Der Kampf um die eigene Identität

Seit 2015 herrscht in Jemen Krieg. Nun befürchten manche, dass auch die jemenitische Kultur von den Kriegsparteien gekapert wird. Ob Kaffee, besondere Vogelarten oder Drachenblutbäume: Jemeniten haben viel zu verlieren. Von Dunja Ramadan

Von Dunja Ramadan

Eine feine Schokoladennote, zarte Säure, dazu ein Hauch von getrockneten Datteln - so in etwa würde Yousra Ishaq ihren liebsten Khawlani-Kaffee beschreiben. Die Bohnen gelten als eine der besten Kaffeesorten der Welt. Nur, wer weiß das schon noch? Wer an Jemen denkt, der denkt an Krieg, an Drohnen, an Armut, an abgemagerte Kinder mit großen, traurigen Augen. Dabei sei Jemen so viel mehr, sagt die 34-jährige Filmemacherin aus der jemenitischen Hauptstadt Sanaa am Telefon. Zum Beispiel rote Kaffeekirschen, so süß wie überreife Bananen.

Während der Gespräche bricht immer wieder die Verbindung ab. Die Kamera anschalten? Schön wär's, lacht sie, das halte ihre Internetverbindung nicht aus. Für die Filmemacherin ist all das Kriegsalltag, sie hat sich daran gewöhnt. Sie treibt etwas anderes um, erzählt sie. "Das Jemen nach dem Krieg. Was wird davon übrig bleiben?", fragt sie. "Die meisten Jemeniten sind gerade damit beschäftigt, an Essen und Wasser zu kommen. Aber da ist noch etwas, das unsere Aufmerksamkeit verdient: Wir müssen unsere kulturelle Identität bewahren", sagt die junge Frau und erzählt von Kaffee, traditioneller jemenitischer Kleidung und Drachenblutbäumen.

Seit der Einnahme ihrer Heimatstadt Sanaa durch die Huthi-Rebellen im September 2014 tobt im Jemen ein gewaltsamer Konflikt um die politische Macht und den Zugang zu Ressourcen. Saudi-Arabien hat sich 2015 mit einer Koalition aus sunnitisch regierten arabischen Staaten an die Seite von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi gestellt und kämpft seitdem gegen die schiitische Rebellen-Miliz. Doch es sind vor allem die Zivilisten, die unter dem Krieg leiden: Mehr als 370 000 Menschen wurden bislang getötet, Millionen mussten flüchten. Die Vereinten Nationen stufen den Krieg und seine Folgen als schlimmste humanitäre Krise der Welt ein.

Salha Mattar is one of more than one million coffee farmers in Yemen (photo: private)
Altes Kulturerbe: Gerade arbeitet Yousra Ishaq an einem Film über Salha Mattar, eine 60-jährige Kaffeebäuerin aus dem Nordwesten Jemens, die ihr Leben lang Kaffeebohnen gepflückt, sortiert und getrocknet hat. Seit einigen Jahren versucht das saudische Königreich, die Khawlani-Kaffeebohnen in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Unesco eintragen zu lassen. Bislang ohne Erfolg. "Wenn überhaupt, dann ist das unser gemeinsames Erbe. Nun soll der Kaffee nach einer einzelnen Königsfamilie, nach al-Saud, benannt werden. Das kann nicht sein", sagt Yousra Ishaq. Tatsächlich kommt der Khawlani-Kaffee aus dem Grenzgebiet zwischen Saudi-Arabien und Jemen.



Yousra Ishaq möchte Filme jenseits des Leids drehen, das andere Jemen zeigen. Mit ihrer Produktionsfirma Comra Films arbeitet sie an Dokumentationen über den Jemen und bietet Workshops für den Nachwuchs an. Gerade arbeitet sie an einem Film über Salha Mattar, eine 60-jährige Kaffeebäuerin aus dem Nordwesten Jemens, die ihr Leben lang Kaffeebohnen gepflückt, sortiert und getrocknet hat, genau wie heute ihre Kinder und Enkelkinder. Für ihre Recherche reiste die Filmemacherin in die Huthi-Hochburg Sa'ada. "Mit einfachen Mitteln versucht die Familie, den bestmöglichen Kaffee zu produzieren." Die Huthis ließen die junge Filmemacherin gewähren, sie sehen die jüngste saudische Initiative als wirtschaftliche Gefahr für die jemenitische Kaffeeindustrie.

Denn seit einigen Jahren versucht das saudische Königreich, die Khawlani-Kaffeebohnen in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Unesco eintragen zu lassen. Bislang ohne Erfolg. Ende Januar verkündete das saudische Handelsministerium, dass landesweit in Restaurants, Cafés oder Supermärkten kein arabischer Mokka mehr eingeschenkt wird, sondern nur noch saudischer Mokka. Die Ankündigung steht im Zusammenhang mit einer Initiative des saudischen Kulturministeriums, 2022 zum "Jahr des saudischen Kaffees" zu erklären. Die Bohnen werden als nationaler Schatz sowie für die Bewahrung des saudischen Erbes und der kulturellen Identität gefeiert. Auch auf der Expo in Dubai wird mit saudischem Kaffee geworben.

"Wenn überhaupt, dann ist das unser gemeinsames Erbe. Nun soll der Kaffee nach einer einzelnen Königsfamilie, nach al-Saud, benannt werden. Das kann nicht sein", sagt Yousra Ishaq. Tatsächlich kommt der Khawlani-Kaffee aus dem Grenzgebiet zwischen Saudi-Arabien und Jemen, der antike Stamm der Khawlan bin Amir lebte jahrhundertelang zwischen der saudischen Stadt Dschizan und dem Nordwesten Jemens. Die beiden Länder teilen sich eine 1300 Kilometer lange Grenze.

"Nein zum Diebstahl des jemenitischen Erbes"

Viele Jemeniten halten diese Ankündigung für eine weitere Grenzüberschreitung: Nach ihren Städten werde nun auch ihr Kaffee gekapert. Einige Nutzer veröffentlichten Screenshots von Studien, die zu dem Schluss kommen, dass die Ursprünge der arabischen Kaffeekultur in Jemen liegen. Sie verwiesen auf den Geburtsort des Kaffees: Von der jemenitischen Hafenstadt Al Mocha aus - daher der Name Mokka - wurden die Kaffeebohnen in die weite Welt verschifft. Ursprünglich kam der Kaffee vor etwa 500 Jahren von Äthiopien in den Jemen. Vor allem jemenitische Sufis sollen der Legende nach während ihrer meditativen Übungen Kaffee getrunken haben, um spirituelle Sphären zu erreichen. Unter dem Hashtag "Nein zum Diebstahl des jemenitischen Erbes" sind weitere Beispiele aufgelistet.

 

— Misha (@Misha98315639) May 18, 2020

 

 

Denn auch dieser kulturelle Konflikt schwelt schon länger. Als die arabische Ausgabe von National Geographic im Jahr 2020 ihre Leser dazu aufrief, besondere Schnappschüsse einzusenden, kritisierten viele Jemeniten, dass es sich bei den Bildern um ihr kulturelles Erbe handelte, nicht um saudisches. Etwa das Bild eines Mädchens aus der saudi-arabischen Stadt Abha, das den traditionellen Quftan und den Bussani-Silberschmuck der jemenitischen Juden trug, in den Händen hält es einen Basilikumstrauch, mit denen sich die Bewohner der jemenitischen Stadt Ta'iz gerne schmücken. Oder ein Junge, der rote Kaffeekirschen in den Händen hält. Ein Nutzer schreibt: "Das Gesicht des Jungen schreit Jemen, der Kaffee schreit Jemen."

Auch einzigartige Baum- und Vogelarten haben Begehrlichkeiten bei den Kriegsparteien geweckt. Auf der jemenitischen Insel Sokotra, einem Naturparadies im Indischen Ozean, weht an vielen Bauten auch die emiratische Flagge. Seit 2008 ist die Insel, die gerne das "Galápagos des Indischen Ozeans" genannt wird, Unesco-Weltnaturerbe. Wie ein Schirm breiten sich die Äste der manchmal mehr als 1000 Jahre alten Drachenblutbäume aus. Sie haben die Insel berühmt gemacht. Natureindrücke, so andersartig, als hätte man die Welt für einen kurzen Moment verlassen.

Ein Drachenblutbaum auf der jemenitischen Insel Sokotra (Foto: Boris Khvostichenko(User:Boriskhv), CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons))
Das "Galápagos des Indischen Ozeans": Seit 2008 ist die Insel Sokotra Unesco-Weltnaturerbe. Wie ein Schirm breiten sich die Äste der manchmal mehr als 1000 Jahre alten Drachenblutbäume aus. Sie haben die Insel berühmt gemacht. Besucher aus den Vereinigten Arabischen Emiraten können via Direktflug von Dubai nach Sokotra reisen. Das jemenitische Tourismusministerium warf den Emiraten daraufhin im vergangenen Jahr vor, illegale Visa für ausländische Touristen ausgestellt zu haben, ohne die jemenitische Zustimmung einzuholen. Jemeniten befürchten, die ehrgeizigen Bauprojekte der Emirate in Form von luxuriösen Apartments und Hotel könnten das Öko-System der Insel empfindlich stören.

Besucher aus den Vereinigten Arabischen Emiraten können via Direktflug von Dubai nach Sokotra reisen. Das jemenitische Tourismusministerium warf den Emiraten daraufhin im vergangenen Jahr vor, illegale Visa für ausländische Touristen ausgestellt zu haben, ohne die jemenitische Zustimmung einzuholen. Zwar leisteten die Emirate nach schweren Wirbelstürmen im Jahr 2015 humanitäre Hilfe auf der Insel, auch sorgen sie für Strom und verleihen Stipendien an talentierte junge Inselbewohner, doch sie sehen vor allem das strategische Potenzial Sokotras: Die Insel hat einen Überblick über die Bab-al-Mandab-Straße, eine Hauptschifffahrtsroute. In den vergangenen Jahrhunderten wurde die Insel von Portugiesen, Briten und Sowjets besetzt.

Die Insel könnte auf die Liste des gefährdeten Welterbes kommen

Die ehrgeizigen Bauprojekte der Emirate in Form von luxuriösen Apartments und Hotels könnten viele Vögel- und Baumarten vertreiben, befürchten Jemeniten. Auch die Unesco ist alarmiert, sie wird eine Delegation auf die Insel schicken, um den Erhaltungszustand des Welterbes zu prüfen, erzählt der Pressesprecher der deutschen Unesco-Kommission, Timm Nikolaus Schulze. Es sei eine Option, dass die Insel auf die Liste des gefährdeten Welterbes kommt. "Damit will man auf die Missstände aufmerksam machen, um die Natur dort langfristig zu erhalten."

Yousra Ishaq war noch nie auf Sokotra, vielleicht mal nach dem Krieg, hofft sie. Gerade plant sie die mediale Begleitung der ersten jemenitischen Kaffee-Auktion im Juni. Die Idee hatte Mokhtar Alkhansali, der Amerikaner mit jemenitischen Wurzeln wurde international bekannt, als der amerikanische Schriftsteller Dave Eggers 2018 seine Lebensgeschichte in dem Buch "Der Mönch von Mokka" niederschrieb. Als damals 24-Jähriger aus San Francisco reiste Alkhansali in seine Heimat, um die uralte jemenitische Kaffeetradition kennenzulernen und in den USA zu vermarkten.

Nun wollen die jungen Menschen dem Land ein wenig Hoffnung geben und der Welt da draußen zeigen, dass die Jemeniten auch schöne Dinge produzieren können. "Ich glaube an die Kraft des Kaffees, wir wollen die lokalen Verkäufer mit der Welt da draußen bekannt machen", sagt Alkhansali. Auch Salha Mattar will anreisen, mit ihren Kaffeebohnen im Gepäck.

Dunja Ramadan

© Süddeutsche Zeitung 2022