"Ein Auge mehr im Straßenverkehr"

"midad" heißt ein Projekt des Goethe-Instituts, das den Literaturaustausch zwischen Deutschland und der arabischen Welt fördern möchte. Abdul-Ahmad Rashid hat mit dem Stadtschreiber aus Kairo, José Oliver, gesprochen.

"midad", auf Deutsch Tinte, heißt ein Projekt des Goethe-Instituts, das den Literaturaustausch zwischen Deutschland und der arabischen Welt fördern möchte. Dazu gehören auch die deutschen und arabischen Stadtschreiber, die ihre Tagebücher im Internet veröffentlichen. Abdul-Ahmad Rashid hat mit dem Stadtschreiber aus Kairo, José Oliver, gesprochen.

José Oliver in Kairo
José Oliver in Kairo

​​Die Idee zu dem Projekt, bei dem sechs deutsche Autoren arabische Städte und im Gegenzug sechs arabische Autoren deutsche Städte besuchen, wurde im Goethe-Institut in Kairo geboren. Dieses konnte dann die Literaturhäuser in Deutschland als Partner gewinnen, und gemeinsam suchte man die Autoren aus und schickte sie auf Reisen.

Die Autoren sollen während ihres Aufenthalts ein Tagebuch führen, das im Internet veröffentlicht wird. Ansonsten werden den Literaten keinerlei Vorgaben mit auf den Weg gegeben, so Florian Höllerer, Leiter des Literaturhauses in Stuttgart:

"Der erste der Autoren, der zu seiner Entdeckungsreise in den Orient aufbrach, war José Oliver. Der als Sohn andalusischer Eltern in Deutschland aufgewachsene und für sein lyrisches Werk vielfach ausgezeichnete Lyriker ist vor kurzem aus Ägypten zurückgekehrt. Für ihn war es ein großer Anreiz, in ein arabisch-islamisches Land zu gehen und die Hauptstadt Kairo kennen zu lernen."

Sich treiben lassen und Taxi fahren

Bei der Bewältigung seines Tagesprogramms in Kairo folgte José Oliver keinem geplanten Ablauf. Als Vorbild bei seinen Erkundungen dienten dem Dichter alleine die Protagonisten des Romans "Himmel und Hölle" des argentinischen Romanciers Julio Cortazar: Diese steigen in einer beliebigen U-Bahn-Station in Paris aus und erkunden die Stadt. Genauso wie sie ließ Oliver sich spontan treiben und suchte vor allem den Kontakt mit den Menschen:

"In Kairo bin ich einfach losgezogen. In Cafes habe ich mich mit Menschen unterhalten, und daraus sind Geschichten entstanden. Oder ich bin einfach nur Taxi gefahren. Also, erstmal wahrnehmen, wie das Leben gemeistert wird. Das war ein ganz langsames, allmähliches Herantasten."

Dabei suchte José Oliver bewusst die Orte auf, die nicht in den gängigen Reiseführern zu finden sind und dem normalen Touristen oft verborgen bleiben. Er erkundete Seitengassen, ging am Nilufer spazieren und hielt sich lange in Café auf.

Ohne Anfang und Ende

Aus diesen Eindrücken und Begegnungen entstanden dann die Tagebucheinträge. Auf den ersten Blick erscheinen sie dem Leser merkwürdig:

"Sitze also in einem Taxi und fahre Richtung Altstadt & nenne es Privatmonstranz Räderzimmer oder: "Ich bin 1 Wohnzimmer lang unterwegs". "Von A nach B."

"Ich musste einen Stil finden. Wenn ich auf der Straße war, mit dem Taxi fuhr oder über die Straße wollte, das hatte keinen Anfang und kein Ende. Also entstanden irgendwann einmal Sätze, die keinen Anfang und kein Ende hatten."

"Ein Auge mehr im Straßenverkehr"

In seinem lyrischen Werk ist José Oliver vor allem durch die Neuschöpfung von Wörtern bekannt geworden. Eine Kostprobe seiner Kunst gibt er auch in seinen Tagebucheinträgen:

"Hupe, die hier ein zusätzliches Auge / 1 Zusatzauge [Hupauge] ist. Hupaugen, die sich durchsetzen im Vielspurigen im Nadelöhr 1 Durchschlupf & Entkommen."

"Es dauerte einfach ein paar Tage, bis mir klar wurde, dass dieses Hupen nicht einfach nur eine Huperei war, und irgendwann habe ich dann auch das Wort 'Hupauge' gefunden, dass es einfach ein Auge mehr ist im Straßenverkehr und die Hupe eine ganz andere Funktion erfüllt als hier."

Großes Medienecho

In Kairo hatte José Oliver zudem viele Begegnungen mit arabischen Schriftstellern bei gemeinsamen Veranstaltungen im dortigen Goethe-Institut. Seine Präsenz in der ägyptischen Hauptstadt stieß außerdem auf ein großes Echo bei den arabischen Medien.

Alles in allem fällt für den 43jährigen die Bilanz seines literarischen Aufenthaltes in Kairo sehr positiv aus. Und der Dichter, der bereits elf Lyrikbände veröffentlicht hat, ist sich sicher, dass auch die anderen am Projekt "Stadtschreiber" beteiligten Autoren interessante Erfahrungen bei ihren Aufenthalten machen werden.

Die Kölner Autorin Ulla Lenze besuchte Damaskus, die Frankfurterin Silke Scheuermann Beirut. Nachzulesen sind ihre aktuellen Tagebucheinträge im Internet.

Die arabischen Autoren werden im September in Deutschland erwartet. Bei der Frankfurter Buchmesse stellen dann alle an dem Projekt beteiligten Schriftsteller ihre Erfahrungen gemeinsam der Öffentlichkeit vor.

Abdul-Ahmad Rashid

© Qantara.de 2004

Hier können Sie die Tagebucheinträge von José Oliver im Internet lesen