Nachhaltige Herausforderung

Tobias Zumbrägel ist Islam- und Politikwissenschaftler und Mitarbeiter des Center for Applied Research in Partnership with the Orient (Capro) . Er hat die Studie "The Looming Climate Peril, Sustainable Strategies and Environmental Activism in the Middle East and North Africa" herausgegeben.
Tobias Zumbrägel ist Islam- und Politikwissenschaftler und Mitarbeiter des Center for Applied Research in Partnership with the Orient (Capro) . Er hat die Studie "The Looming Climate Peril, Sustainable Strategies and Environmental Activism in the Middle East and North Africa" herausgegeben.

Klimawandel, Wasserknappheit und sinkende Öleinnahmen: Der Nahe Osten und Nordafrika stehen aus ökologischer Sicht vor riesigen Herausforderungen. Der Politikwissenschaftler Tobias Zumbrägel hat eine Studie darüber veröffentlicht, wie die Region mit diesen drängenden Fragen umgeht. Christopher Resch hat mit ihm gesprochen.

Von Christopher Resch

Herr Zumbrägel, viele Fachleute glauben, dass der Nahe Osten und Nordafrika global mit am stärksten vom Klimawandel betroffen sein werden. Zugleich hat die regionale Politik das Thema laut Ihrer Studie noch kaum auf der Agenda hat. Warum nicht?

 Tobias Zumbrägel: Das hat vielfache Gründe. Länder wie Libyen, Irak, Syrien oder Jemen befinden sich in militärischen Auseinandersetzungen, teils herrschen Bürgerkriege. Hier hat „soft policy“ einfach keine Priorität. Außerdem berührt das Thema politische Kernfragen von Macht und Legitimation und verstärkt dominierende autokratische Herrschaftsstrukturen. Wir können beispielsweise in den arabischen Golfmonarchien sehen, wie vor allem politische und wirtschaftliche Eliten von nachhaltigen Großprojekten profitieren. Ganz allgemein sehen wir sowohl auf politischer Ebene als auch in der Bevölkerung ein recht schwach ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein, das auch durch Aufklärungskampagnen oder im Bildungssektor kaum verstärkt wird.

Laut Ihrer Studie kommen positive Beispiele vor allem aus Nordafrika. Was passiert da?

Zumbrägel: Mit Marokko und Tunesien haben wir zwei Länder, die in den letzten Jahren einige Initiativen zu Umweltpolitik und Nachhaltigkeit vorangetrieben haben. In Tunesien haben bei der fundamentalen politischen Transformation nach 2011 auch ökologische Fragen eine Rolle gespielt. Die Regierung war sehr darauf bedacht, Umweltaktivisten mitzunehmen, weil sie eine politische Stimme haben.

Und Marokko?

Zumbrägel: Am Beispiel Marokko können wir gut nachvollziehen, wie man sich eine positive grüne Reputation aufbauen will. Schon 2016 wurde zum Beispiel ein Verbot von Plastiktüten beschlossen. Mit der Ausrichtung der UN-Klimakonferenz in Marrakesch im gleichen Jahr wollte König Mohammed VI. das noch untermauern.

Grünes Image am Golf

Wie sieht es in den Golfstaaten aus?

Zumbrägel: Auch hier versuchen die Herrscher, sich ein grünes Image aufzubauen. Katar zum Beispiel hat schon lange vor Marokko die Idee gehabt, mit der Ausrichtung der UN-Klimakonferenz 2012 in Doha sein internationales Image aufzupolieren. Was auch sehr notwendig war, denn damals hatte das reiche Emirat den höchsten ökologischen Fußabdruck pro Kopf weltweit. Auch die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft wird für ein grünes Image benutzt.  

Aber bei den Golfstaaten geht es vor allem um Energienachhaltigkeit. Es klingt erst einmal paradox, aber gerade in diesem globalen Zentrum der Energieproduktion kann es in den nächsten Jahren zu einem Energieengpass kommen. Während der heißen Sommermonate, wenn die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen, zeichnet er sich bereits jetzt ab.

Woran liegt das?

Zumbrägel: Das liegt am demografischen Wandel, aber auch am immensen Konsum und einer krassen Verschwendung von Ressourcen und Naturkapital, wenn wir uns zum Beispiel die Skihallen in Dubai anschauen. Viele dieser Staaten haben angefangen, Gas beispielsweise aus Katar zu importieren, um den nationalen Verbrauch an Energie sichern zu können. Abu Dhabi und Saudi-Arabien experimentieren mit Atomenergie, Dubai hat ein Kohlekraftwerk errichtet, obwohl Kohle der einzige Rohstoff für Energie ist, der dort nicht natürlich wächst. Diese Beispiele zeigen schon, dass es nicht so sehr um eine authentische ökologische Politik geht, sondern um Fragen der Energiesicherheit und einer Reputation als globalem Energie-Knotenpunkt.

Äthiopien | Nil-Staudamm Grand Ethiopian Renaissance Dam; Foto: picture-alliance/dpa/G.Forster
Nil-Staudamm Grand Ethiopian Renaissance Dam: Aktuell kocht der Konflikt um den Staudamm in Äthiopien hoch, sagt Tobias Zumbrägel, und der Streit zwischen Ägypten und Äthiopien um das Nilwasser könnte zu einer regionalen Krise heranwachsen. Zumbrägel glaubt, dass Umweltzerstörung und Klimawandel in Zukunft solche Konstellationen noch verstärken werden.

 

Lesen Sie auch:

Umweltzerstörung in Indonesien: Biodiesel - Urwaldvernichtung fürs Klima

Öko-Islam in Indonesien: Kampf dem wachsenden Plastikmüll

Islam, Natur und Nachhaltigkeit: "Die Umweltkrise ist auch eine spirituelle Krise"

 

Wasserknappheit schafft Konflikte

Andere Länder der Region haben noch einmal ganz elementare Sorgen.

Zumbrägel:  In der Levante, im fruchtbaren Halbmond und auch in Ägypten ist Wasserknappheit das Hauptproblem. Die Region ist eigentlich reich an Wasserreserven, dementsprechend hat sich eine starke Landwirtschaft entwickelt. Aber durch Faktoren wie Erderwärmung, Anstieg des Meeresspiegels, Versalzung und Verschmutzung von Böden haben wir hier nun Sorgen um Wassersicherheit.

Streit ums Wasser war in der Vergangenheit auch ein Auslöser von Konflikten.

Zumbrägel: In der Tat sehen wir in der gesamten Region eine Reihe von Konflikten um Wasserressourcen. Aktuell kocht in den Medien der Konflikt um die Entstehung des GERD-Staudamms in Äthiopien, dem Grand Ethiopian Renaissance Dam, hoch.

Schon in den 1970er-Jahren hat der spätere UN-Generalsekretär Boutros Boutros Ghali gesagt, der nächste Krieg im Nahen Osten werde sich am Wasser entzünden. Nun wird das rhetorische Säbelrassen aus Kairo und Addis Abeba lauter und der Streit könnte zu einer regionalen Krise heranwachsen. Ich glaube, dass sich solche Konstellationen noch verstärken werden, weil Umweltzerstörung und Klimawandel sie verschärfen können.

Hochhäuser in Doha, Katar Foto: Brigitte Osterath
Die Skyline von Doha: Katar wollte bereits mit der Ausrichtung der UN-Klimakonferenz 2012 in Doha sein internationales Image aufpolieren. Was auch sehr notwendig war, denn damals hatte das reiche Emirat den höchsten ökologischen Fußabdruck pro Kopf weltweit. Auch heute noch ist es ein Symbol für immensen Konsum und krasse Verschwendung von Ressourcen und Naturkapital.

Wechseln wir von der Geopolitik auf die soziale Ebene: Wurden auch Massenproteste von ökologischen Themen befeuert?

Zumbrägel: Ökologische Erwägungen haben in vielen Protestwellen der letzten Jahre eine begleitende Rolle gespielt. Vorrangig drehte es sich um soziale Ungerechtigkeit, um den Kampf gegen autokratische Führung und Korruption. Aber natürlich geht es am Ende auch um Umweltverschmutzung und die Ausbeutung und Verteilung von natürlichen Ressourcen.

Wo zum Beispiel?

Zumbrägel: In Marokko demonstrierten Menschen beispielsweise für einen besseren Wasserzugang, im Libanon gegen eine korrupte Abfallwirtschaft und in Tunesien gegen die Auswirkungen von Umweltverschmutzung durch Industrieanlagen. Daneben gibt es Proteste, deren Auslöser zwar direkt mit den Auswirkungen des Klimawandels verbunden sind, die aber in der öffentlichen Diskussion anders wahrgenommen werden: Etwa im Zuge der verschiedenen Überschwemmungen, die die Stadt Dschidda an der Westküste Saudi-Arabiens in den letzten Jahren erlebt hat. Gerade nach den heftigen Fluten von 2009 kam es zu für Saudi-Arabien recht maßgeblichen Protesten in den sozialen Netzwerken.

Vor allem weil zahlreiche Menschen wegen Unkenntnis der Gefahren gestorben waren.  Diese Flut wurde allerdings weniger im Zusammenhang mit Klimaproblemen betrachtet, sondern in Hinblick auf Missmanagement und Korruption in der Verwaltung. Während der Gouverneur der Provinz Dschidda abtrat, blieb die Kritik am saudischen Königshaus und ihrer nicht vorhandenen Umweltpolitik aber sehr gering.

Schwerer Stand für Nichtregierungsorganisationen

Warum haben von Bürgern gegründete Organisationen für Umweltbelange in fast allen Ländern der Region einen schlechten Stand?

Zumbrägel: Dazu gehören zwei Aspekte. Zum einen werden solche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) von Seiten des Staates immer auch als Herausforderer oder Mitwettbewerber betrachtet, die die Stabilität und Legitimität der Regierung bedrohen. Denn am Ende könnte der Eindruck entstehen, dass der Staat seinen Kernaufgaben nicht nachgekommen ist. Die Angst unter den Autokraten ist groß, dass das schließlich zu politischen Unruhen führt. Zum anderen haben es solche Organisationen auch in der Bevölkerung nicht leicht. Man sieht einfach keine große Notwendigkeit für nichtstaatliche Aktionen. Beides sorgt dafür, dass die juristischen und institutionellen Hürden für eine NGO sehr, sehr hoch sind.

Gibt es dafür ein Beispiel?

Zumbrägel: In Iran sind im vergangenen Jahrzehnt viele Umwelt-NGOs entstanden. Die Rohani-Regierung ab 2013 hat sie sogar gefördert, weil man erkannt hat, dass sie lokale Umweltprobleme wesentlich effektiver angehen können. Dann aber kam es in den letzten Jahren vermehrt zu Repressionen. Anfang diesen Jahres zum Beispiel wurden mehrere Mitglieder der Persian Wildlife Heritage Foundation wegen angeblicher Spionage inhaftiert.

Sie erwähnen in Ihrer Studie die These, dass Rohstoffreichtum autoritäre Praktiken verschärft. Was ist damit gemeint?

Zumbrägel: Häufig wird behauptet, dass mit den Erlösen aus dem Verkauf von Öl und Gas großzügige Wohlfahrtsgeschenke an die Bevölkerung gemacht werden könnten, wie etwa kostenlose medizinische Versorgung. Es ist eine gängige autokratische Praxis, zu sagen: Solange ihr keine Steuern zahlen müsst, dürft ihr auch keine Repräsentation einfordern. Wohlfahrtsgeschenke können aber auch akut dazu eingesetzt werden, um Proteste zu beruhigen, wie 2011 in den Golfmonarchien. Allerdings sollte man die Bedeutung dieser sogenannten Rentierstaatentheorie nicht überbewerten. Denn mittlerweile haben auch die reichen Golfmonarchien angefangen, Steuern einzuführen, wie etwa eine Mehrwertsteuer.

Das Masdar Institute in Masdar City; Foto: DW
Masdar City in Abu Dhabi sollte die erste Stadt der Welt sein, die ganz ohne Emissionen auskommt. Davon ist man mittlerweile abgerückt. Mittlerweile spricht man nur noch davon, anfallende Treibhausgase zu kompensieren, beziehungsweise sogar lediglich kohlenstoffarm zu wirtschaften. Trotzdem meint der Politikwissenschaftler Tobias Zumbrägel, hier werde schon etwas für die globale Reduzierung von Emissionen getan.

Wird eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit mit der Covid-19-Bedrohung vollends zum Luxus? Oder bietet die Krise eine historische Chance?

Zumbrägel: In allen Teilen der Welt versucht man, die stark gebeutelte Wirtschaft wieder anzukurbeln, aber ich befürchte, dass man wieder viel stärker in alte Muster zurückfallen wird. Manche Länder in der Region sind ja doppelt gebeutelt: Sie haben sich noch nicht von der letzten Ölkrise ab 2014 erholt, und jetzt kommt schon der nächste Einbruch des Ölpreises.

Eine gleichsam durch die Krise erzwungene Investition in grüne Technologien ist also unrealistisch?

Zumbrägel: Es gibt durchaus Initiativen, um von der fossilen Energieerzeugung wegzukommen und energieeffizienter zu werden, aber nur auf nationaler Ebene. Denn eigentlich möchte die rohstoffreichen Länder der Region immer noch weiter Öl fördern, produzieren und vor allem verkaufen, auch um ihre wirtschaftliche und damit auch politische Stabilität zu erhalten. Trotz wohlklingender grüner Initiativen wird immer wieder unterschlagen, dass alle diese Länder auch jetzt noch sehr stark an ihrer Öl- und Gas-Infrastruktur weiterarbeiten, sie sogar noch ausbauen. Der letzte Tropfen Öl soll definitiv in Saudi-Arabien abgebaut werden, und nicht woanders.

Ist also am Ende alles nur Greenwashing?

Zumbrägel: In einigen Punkten trifft dieser Vorwurf durchaus zu. Es geht vielen Regierungen darum, die wirtschaftliche Prosperität und den Wohlfahrtsstaat sicherzustellen, sowie um Imagepflege nach innen und nach außen. Vor allem aber geht es darum, klientelistische Netzwerke zu bedienen. Trotzdem finde ich es sinnvoller, von „Greening“ zu sprechen als von „Greenwashing“. Abu Dhabi zum Beispiel hat versprochen, mit Masdar City die erste Stadt gründen zu wollen, die ganz ohne Emissionen auskommt. Davon ist man mittlerweile abgerückt, mittlerweile spricht man nur noch davon, Emissionen zu kompensieren, beziehungsweise sogar lediglich kohlenstoffarm zu wirtschaften. Aber: Letztendlich wird hier schon etwas für die globale Reduzierung von Emissionen getan. Jedenfalls mehr, als wenn diese Länder es komplett seinlassen würde.

Christopher Resch

© Qantara.de 2020

Tobias Zumbrägel ist Islam- und Politikwissenschaftler und Mitarbeiter des Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO) . Er hat die Studie "The Looming Climate Peril, Sustainable Strategies and Environmental Activism in the Middle East and North Africa" herausgegeben.