicherheitslage?

Die Schnellstraßen sind tagsüber in Ordnung. Nachts wird es gefährlich.

Und der Zug zwischen Bagdad und Basra?

Er ist natürlich in Betrieb.

Was ist mit den kulturellen Persönlichkeiten geworden, die dem alten Regime nahe standen?

Einige sind verschwunden, andere haben sich der Religion zugewendet. Es gibt welche, die es geschafft haben, vom einen Ufer zum anderen zu wechseln.

Was meinst du damit?

Der letzte Sekretär von Udayy Saddam Hussein ist Chefredakteur einer Zeitung geworden, die von einem religiösen Gelehrten herausgegeben wird. Vor ein paar Tagen haben sie ihn verhaftet. Aber dieser Journalist, der Opportunist, der über andere Berichte verfasst hat...

Ja, was ist mit dem? Ist er auch verhaftet worden?

Nein, er ist jetzt Chefredakteur einer Zeitung, die von einer früheren Stütze des Regimes herausgegeben wird, die vor wenigen Jahren ins Exil ging. Und erinnerst du dich an diese selbst ernannte Dichterin, die keinen Geburtstag von Saddam Hussein ausließ, an dem sie ihn nicht in einem Gedicht gelobt hat?

Ja, ich glaube schon.

Sie gibt jetzt eine Kulturzeitschrift heraus.

Khalid Al-Maaly

Quelle: Berliner Zeitung, 21.06.2003