Zwischen den Fronten

Heute riskiert jeder afghanische Journalist Leib und Leben, wenn es darum geht, objektiv über die Missstände im Land zu berichten. Nicht nur die Taliban, sondern auch die pro-westliche Regierung scheinen in mutigen Journalisten Feinde zu sehen. Ratbil Shamel und Najibullah Zeyarmal berichten.

Interview mit Afghaninnen in Burka; Foto: AP
Afghanische Frauen werden von einem Fernsehteam interviewt

​​Der Wiederaufbau in Afghanistan stockt, die Sicherheitslage verschlechtert sich von Tag zu Tag. In vielen Teilen des Landes tobt ein brutaler Krieg mit vielen militärischen und zivilen Opfern. Mohnanbau und Korruption erreichen traurige Rekorde. Doch keiner will für diese Lage verantwortlich sein.

Journalisten, die über diese Missstände berichten, riskieren ihr Leben. Sie werden sowohl von der Regierung als auch von den Taliban und ihren Verbündeten unter Druck gesetzt. Jede Seite verlangt objektive Berichterstattung – und meint damit die eigene Sichtweise.

Die Schuld des Boten

Für die Staatsmacht in Kabul steht fest: Nicht die Situation im Land ist schlecht, sondern die Berichterstattung über das Land. Die Pressefreiheit, die man vor wenigen Jahren nach dem Sturz der Taliban großzügig ins Gesetzbuch geschrieben hatte, wird Schritt für Schritt eingeschränkt.

Mujib Khelwatgar, ein Printjournalist aus Kabul, beklagt sich über die Praktiken der Behörden in der Hauptstadt:

"Unser größtes Problem ist, dass die Behörden uns keine brauchbaren Informationen geben. Wenn wir sie selbst auf anderen Wegen herausfinden und veröffentlichen, müssen wir mit Repressalien rechnen."

Die Journalistenverbände in Afghanistan werfen der Regierung eine versteckte Kampagne gegen die Pressefreiheit vor. Auf Wunsch der Regierung wurde das Pressegesetz von beiden Kammern des Parlaments geändert.

Drastische Einschränkung der Pressefreiheit

Laut dem neuen Gesetz, das dem Präsidenten bald zur Unterschrift vorgelegt wird, darf zum Beispiel nichts berichtet werden, was als gegen den Islam und das politische System des Landes gerichtet interpretiert werden kann. Eine nähere Definition solcher möglichen Verstöße wird nicht gegeben.

Die Gefahr bestehe nun, sagt Kheltwatgar, dass die Regierung willkürlich jede kritische Berichterstattung als gesetzeswidrig geißelt und damit unterbinden kann.

Der öffentlich-rechtliche Sender RTA dürfe schon jetzt kein kritisches Wort zur Politik der Regierung äußern. Die einstigen Pläne, RTA solle von der Regierung unabhängig werden, sind auf Eis gelegt. Im Demokratieverständnis der Machthabenden in Kabul gehören Presse und Freiheit nicht zusammen.

"Die Politiker unseres Landes wissen nicht, dass Pressefreiheit viele gute Seiten hat und zu einem demokratischen System dazugehört", so Kheltwatgar.

Lebensgefährlicher Job

Doch um die Demokratie, so scheint es, macht sich die Regierung wenig Sorgen. Viel schlimmer als die Lage der Demokratie gilt die Lage im Süden und Osten des Landes. In diesen Gebieten haben es die Journalisten am schwersten. Hier stehen sie zwischen den Fronten.

Mohammad Abdullah, ein Mitarbeiter des Fernsehsenders Tolo wurde von der Polizei nach einer Razzia in Haft genommen; Foto: AP
Mohammad Abdullah, ein Mitarbeiter des Fernsehsenders Tolo, wurde von der Polizei nach einer Razzia in Haft genommen

​​Sie werden sowohl von den Taliban als auch von den lokalen Regierungsvertretern genauestens beobachtet. Wer nicht die Sichtweise der einen oder anderen Seite veröffentlicht, kann dies mit dem Leben bezahlen.

Die Taliban und ihre Verbündeten dürfen nicht als Terroristen, sondern nur als Freiheitskämpfer oder als Gegner der Regierung bezeichnet werden. Ferner darf zum Beispiel niemand auf die gemeinsamen Machenschaften der Lokalbehörden mit den Drogenbossen und deren Kartellen hinweisen.

Unter diesen Umständen, so sagt der in Kandahar - der einstigen Hochburg der Taliban - lebende Journalist Nurullah Nuri, sei es unmöglich, journalistisch korrekt zu arbeiten.

"Wir werden ständig von beiden Seiten bedroht. Es gibt für uns Journalisten keinerlei Sicherheit oder Garantie, dass wir nicht wegen unserer Berichterstattung von irgendeiner Seite angegriffen werden. Also lassen wir in unseren Berichten die Details aus und begnügen uns mit den allgemeinen Informationen."

Rund sechs Jahre nach dem Sturz der Taliban ist vieles anders gekommen, als die Menschen am Anfang gehofft hatten. Nicht die Demokratie und damit die Pressefreiheit hätten in den letzten Jahren Fuß fassen können, so Nuri, sondern jene Kräfte, die man besiegt geglaubt hatte.

Er frage sich, ob die Menschen in den demokratischen Ländern im Westen wissen, was in seinem Land vor sich geht. Er selbst weiß, dass sein Land, besonders seine Region, immer mehr ins Chaos stürzt, doch dies zu schreiben, traut er sich mitten im Kampfgebiet im Süden nicht.

Ratbil Shamel / Najibullah Zeyarmal

© Deutsche Welle 2007

Qantara.de

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