Im Fadenkreuz Israels und Amerikas

Jordanien führt nicht nur einen harten Kampf gegen das Coronavirus, sondern auch gegen den Nahost-Plan der US-Regierung. Dieser sieht vor, das Jordantal Israel zuzusprechen. Einzelheiten von Birgit Svensson

Von Birgit Svensson

"Das war absolut himmlisch, wiedermal an einem Abend draußen zu sein", berichtet eine glückliche Susanne Brunner am Telefon in Amman. Zuerst sei sie auf Reportage in der Stadt gewesen und danach bei Freunden im Garten zum Abendessen. "Einen Abend draußen hat es seit März nicht mehr gegeben, wir waren komplett eingesperrt", so die Nahost-Korrespondentin des Schweizer Rundfunks.

Doch die Freiheit währte nicht lange. Nur zwei Abende durften die drei Millionen Einwohner der jordanischen Hauptstadt vor die Tür, einkaufen für die bevorstehenden Feiertage am Ende des Ramadan, Familie und Freunde sehen. Als das Zuckerfest beginnt und drei Tage dauert, sind sie wieder eingesperrt.

"Das Resultat: Kein Mensch blieb am Mittwoch und am Donnerstag vor dem Eid al-Fitr zuhause, es sah in der Stadt aus, als wäre das Fest schon jetzt, Menschenmengen überall", so Susanne Brunner. In Amman kursiere deshalb auch der Witz: Wie züchtet man Corona? Man lässt die Menschen an zwei Tagen raus und lässt sie dann das Virus drei Tage daheim ausbrüten.

Der massivste Lockdown in der gesamten Region

Neun Wochen lang sitzt die Nahost-Korrespondentin des Schweizer Rundfunks nun in der jordanischen Hauptstadt fest. Niemand darf raus, niemand rein. Jordanien verzeichnet den massivsten Lockdown der ganzen Region. Buchstäblich von einer Stunde auf die andere wurde am 16. März alles geschlossen.

Frau Brunner kam gerade von einer Reportagereise aus Israel zurück, als Panzer in Amman auffuhren und alles abriegelten. Die Zufahrtsstraßen zum Rest des Landes sind seitdem unpassierbar, nur Warentransporte sind erlaubt und Fahrten von Personen mit Sondergenehmigungen. Damit solle die Ausbreitung des Virus in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Staat verhindert werden, begründete Brigadegeneral Mukhles al-Mufleh die Maßnahme.

susanne Brunner, Nahost-Korrespondentin des Schweizer Rundfunks; Quelle: SRF
Drakonische Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus in Jordanien: "Einen Abend draußen hat es seit März nicht mehr gegeben, wir waren komplett eingesperrt", berichtet Susanne Brunner, Nahost-Korrespondentin des Schweizer Rundfunks SRF.

Und König Abdallah II. gab seinem Premierminister weitreichende Kompetenzen, mit aller Härte gegen COVID-19 vorzugehen. Jordanien schloss seine Landgrenzen zu Ägypten, Israel und dem Irak und suspendierte alle Flugverbindungen. Wer trotzdem einreist, muss 17 Tage in Quarantäne in von der Regierung bereit gestellten Hotels und darf diese nicht verlassen.

Die anderen dürfen tagsüber Einkaufen gehen, abends und nachts aber herrscht eine totale Ausgangssperre. Bereits Mitte März hat Jordanien die Veröffentlichung aller Zeitungen gestoppt, Journalisten, die über die scharfen Maßnahmen im Land berichten, sind unlieb.

Wer Kritik über die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen übt, muss mit Repressionen rechnen. Dabei steht das Land am Jordan mit 700 Infektionen und neun Corona-Toten (Stand 22. Mai) gut da. Die Regierung in Amman wertet dies als Erfolg ihres rigorosen Durchgreifens.

Das Virus schnell unter Kontrolle bringen

In einem Interview mit dem amerikanischen TV-Sender CBS verteidigt König Abdallah II. die strengen Maßnahmen: "Nur so können wir das Virus schnell unter Kontrolle bringen." In den letzten Tagen habe es keine neuen Infektionen mehr gegeben. "Wir werden jetzt langsam wieder öffnen."

Jordanien ist das Land mit den meisten Flüchtlingen in der Region. Palästinenser, Iraker und Syrer: alle haben Zuflucht in dem kleinen Staat am Jordan gefunden. Von den zehn Millionen Einwohnern sind mehr als die Hälfte palästinensischen Ursprungs. Hinzu kommen drei Millionen Flüchtlinge aus Irak und vor allem Syrien.

Blick auf das Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien; Foto: Imago/Itar-Tass
Furcht vor der Corona-Pandemie im zweitgrößten Flüchtlingslager der Welt: Die Angst, dass Corona in Zaatari, dem größten syrischen Flüchtlingslager im Norden Jordaniens, ausbricht und weit um sich greift, ist allgegenwärtig. Gleichwohl leben nur 20 Prozent der Flüchtlinge Jordaniens in Lagern. "Der Rest lebt mitten unter uns", so Jordaniens König Abdallah II.

Das größte syrische Flüchtlingslager im Norden, Zaatari, ist mit 80.000 Insassen zugleich das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt. Die Angst, dass Corona dort ausbricht und weit um sich greift, ist daher allgegenwärtig. Gleichwohl leben nur 20 Prozent der Flüchtlinge Jordaniens in Lagern. "Der Rest lebt mitten unter uns", so der König. Sie bekämen die gleiche Schuldbildung und Gesundheitsversorgung wie alle anderen Einwohner des Landes. "Das ist eine Riesenherausforderung."

Kostspieliger Stillstand

Die wirtschaftliche Situation ist schwierig. Gerade hatte der Tourismus an Fahrt aufgenommen. Vor allem europäische Besucher schätzten das geschichtsträchtige, biblische Land und reisten verstärkt zu den historischen Stätten wie Petra und die Taufstelle Jesu am Jordan.

Dann kam Corona. Der Stillstand kostet Jordanien nun die letzten, der ohnehin nicht üppigen Reserven. Militär und Polizei verteilen jetzt Lebensmittel und Medikamente in den Wohngebieten. Deutschland ist nach den USA der zweigrößte Geldgeber und will es auch bleiben, sichert Bundesaußenminister Heiko Maas zu. Jordanien ist mehr denn je auf ausländische Hilfe angewiesen.

Blick auf das Jordantal; Foto: AFP/Getty Images
Kategorisches Nein Jordaniens zum Nahost-Plan: Die USA wären laut Trumps Vorstellungen bereit, umgehend die Annexion des Gebiets aller bestehenden jüdischen Siedlungen im Westjordanland durch Israel anzuerkennen. Washington will zudem die Souveränität Israels über das Jordantal an der Grenze zu Jordanien anerkennen. Insgesamt würden nach US-Angaben rund 30 Prozent des Westjordanlands Teil des israelischen Staates.

Als ob die Bekämpfung der Pandemie das Königreich nicht genug Kraft kostet, hat nun das israelische Parlament angekündigt, den Friedensplan der Trump-Administration für Israelis und Palästinenser in Kürze diskutieren zu wollen, der auch Jordanien unmittelbar betrifft. "Ist jetzt in dieser Krise tatsächlich die richtige Zeit für die Diskussion einer Ein- oder Zweistaatenlösung?", reagiert König Abdallah II. erbost auf die Ankündigung der Knesset. Eine Annexion des Westjordanlands wäre die Folge. Sollte dies geschehen, so denke Jordanien darüber nach, den seit 1994 bestehenden Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen, so der Monarch.

Ein inakzeptabler Plan

Dem Plan könne das Land nie zustimmen, erklärt Hassan Barari, Mitglied des Washington Institute für Nahost-Politik und ausgewiesener Experte für die israelisch-palästinensischen Beziehungen gegenüber Qantara.de die Situation. Jordanien habe 40 Prozent aller palästinensischen Flüchtlinge weltweit. Diejenigen, die 1947/48, als der Staat Israel gegründet wurde, ins Land kamen, hätten inzwischen fast alle die jordanische Staatsangehörigkeit. "Sie sind Jordanier".

Aber diejenigen, die im Zuge des Sechs-Tage-Krieges 1967 geflüchtet seien, hätten lediglich Aufenthaltsgenehmigungen. Und dann seien da noch eine halbe Million Palästinenser 1990 aus Kuwait zurückgeschickt worden, weil sie angeblich Saddam Hussein in seinem Krieg gegen das Nachbarland unterstützt hätten.

Auch die Frau des Königs, Rania, kam so nach Jordanien. Israel habe die "Kuwait-Palästinenser" nicht in ihre Heimat reisen lassen. Sie seien in Jordanien hängen geblieben. Diese Flüchtlinge hätten lediglich eine "gelbe Karte" mit einem offiziell legalen Status für das Westjordanland, das Israel jetzt gänzlich annektieren wolle.

Als der Friedensplan in Washington ausgearbeitet wurde, weiß Barari, habe das gesamte Team nur aus jüdischen Teilnehmern bestanden. Die Amerikaner hätten weder mit den Palästinensern, noch mit den Jordaniern gesprochen, obwohl Jordanien traditionell amerikafreundlich sei. Der König habe in den USA studiert. Der Monarch fühle sich deshalb brüskiert, so die Einschätzung des Politikwissenschaftlers, der an der jordanischen Universität in Amman Internationale Beziehungen lehrt.

Das politische Überleben Jordaniens läge im Fadenkreuz Israels und Amerikas. Doch wenn der König dem Trump-Plan zustimmen würde, verlöre er seinen Job. "Er ist eine Frage der Identität für Jordanien." Wenn die Palästinenser einen eigenen Staat bekämen und die Flüchtlinge zurückgingen, könnte auch Jordanien endlich ein eigener Staat werden.

Zum Schluss macht Barari einen ungewöhnlichen, überraschenden Lösungsvorschlag: "Ich würde eine allumfassende Ein-Staaten-Lösung akzeptieren: ein demokratischer Staat mit Palästinensern, Jordaniern und Israelis."

Birgit Svensson

© Qantara.de 2020