Die Grenzen des Reisejournalismus

Immer mehr europäische Journalisten pilgern in den Vorderen Orient, um mit ihren Reiseberichten tiefere Einblicke in die Region zu vermitteln. "Ramadan Blues" von Jasna Zajcek will genau das – und scheitert an den eigenen Ansprüchen. Hanna Labonté hat das Buch gelesen.

​​Die Zeit der großen Orientreisen erlebt eine Renaissance. Zahlreiche Journalisten, Abenteurer und Autoren bewegen sich auf den Spuren Richard Burtons, Gertrude Bell und Freya Starks in den "Orient", um dort – jenseits der von Vorurteilen geprägten Sicht des "Westens" – den "wahren Islam" und seine Anhänger kennenzulernen.

Frei nach Alexander von Humboldts Motto: "Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derjenigen, die die Welt nicht angeschaut haben", nehmen sie große Umwege in Kauf, bereisen die nicht ausgetretenen Pfade und bemühen sich, so viele Länder wie nur eben möglich auf einmal zu bereisen.

Oft sind diese Bücher eine lesenswerte Lektüre, insbesondere für Menschen, die nicht die Möglichkeiten, den Antrieb oder den Mut haben, selbst in ferne Länder aufzubrechen – vermitteln die Reiseberichte doch tatsächlich konkretere Einblicke in die islamischen Welt, die weiteres Interesse wecken, aber auch Vorurteile zum Bröckeln bringen können.

Andererseits besteht die Gefahr, dass auch solche Berichte Stereotype zementieren, anstatt sie zu hinterfragen und auflösen. Konkrete Anschauung führt ja nicht zwangsläufig zu Weisheit und Erkenntnis.

Abseits des Kuschel-Multikulturalismus

Nun hat Herder, ein Verlag der sich eigentlich auf hohem Niveau mit dem Themengebiet "der Islam und der Westen" auseinandersetzt, mit "Ramadan Blues" ein Buch der preisgekrönten Journalistin Jasna Zajcek herausgegeben, das zumindest in einer Hinsicht erfrischend ist: Es stellt nicht einfach so fest, dass wir im Grunde doch alle gleich sind und Freunde sein sollten.

Es versucht nicht zu vermitteln, dass man uneingeschränkt alle Sonderheiten des jeweils Anderen gut finden muss. Jasna Zajcek postuliert also nicht unreflektiert einen tumben Kuschel-Multikulturalismus, sondern scheint bereit, auch die unangenehmen Fragen von kultureller Differenz angehen zu wollen.

Leider kommt die Autorin am Ende aber zu dem ebenso simplifizierten Schluss, dass "unsere Welten" nun mal überhaupt nicht vereinbar seien.

Jasna Zajcek reist mit einem konservativ-muslimischen Freund, dem Jordanier Sharif, und Rico, einem Techniker aus Leipzig, im Ramadan 2006 von Berlin nach Damaskus. Quer durch die Länder des ehemaligen Ostblocks geht die Reise. Zajcek möchte sich im Verlauf ihrer Reise-Recherche auf die Muslime in diesen Ländern konzentrieren, geht dabei aber nicht in die Tiefe.

Stattdessen erfährt man über die polemischen Streitigkeiten zwischen Zajcek und Sharif, die frei nach dem Motto "Wir bewerfen uns gegenseitig mit den schwachsinnigsten und unterirdischsten Vorurteilen" ablaufen.

Sie bezeichnet ihn als "Wüstensohn", "seine Kultur" als archaisch (schließlich essen Araber nicht mit Besteck) und ist dabei auch noch stolz auf ihre "aufgrund ihres Studiums mit Wissen unterfütterten" "Argumente". Es ist, als repräsentieren zwei Menschen nicht sich selbst, sondern als wären sie prototypische Repräsentanten ihrer Kulturen.

Das "System Islam"

Sharif selbst, dessen völlige Hingabe an den Islam Zajcek mehrfach hervorhebt – Fragen, die er nicht auf Anhieb beantworten kann, bespricht er nämlich mit seinem Imam! – betont, dass er sie für aufmüpfig hält. Sharifs Islamauslegung beinhaltet im Übrigen vermeintliche "Fakten", wie die, dass man nicht mit einem Auto fahren dürfe, mit dem auch Schweinefleisch transportiert wird, und – auch wenn er mehrere hundert Kilometer am Tag in praller Sommerhitze das Auto lenkt – den Ramadan einhalten müsse.

Eine Unvernunft, die sich sicher nicht mit dem Islam begründen lässt. In der 2. Sure des Koran steht sehr eindeutig geschrieben, dass Reisende – wie Kranke und Schwangere auch – die Fastentage nachholen sollten, schließlich wolle Gott den Menschen das Fasten leicht machen.

Von Zajeck verlangt Scharif, dass sie sich in der laizistischen Türkei aus Respekt vor den Fastenden "islamisch korrekt kleide". Da ist es kein Wunder, wenn der Autorin, die von ihrem "Partner" eher wie eine Dienstbotin behandelt wird und sich dies in pubertärer Verliebtheit gefallen lässt ("der Arme fastet ja den ganzen Tag und ist so ein verlässlicher Partner"), "das System Islam" brutal erscheint.

Was genau sie mit dem "System Islam" meint, wird nicht klar, und das ist wohl auch besser so. Zajcek verlässt sich, bis kurz vor Ende des Buches, völlig auf Sharifs Auslegungen des Islam und auf seine Befehle – und verkauft diese als die islamische Wahrheit: So ist der Islam, so sind die Muslime, sie sind völlig anders.

Europa vs. Islam?

Zajceks Einstellung zu dieser Thematik wird besonders in einem kurzen Abschnitt recht deutlich, in dem sie nach einem Streit mit Sharif einen Traum schildert, in dem "die fundamentalistischen Regime der islamischen Welt die Errungenschaften der Moderne" zurückgeben müssten, und sich nur noch mit Hilfe von Koran und Scharia in die Neuzeit durchschlagen könnten.

Die Aussage ist klar: Das Gute kommt aus der Moderne, und die ist im Westen entstanden. Mit ihren eigenen Mitteln könnte sich die islamische Welt niemals "retten".

So einseitig und einfach ist die ganze Problematik aber nicht. Das weiß Zajcek sicher auch, aber immer wieder fließen ihre enttäuschten Gefühle für Sharif in ihre Bewertungen ein. Hier vermischen sich aufs Unglücklichste die privaten Missgeschicke mit kulturelle-gesellschaftlichen Schlussfolgerungen.

So ist es auch kein Wunder, dass Zajceks Reise "zu dem Anderen", wie sie nicht müde wird zu betonen, mit der Feststellung endet, dass die Kulturen "Europas" und "des Islam" unvereinbar seien.

Ihre Welt ist klar in ein Wir und ein Die eingeteilt; Zajcek schildert ihre Reise so, als gäbe es zwischen Bulgarien, dem letzten europäischem Land, und der Türkei, dem Beginn der islamischen Welt, auch eine moralische Grenze, als sei jenseits der Grenzen ein unüberwindbares Hindernis.

Zarte Entspannung

Den totalen Verlass auf Sharifs Auslegung gibt die Autorin von "Ramadan Blues" leider erst in den letzten Stationen ihrer Reise auf, wo sie sich schließlich auch von Sharif trennt, da dieser keine "Ungläubige" mit zu seiner Familie nach Jordanien bringen könne – so viel zum Thema Partnerschaftlichkeit.

In Damaskus bewegt sich Zajcek dann endlich frei und liefert interessante Einsichten. Es ist, als wäre sie wieder dazu in der Lage, Situationen, Meinungen und Menschen selbst zu bewerten. Schon in Istanbul gibt es leise Anklänge dafür, dass sie sich auch mit anderen Auslegungen des Islam beschäftigt. Auslegungen, die sich auf Gemeinsamkeiten berufen – und nicht auf das Trennende.

In diesem letzten Teil wird das Buch gut und informativ. Zajcek schildert das Leben in Damaskus einfühlsam und mit ihrer christlich-syrischen Freundin Roula steht ihr eine resolute Frau zur Seite, die sich Ungerechtigkeiten nicht so einfach gefallen lässt.

Selbst Sharif erkennt, als er auf der Rückseite in Beirut wieder mit Zajcek zusammentrifft, dass er wohl öfter auf seinen Propheten hören sollte – z.B. wenn es ums Fasten beim Reisen geht.

Schade, dass sich der verengte Blick erst so spät weitet. "Ramadan Blues" hätte ein spannendes Stück Reisliteratur werden können; so ist leider nur ein Dokument der späten, allzu späten Einsichten.

Hanna Labonté

© Qantara.de 2008

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