Generation des Zwiespalts

"Darband" und "Sar be Mohr" sind zwei neue iranische Spielfilme, die tiefe Einblicke in die modernen Lebenswelten junger Iraner eröffnen und ihre Zerrissenheit in der Islamischen Republik verdeutlichen. Massoud Schirazi hat die beiden Filme in Teheran gesehen.

Von Massoud Schirazi

Das iranische Kino ist in Europa seit vielen Jahren ein Publikumsliebling unter den Fans des innovativen Weltkinos. Iranische Filme werden für ihre authentische Darstellung der meist widersprüchlichen Lebensrealitäten gelobt, wie zuletzt Asghar Farhadis erfolgreiches Drama "Nader und Simin". Viele iranische Filme feierten wegen ihrer Gesellschaftskritik internationale Erfolge und entfalteten dabei manchmal auch eine schablonenhaft Wirkung – zum Beispiel, wenn es um die Situation der Frau in der Islamischen Republik ging.

Doch gibt es bis heute zahlreiche beachtliche Filmproduktionen, die es nicht auf die Preistribünen internationaler Kinofestivals schaffen. Zwei davon, die im vergangenen Winter in den Teheraner Kinos gezeigt wurden, setzen sich mit einem Thema auseinander, das bisher wenig Aufmerksamkeit erfahren hat: der Zusammenprall von westlicher und iranischer Kultur und die Zerrissenheit vieler junger Menschen im Iran.

Der Name "Darband" steht in Teheran für Spaß, Ausgelassenheit und den Geschmack von Freiheit. Die Bergschlucht am nördlichen Stadtrand ist der Lieblingsausgehort von Pärchen, hippen Teheraner Cliquen und jungen Familien. "Darband" heißt auch der neue Film von Parviz Shabazi, einem bisher wenig bekannten Regisseur, der auf dem iranischen "Fajr"-Filmfestival im letzten Jahr für diesen Film den "kristallenen Simorgh" gewonnen hat.

Gegensätzliche Lebenswelten

"Darband" ist ein sorgsam inszeniertes Drama, dessen Protagonistin eine Studienanfängerin ist, die nach dem Gymnasium nach Teheran zieht: Naznin stammt vom Land, nur 80 Kilometer von Teheran entfernt, und kommt doch wie aus einer anderen Welt. Als sie erfährt, dass das Uniwohnheim keine freien Plätze mehr hat, mietet sie sich ein Zimmer in der Wohnung einer Teheraner Parfümverkäuferin.

Filmplakat "Sar be Mohr"; Foto: Massoud Schirazi
Es ist ein Paradox, was in „Sar be Mohr“ auf den Punkt gebracht wird: Religiosität ist in der Islamischen Republik bei weiten Teilen der jungen Generation zu einem Tabu geworden.

Schon während der ersten Unterhaltung der beiden jungen Frauen werden ihre unterschiedlichen Lebensweisen und Entwürfe deutlich: Sahar spricht im Teheraner Slang-Farsi, Naznin ist höflich-distanziert, tastet sich langsam an die Großstadt heran.

In ihrem neuen Zuhause wird Naznin mit einer anderen Realität konfrontiert: Sahars Nächte sind lang und voll lauter Musik. Ihre Freunde gehen in der Wohnung ein und aus, es wird Wasserpfeife geraucht, man gibt sich cool und fährt mit schnellen Autos durch die Stadt. Naznin dagegen kommt nicht zum Lernen und gerät mit Sahar aneinander, die – wie sich bald herausstellt – hohe Schulden hat und mit ihrem Gläubiger eine sexuelle Beziehung eingegangen ist. Da sie nicht zahlen kann, wird sie schließlich verhaftet.

Die unbefangene Naznin versucht nun, Sahar zu helfen und gerät dabei zwischen die Fronten. Am Ende wird sie so weit in die Spirale von Intrigen und Egoismus hineingezogen, dass sie selbst vor Sahars Dilemma gestellt und von Geldeintreibern verfolgt wird. Sahar ist selbst ist inzwischen nach Europa ausgewandert.

Kontrollverlust

"Darband" reflektiert das Leben einer Generation, der im Streben nach einer Art von "amerikanischem Lebensstil" die Orientierung abhanden gekommen ist und sich von Moral und Ethik entfernt hat. Die Ehrlichkeit eines jungen Menschen, der behütet und traditionell aufgewachsen ist, kann in diesem Umfeld nicht überleben. Eine iranische Filmkritik versteht Teheran im Film "Darband" als eine "hyper-entwickelte, moderne Großstadt (...), deren Bewohner sich untereinander ähneln - und jeder, der nicht dazugehört, ist zum Untergang verdammt."

Ein weiterer Streifen, der im Winter über Teherans Leinwände lief, ist "Sar be Mohr" (mit dem englischen Titel "The Sealed Secret") des Regisseurs Hadi Moghadamdast. "Mohr" ist der runde Gebetsstein, auf den die Schiiten zum Gebet ihren Kopf legen. "Sar be Mohr" ist ein Wortspiel, denn es bedeutet sowohl "Kopf auf den Mohr(-Stein)" und hat gleichzeitig die Konnotation von einem "intimen Geheimnis".

"Sar be Mohr" handelt vom unruhigen Dasein einer jungen Frau namens Saba, die von Leila Hatemi (bekannt aus "Nader und Simin") gespielt wird. Saba verbringt einen Großteil ihrer Zeit im Internet und breitet in einem Onlineforum ihr Leben aus. Rat für ihre Probleme sucht sie bei virtuellen Freunden – denn in der realen Welt fühlt sie sich nicht zuhause.

Zu Beginn von "Sar be Mohr" reist Saba aufs Land zu ihrer blinden Schwester. Sie will alles unternehmen, um ihr das Leben leichter zu machen. Schnell wird aber deutlich, dass diese mit ihrem Leben trotz Blindheit zufriedener ist als die sehende Saba.

Ein Motiv zieht sich durch Sabas Alltag – sie ist tief religiös, kann ihre Religiosität aber in der säkularisierten Umgebung von Freunden und Familie nicht offen ausleben. Viele Szenen spielen in Sabas Teheraner Wohnung. Sie wendet sich in Tränen verzweifelt und verschämt an Gott, betet um Mut und darum, dass sie eine Arbeit findet. Als sie zu einem Job als Hostess eingeladen wird, ertönt während des Vorstellungsgesprächs der Gebetsruf. Saba erstarrt, wird still, und jäh aus dem Hier und Jetzt gerissen – ein Vorgang, der sich im Film mehrfach wiederholt. Ihr Wunsch, beten zu gehen, erntet beim Gegenüber Spott und Unverständnis.

Zerrissenheit zwischen Innen und Außen

Sabas Drang zur Frommheit findet in ihrem sozialen Umfeld kein Verständnis. Letztendlich scheitert sie an der Zerrissenheit zwischen Innen und Außen – ein Konflikt, mit dem viele junge Iraner konfrontiert sind. Der einzige Ort, an dem sie sich selbst zeigen kann, bleibt das Internet. Sie scheitert sowohl im Umgang mit Freunden als auch in einer Beziehung, die wegen Sabas starker Introvertiertheit nicht zustande kommen kann.

Es ist ein Paradox, was in "Sar be Mohr" auf den Punkt gebracht wird: Religiosität ist in der Islamischen Republik bei weiten Teilen der jungen Generation, vor allem in Teheran, zu einem Tabu geworden. Die Coolness, das schnelle Leben am urbanen Puls der Zeit und an der Kultur des Westens – diese unausgesprochenen sozialen Normen verbieten es heute in Teheran vielen jungen Menschen, den religiösen Traditionen der Elterngeneration zu folgen.

"Darband" und "Sar be Mohr" sind zwei Filme, die dem außenstehenden Betrachter einen neuen Blickwinkel auf das Leben junger Iraner eröffnen. Sie zeugen von den gesellschaftlichen Spaltungen im städtischen Iran, die nicht immer nach klaren Linien verlaufen. Das iranische Kino bleibt das vielleicht kritischste Medium in der Islamischen Republik und wird dabei auch zu einem Spiegel, den es den iranischen Kinobesuchern vorhält.

Massoud Schirazi

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de