Von religiöser Verachtung bis ästhetischer Faszination

Mit seinem Buch gelingt es Joseph Croitoru die Fäden der deutschen Auseinandersetzung mit dem Orient aus politischer, wissenschaftlicher und literarischer Sicht zu verbinden und seiner Leserschaft in diesem Spagat einen fundierten Überblick unter den Postulaten der Aufklärung zu ermöglichen. Von Melanie Christina Mohr

Von Melanie Christina Mohr

Debatten über den Islam werden in Deutschland oft von heftigen Disputen begleitet. Dabei gipfeln die Standpunkte nicht selten in altbewährten Ressentiments. In seiner Publikation „Die Deutschen und der Orient“ beleuchtet der Historiker Joseph Croitoru die jahrhundertealten deutschen Ambivalenzen gegenüber dem Islam und lässt dabei Stimmen aus Politik, Wissenschaft und Literatur zu Wort kommen, die aus einer Zeit stammen, in der sich der Glaube an die Vernunft und das Streben nach Toleranz manifestierten.

Die Emanzipation des aufgeklärten Bürgertums ging nicht nur mit der Loslösung von Autoritäten einher, sondern auch mit einem ausgeprägten Interesse am Fremden, dem Orient im Besonderen.

Croitoru verknüpft in seinem Buch die politischen Ereignisse und Figuren mit den literarischen Produktionen und wissenschaftlichen Leistungen. Von der Regierungszeit Friedrich des Großen (ab 1740) bis zur preußisch-türkischen Allianz unter Friedrich Wilhelm II. (1790) reichen die Gesinnungen der Literaten, Philosophen, Wissenschaftler und Monarchen von religiöser Verachtung, über ästhetische Faszination, bis hin zum orientfreundlichen "Campaigning".

Für den Leser sind die vom Autor angelegten Verbindungen spannend, um zu verstehen, wie sich die Akteure gegenseitig beeinflussten und um ihre Intentionen und Standpunkte nachvollziehen zu können. Schnell wird klar: Ein nicht unerheblicher Teil der Wahrnehmungen und Argumentationsmuster aus dem 18. Jahrhundert reicht bis in unsere Zeit.

Preußen und das Osmanische Reich

Buchcover Joseph Croitoru: "Die Deutschen und der Orient: Faszination, Verachtung und die Widersprüche der Aufklärung" im Carl Hanser Verlag
Joseph Croitoru liefert mit seinem Buch "Die Deutschen und der Orient" einen wunderbar wichtigen Beitrag im Verständnis um die vielfältig gelagerten Auseinandersetzungen der Deutschen mit dem Islam – zweifelsohne äußerst empfehlenswert!

In Deutschland befindet sich die Epoche der Aufklärung ab der Mitte des 18. Jahrhunderts in ihrer Blütezeit.

Friedrich der Große ist ab 1740 an der Macht. Es ist eine Zeit des Wandels, mittelalterliche Strukturen weichen auf dem Weg in die Moderne: zwar werden noch Hexen verbrannt und Bauern als Leibeigene gehandelt, aber die Folter wird abgeschafft und der Monarch proklamiert im Laufe seiner Amtszeit die Religions- und Pressefreiheit.

In seinem Buch hebt Croitoru die damalige osmanenfreundliche Politik des "Alten Fritz" hervor, die Preußen in eine bis dahin ungewohnte Nähe zu den Türken setzt.

Der König interessiert sich aber nicht nur für Freundschafts- und Handelsverträge, sondern auch Herrschaftsstrukturen und leitet das Andauern der osmanischen Macht am beständigen Festhalten religiöser Traditionen ab, deren politische Instrumentalisierung er vehement ablehnt.

In bester Gesellschaft fühlt er sich daher mit dem französischen Philosophen Voltaire, dessen Mahomet-Tragödie - die den islamischen Propheten als Betrüger entlarvt - er feiert. Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. führt die Bande zu den Türken fort, 1790 wird in Konstantinopel ein militärisches Bündnis mit Sultan Selim III. gegen Österreich und Russland unterzeichnet.

Der Orient als Dreh- und Angelpunkt wissenschaftlicher Auseinandersetzungen

Bis heute ist der islamische Osten Gegenstand wissenschaftlicher und literarischer Bemühungen, die sich durch unterschiedliche Beweggründe und vielfältige Ansätze auszeichnen. Neben dem philologischen Interesse, wie es bei dem Begründer der Arabistik als souveräne Wissenschaft in Deutschland, Johann Jacob Reiske, der Fall war, fiel und fällt es anderen schwer, das Fremde in der Abhängigkeit zum Vertrauten stets objektiv zu beurteilen.

Der Göttinger Orientalist Johann David Michaelis spricht im Laufe seines Diskurses mit der arabischen Grammatik und dem Koran, dem Heiligen Buch der Muslime, den göttlichen Ursprung ab und lässt die christliche Religion bei einem Vergleich „ungemein gewinnen“. Die Literaten Herder, Goethe und Lessing strebten nach einem positiven Image des fremden Ostens.

Der junge Lessing nahm den angestrebten Imagewechsel zum Anlass sich als Orientkenner zu behaupten, der den Nutzen vom Erlernen der fernöstlichen Sprachen hervorhob.

Die Literatur wurde ohnehin stark von der Wissenschaft beeinflusst, liefert letztere die Übersetzungen und Abhandlungen, die sich die Dichter zu eigen machten. Herder ließ sich von Reiskes Al-Muttanabbī-Übersetzungen, den Proben der arabischen Dichtkunst in verliebten und traurigen Gedichten, inspirieren und Goethe konsumierte zeitlebens alles was ihm zum Thema in die Hände fiel.

Croitoru ist mit seiner Publikation ein schwieriges Unterfangen gelungen: Er liefert nicht nur einen detaillierten Überblick über die politische, wissenschaftliche und literarische Auseinandersetzung mit dem Orient im 18. Jahrhundert, sondern schafft es dabei, die Verbindungslinien fließend miteinander zu verknüpfen, die dem Leser ein lückenloses Verständnis ermöglichen. Ein wunderbar wichtiger Beitrag im Verständnis um die vielfältig gelagerten Auseinandersetzungen der Deutschen mit dem islamischen Osten – zweifelsohne äußerst empfehlenswert!

Melanie Christina Mohr

© Qantara.de 2019

Joseph Croitoru: "Die Deutschen und der Orient: Faszination, Verachtung und die Widersprüche der Aufklärung", Carl Hanser Verlag, München 2018, 416 Seiten, ISBN: 9783446260375