"Proviant" für den Reisenden ins Dorf Tunis

Ein Karikaturenmuseum in der ägyptischen Provinz bewahrt kulturelles Erbe und eröffnet den Dorfbewohnern neue Perspektiven. Von Sameh Fayez.

Von Sameh Fayez

"Zad al-Mosafer" (dt. Reiseproviant) lautet die Aufschrift auf einer kleinen Mauer am Eingang zum Dorf Tunis im ägyptischen Gouvernement Fayoum. Von dort führt der Weg einige Minuten durch Ackerland bevor man auf das Hotel "Zad al-Mosafer" trifft, das im Stile ländlicher Gebäude mit Kuppeldächern aus Lehm erbaut ist und in dem die Gäste des Dorfes wohnen. Geht man dann noch einige Minuten weiter durch einen engen, laubbedeckten Gang, gelangt man zu einer großen Fläche, in dessen Mitte sich ein Kunstzentrum und ein Karikaturenmuseum befinden, die der ägyptische Künstler Mohamed Abla gegründet hat. Die beiden Gebäude sind ebenfalls im Stile ländlicher Lehmhäuser gebaut, aber sie zeichnen sich durch eine gestalterische Ästhetik aus, die bei dieser Art Häusern zuvor unbekannt war.

In dem Kunstzentrum sitzt Abla mit einer Feder vor der Leinwand, auf der er gerade zeichnet. Dann wendet er sich mir zu und erläutert: "Wir werden den Dorfbewohnern die Kultur nicht mit dem Löffel verabreichen, wir stellen nur eine Leinwand vor sie, ein Buch oder einen schönen Anblick, der ihnen vorher nicht geboten wurde. Sicher wird das auf lange Sicht Einfluss auf ihre Seelen haben. Wir schaffen ihnen eine neue Wirklichkeit und die Wahl liegt dann bei ihnen."

Wandel durch Kunst

Kulturelle Aktivitäten konzentrieren sich in Ägypten auf die wichtigsten Zentren und auf die wichtigsten Städte in den Provinzen, fehlen aber völlig in den mehr als 4000 Dörfern des Landes. Den meisten dieser Dörfer fehlen außerdem lebensnotwendige Dienste wie Strom-, Wasser- und Gesundheitsversorgung.

Angesichts dieser Umstände beschloss Abla, mit seinem Pinsel und seiner Leinwand in ein Dorf umzuziehen, um eine Art Verteilungsgerechtigkeit im Bereich Kultur herzustellen und um den Menschen nahezubringen, dass Wandel nicht ohne Kunst und Bildung geschehen wird. Dazu erläutert er: "Im Jahr 2005 habe ich mit dem Aufbau meines ersten Kunstprojektes im Dorf begonnen, dann habe ich 2009 das Karikaturenmuseum gegründet, jetzt sind zehn Jahre vergangen und ich bin einer der Dorfbewohner. An erster Stelle müssen wir aber erkennen, dass Wandel durch Kultur nur auf lange Sicht wirkt, wir sehen ihren Einfluss nur nach Jahren, vielleicht fühlen erst nachfolgende Generationen die Auswirkungen."

Das Karikaturenmuseum in Tunis im Stile ländlicher Lehmhäuser; Bild: Goethe-Institut Kairo/ Sameh Fayez
Das einzige Karikaturenmuseum in Afrika ist im Stile ländlicher Lehmhäuser erbaut. Forscher aus der Schweiz und aus Deutschland kommen in das Dorf Tunis und zu seinem Museum, um Magister- und Doktorarbeiten über die Geschichte der Karikatur im Nahen Osten zu schreiben.

Mohamed Abla studierte 1977 Fotografie an der "Fakultät für Schöne Künste" der Universität von Alexandria, dann studierte er 1981 Bildhauerei am "Arts and Industries College" in Zürich (Schweiz).

1990 arbeitete er für sechs Monate als Direktor der Abteilung für Bildende Künste des Kairoer Opernhauses und als Gastdozent für Kunst an der schwedischen Schule Orebro. Er lebte eine Zeit lang in Spanien, Deutschland, Österreich und der Schweiz und hat seine Werke in Deutschland, Italien, den Niederlanden und Schweden ausgestellt. Schließlich entschied er sich aber, in einem abgelegenem Dorf im Westen des Regierungsbezirks Fayoum zu leben, um Künstlern eine wirkliche Rolle bei der Veränderung der Gesellschaft, in der sie leben, zu geben.

Das Dorf Tunis, das die Künstler in eine Touristenattraktion und in ein Zentrum für Kunsthandwerk verwandelt haben und dessen Bewohner und Bewohnerinnen sich in der Keramikproduktion hervortun, erhält keine staatliche Unterstützung. Abla sagt dazu: "Es ist verwunderlich, dass in 40 Jahren kein ägyptischer Kulturminister daran gedacht hat, das Dorf zu besuchen. Wir haben Versprechungen von einem der Minister erhalten, diese kulturellen Projekte zu fördern, was eigentlich die natürliche Aufgabe seines Ministeriums wäre, aber es ist bei bloßen Versprechungen geblieben."

Glaub an deine Fähigkeiten

Abla legt seinen Pinsel beiseite und erzählt weiter: "Das Museum begrüßt seine Besucherinnen und Besucher mit einigen Karikaturen aus Zeitungen und Zeitschriften der 20iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die ältesten Zeichnungen sind aus dem Jahr 1927. Die meisten Bilder sind Originale, abgesehen von einigen wenigen, die aus Zeitungen und Zeitschriften entnommen sind. Ferner gehören die meisten dieser Karikaturen zu den ältesten Bildern, die in der Sammlung des Museum enthalten sind. Diese Zeichnungen sind in Zeitungen erschienen, die heute nicht mehr herausgebracht werden, wie zum Beispiel: "Al-Mitraqa" (der Hammer), "Al-Fukaha" (der Humor), "Al-Kashkul" (die Mixtur) und außerdem in einigen journalistischen Publikationen, die auch heute noch erscheinen, wie zum Beispiel das Magazin "Rose al-Youssef", und "Sabah al-Khair" (Guten Morgen)."

Abla fährt fort: "Obwohl ich alle meine Ersparnisse in das Kulturzentrum und das Karikaturenmuseum gesteckt habe, hat das Kulturministerium weder den Ort noch seine Bedeutung als einziges Karikaturenmuseum in Afrika bemerkt. Trotzdem fühle ich jetzt Ruhe. Ich hatte das Ziel, unser kulturelles Erbe im Bereich Karikaturen zu erhalten, und das habe ich schließlich mit der Gründung des Museums erreicht.

Der Gründer des Karikaturenmuseums, Mohamed Abla, vor einigen Gemälden; Bild: Goethe-Institut Kairo/ Sameh Fayez
Der ägyptische Künstler und Gründer des Karikaturenmuseums, Mohamed Abla: Er bemüht sich, eine Art Verteilungsgerechtigkeit im Bereich Kultur herzustellen. Es kommen regelmäßig Schulausflüge aus vielen Bezirken Fayoums zu dem Museum.

Um die Bedeutung des Museums zu verstehen, muss man wissen, dass die Organisation "Dar al-Hilal" (Halbmondhaus), die die wichtigsten Zeitschriften für Karikatur in Ägypten sammelt, ihr gesamtes Archiv verloren hat. Die Zeitschrift Al-Ahram besitzt nicht die Originale der Zeichnungen von Salah Jaheen . Während also der Staat, der durch seine kulturellen Organisationen repräsentiert wird, dieses Museum ignoriert hat, kamen Forscher aus der Schweiz und Deutschland in das Dorf, um Magister- und Doktorarbeiten über die Geschichte der Karikatur im Nahen Osten zu schreiben."

Am Abend setzt sich ein junger Mann vor das Museum, das in der Mitte der Felder von Tunis liegt. Er beginnt, Oud zu spielen und zu singen. In seiner Nähe stehen zwei Kinder aus dem Dorf, die zunächst der Musik zuhören und mich dann bei meinem Rundgang durch das Museum begleiteten. Die öffentliche Bibliothek in der oberen Etage des Museums enthält Bücher in zahlreichen Sprachen, die den Lesern jederzeit zur Verfügung stehen.

Auf die Frage nach den Besuchern des Karikaturenmuseums antwortete sein Besitzer: "Das Museum ist regelmäßig das Ziel von Schulausflügen aus allen Bezirken Fayoums und besonders am Freitag und Samstag (Wochenende in Ägypten) kommen Besucher aus Kairo und verschiedenen anderen Provinzen. Wenn du jetzt durch das Dorf spazierst, wirst du deutlich sehen, wie viel Kunst und Kultur dazu beigetragen haben, seine Bewohner zum Besseren zu wandeln. Die meisten von ihnen arbeiten jetzt in der Keramikproduktion und es kommen Besucher aus aller Welt zu ihnen, um ihre Produkte zu kaufen. Sie nehmen an internationalen Messen teil, um ihre Produkte zu vermarkten. Das hat sich auch auf sozialer Ebene auf die Dorfbewohner ausgewirkt."

Nach Tunis bin ich mit einem Pick-up gefahren, auf dessen Ladefläche die Passagiere sitzen. Obwohl dieses Autor nicht für den Transport von Passagieren geeignet ist und trotz seiner Risiken, ist es das einzige Transportmittel zwischen den Dörfern von Fayoum. Während der Fahrt habe ich mich mit dem Fahrer unterhalten.

Obwohl er mich von der Stadt Abshuawi im Zentrum der Provinz Fayoum nach Tunis brachte, die 50 Kilometer weit von dem Dorf entfernt liegt, erinnerte er sich an die Namen der Künstler, die in Tunis wohnen als wären sie seine Nachbarn: "Abdu Habib, Mohamed Abla, Evelin." Er verliert sich in seinen Erinnerungen an Tunis: "Diese Künstler hatten eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Lage der Dorfbewohner, insbesondere die Schweizerin Evelyn, die vor Jahrzehnten ins Dorf zog. Allerdings fühlen nur die Bewohner von Tunis diese Veränderung. In der Umgebung von Tunis gibt es noch viele weitere Dörfer, die dieselbe Aufmerksamkeit brauchen."

Sameh Fayez

© Goethe-Institut Kairo 2016

Sameh Fayez ist ein ägyptischer Journalist und Romanautor.

Übersetzung aus dem Arabischen: Katrin Köster