Junge Literaturszene in Marokko
Erschienen bei Facebook

Soziale Netzwerke ermöglichen es Autoren, Texte zu veröffentlichen, die bei den traditionellen Verlagshäusern keine Beachtung finden. In Marokko ist dadurch eine lebendige junge Literaturszene entstanden. Von Ismail Azzam

Mit dem Aufkommen der sozialen Netzwerke nahmen auch die Befürchtungen zu, die marokkanische Jugend würde in Zukunft noch weniger lesen, als sie es ohnehin schon tut.

Statistiken zeigen, dass die meisten Menschen in Nordafrika und dem Nahen Osten derzeit lediglich ein paar Seiten im Jahr lesen. Und tatsächlich hat die Revolution des Alltags durch das mittlerweile omnipräsente Smartphone dazu geführt, dass Bücher in vielen Haushalten nur noch als schmückendes Beiwerk in den Wohnzimmerregalen stehen.

Dieser pessimistischen Szenerie zum Trotz nutzen einige Marokkaner die sozialen Netzwerke aber auch, um sich eingehender mit Literatur zu beschäftigen. Interessierte finden auf Facebook-Gruppen mit Namen wie „Literatur, die ich gelesen habe“,  „Unsere Bücher“ oder „Der reisende Roman“. In jeder dieser Gruppen tummeln sich tausende Literaturinteressierte. Auch auf der digitalen Plattform „Goodreads“ treffen sich Leser, um über Bücher zu diskutieren und sie zu bewerten.

Das Interesse an Literatur beschränkt sich allerdings nicht auf das Lesen, sondern führt auch zum Schreiben. Aufmerksame Beobachter konnten registrieren, dass zuletzt Dutzende von marokkanischen Nachwuchsautoren frühzeitig eine literarische Laufbahn eingeschlagen haben, obwohl einige von ihnen zuvor lediglich auf ihrer Facebookseite Texte veröffentlicht hatten.

Zu den Autoren, die ihren Weg zum marokkanischen Publikum ursprünglich über die sozialen Netzwerke gefunden haben, gehören unter anderem Abdelaziz Elabdi und sein Buch „Kunnasch al-Wudschuh“ (eine arabische Bezeichnung für Facebook), Abdessamia Bensabir mit dem kürzlich veröffentlichten Roman „Der Schwanz der Schlange“ sowie Mohammad Benlimoud mit seinem Werk „Das gefährliche Viertel“.

Einige weitere Autoren, deren literarische Arbeit entweder in den sozialen Netzwerken ihren Anfang nahm, oder über diese verbreitet wurde, werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt. Die Auswahl der Schriftsteller ist jedoch nicht als Ausdruck einer künstlerischen Wertung zu begreifen. Sie soll vielmehr exemplarisch illustrieren, wie es um den literarischen Nachwuchs in Marokko bestellt ist.

Abdelmajid Sebbata: Literarische Qualität setzt sich durch

Der Preisgekrönte, marokkanische Autor Abdelmajid Sbata (Foto: privat)
Die literarische Qualität steht im Mittelpunkt: „Es ist aber weiterhin viel Arbeit nötig, um den Traum von einer lesenden Gesellschaft zu verwirklichen oder wenigstens eine neue kreative Generation hervorzubringen, die in der Lage ist, die literarische Tradition Marokkos fortzuführen“, meint der preisgekrönte Autor Abdelmajid Sbata.

Für seinen zweiten Roman „Stunde Null“ wurde Abdelmajid Sebbata mit dem marokkanischen Literaturpreis 2018 in der Kategorie „Fiktion“ ausgezeichnet. Im Gespräch mit Qantara.de erzählt Sebbata, dass er zwar bereits vor dem Siegeszug des Internets mit dem literarischen Schreiben angefangen habe. Jedoch habe erst die digitale Welt zu einer direkten Begegnung mit seinem Publikum geführt und dessen Feedback zu seiner Arbeit ermöglicht.

Seiner Ansicht nach ist aber weiterhin viel Arbeit nötig, um „den Traum von einer lesenden Gesellschaft zu verwirklichen oder wenigstens eine neue kreative Generation hervorzubringen, die in der Lage ist, die literarische Tradition Marokkos fortzuführen“.

Obwohl er durchaus von den sozialen Netzwerken profitiert hätte, um sein letztes Werk einem möglichst breiten Publikum bekannt zu machen, reichten die digitalen Kanäle alleine nicht aus. „Sich nur auf die Zahl der Follower zu verlassen, ist ein schwerer Fehler“, sagt Sebbata. „Am Ende zählt nur die Qualität. Irgendwann kristallisiert sich immer heraus, was wirklich gute Literatur ist, auch wenn es manchmal eine Weile dauert.“ An schlechte Literatur erinnere sich hingegen schon nach kurzer Zeit niemand mehr, egal wie viele tausend Follower ein Autor hat.

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