Die schöne Circe mit der Kalaschnikow

Izzet Celasin war als linker Aktivist nach dem türkischen Militärputsch von 1980 mehrere Jahre im Gefängnis. Jetzt hat er einen Roman über die linke Revolte des Landes geschrieben. Im Mittelpunkt stehen die Frauen, die den Männern Orientierung geben. Eine Rezension von Volker Kaminski

Izzet Celasin; Foto: Christian Elgvin
Eine Hommage an starke, rebellische Frauen: Izzet Celasin

​​ Was hätte das für ein Roman werden können! Istanbul 1977; die türkische Gesellschaft befindet sich im Umbruch; linke, fortschrittliche Kräfte kämpfen gegen reaktionäre, paramilitärische Einheiten; tausende von Studenten und Arbeitern gehen gemeinsam zu Kundgebungen und werden auf einer 1. Mai-Demonstration von Milizen beschossen, die ein Blutbad unter den Demonstranten anrichten.

Mitten unter ihnen: Eiche, ein junger Mann, der als angehender Abiturient gerade seine ersten Schritte in die von politischen Kontroversen aufgeheizte Gesellschaft macht und sich prompt in eine junge revolutionäre Kämpferin verliebt, die ihm an diesem Tag das Leben rettet.

Doch was sich am Anfang so lebendig und interessant liest, entwickelt sich in der Folge zu einer gedehnten, umständlichen Schülergeschichte voll nebensächlicher Details. Die Begegnung mit Zuhal bleibt für Eiche zwar unvergessen, und die in der Studentenbewegung aktive Zuhal hält zunächst Kontakt zu ihrem "kleinen Freund".

Doch so richtig findet Eiche in ihr streng organisiertes Leben nicht hinein. Und dem Erzähler scheint es ebenso wichtig zu sein uns Eiches Erlebnisse während eines Ferienjobs in der Gemüsehalle zu beschreiben, seine Erfahrungen mit seiner ersten Freundin zu schildern oder uns davon zu berichten, was sich zu Hause bei Mutter und Geschwistern tut, all das wird breit ausgewalzt.

Hilflos ohne das "schwache Geschlecht"

Foto: AP
September 1980: Sicherheitskräfte treiben rechte und linke Aktivisten auseinander. Der Putsch der Militärs brachte Stabilität - aber auch massive staatliche Repressionen.

​​ Es sind zu viele Puzzleteile, aus denen der Autor seine Geschichte zusammensetzt, deren Grundidee – die Verschränkung von persönlichen und politischen Details – eigentlich reizvoll ist. Natürlich interessiert es uns, welches Schicksal die fortschrittlichen Kräfte in der Türkei der späten Siebziger nehmen, wie sich gerade in Istanbul die türkischen Frauen von ihrer traditionellen Rolle emanzipieren und nach Selbstverwirklichung streben.

Doch die weiblichen Rollen sind im Roman zu sehr aus der Perspektive des Helden geschildert, der in unterschiedlichsten Lebenslagen immer wieder auf die Hilfe der Frauen angewiesen ist. Während er selbst oft unentschlossen und ziellos wirkt, sind es die Frauen, die ihm den Weg weisen und ihn beschützen.

Sei es seine Mutter oder die aufopferungsvolle Mitstudentin Semra oder seine Professorin – immer wieder stehen Frauen an Kreuzwegen seiner Entwicklung und helfen ihm sich zu entscheiden. Doch Eiche denkt die ganze Zeit nur an Zuhal, die er zunehmend aus dem Blick verloren hat. Er selbst hat sich von jedweder politischen Aktion zurückgezogen, dennoch versucht er Zuhal zu finden und geht geradezu detektivisch vor, um sie ausfindig zu machen, da Zuhal inzwischen in den Untergrund abtauchen musste. Sie gilt nun als Terroristin, nach der in der Zeitung mit Foto gefahndet wird.

Ungeschminkt, hübsch und gnadenlos

​​ Mehr Fahrt nimmt der Roman an den leider zu raren Stellen auf, an denen das Geschehen aus Zuhals Sicht beschrieben wird. Ihre Verstrickung in den politischen Terrorismus zeichnet der Autor mit großer innerer Anteilnahme. So prägt sich dem Leser die Figur tief ein: eine zierliche junge Frau mit straffem Pferdeschwanz, "ungeschminkt und hübsch", im Anschlag meist die Kalaschnikow, und erfüllt von der Überzeugung, bei ihren Anschlägen und Aktionen politisch im Recht zu sein.

Wie naiv die politischen Glaubensgrundsätze in dieser Zeit tatsächlich waren, macht eine Szene deutlich, in der Zuhal mit einer Gruppe von Männern eine Bank überfällt. Sie tritt mit der Waffe an den Bankschalter und fordert von der Kassiererin mit den Worten das Geld: "Wir sind hier, um die finanziellen Mittel der Bank im Namen des Volkes zu beschlagnahmen!"

Die Eskalation bringt Erleichterung

Der Roman beginnt im Mai 1977 und arbeitet Kapitel für Kapitel die Folgemonate ab, so dass der Leser erleichtert ist, als endlich der Zeitpunkt des Militärputsches, September 1980, erreicht ist. Denn nun ist die Spaltung der Gesellschaft nicht länger zu leugnen und die Geschehnisse eskalieren. Politische Aktivisten werden verfolgt, eingesperrt, gefoltert. Eiche, der inzwischen als Übersetzer von Trivialliteratur arbeitet und nebenher Songtexte schreibt, kommt mit dem Staat und seinen Repräsentanten nur noch selten in Berührung.

Einmal verhilft er einer jungen Frau zur Flucht, indem er Pässe fälscht, die er eigentlich ursprünglich für Zuhal und sich anfertigen ließ. Doch nun rechnet er nicht mehr damit Zuhal, die Geliebte von einst, wiederzusehen. Es scheint zwar noch einmal dazu zu kommen, als Zuhals Vater, ein General a.D., ihn aufsucht und zu einem Geiselaustausch überredet, doch die Sache scheitert.

Unfähigkeit zur Einsicht

In den letzten Kapiteln findet der Roman endlich zu der Spannung, die man die ganze Zeit vermisst hat. Zuhal kämpft in einer linken Splittergruppe am Schwarzen Meer. Dort verschanzen sie sich in den Bergen, machen Jagd auf feindliche Soldaten und werden selbst gejagt.

Die Szenen sind überzeugend und die Figur Zuhal wächst uns endgültig ans Herz, ihr aussichtsloser Kampf, ihr innerer Widerwille gegen die Grausamkeiten des Kriegs, ihre Abscheu vor Terror und Gewalt, in die sie selbst so tief verstrickt ist, und ihre Unfähigkeit sich ihre eigene Schwäche einzugestehen.

Doch leider kommen diese Passagen viel zu kurz und erhalten zu wenig Gewicht angesichts zahlloser Episoden mit nur mäßig interessanten Nebenfiguren. Eigentlich ein interessanter Roman, dem aber dringend Straffung anzuraten gewesen wäre.

Volker Kaminski

© Qantara.de 2008

Izzet Celasin, Schwarzer Himmel, schwarzes Meer, Kiwi, 2008

Izzet Celasin, geboren 1958 in Istanbul, war in seinem Heimatland linker Aktivist und saß nach dem Militärputsch 1980 mehrere Jahre im Gefängnis. 1988 kam er als politischer Flüchtling nach Norwegen und arbeitet als Dolmetscher in Oslo. Schwarzer Himmel, schwarzes Meer ist sein erster Roman.

Qantara.de

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