Teil der "Achse der Guten"?

Mehrfach hat die algerische Regierung die EU aufgefordert, zwei algerische Islamistengruppen in die "Liste terroristischer Organisationen" aufzunehmen. Die EU hat dies zwar zugesagt, geschehen ist jedoch nichts. Hintergründe von Bernhard Schmid

Bereits mehrfach hat die algerische Regierung die EU aufgefordert, zwei algerische Islamistengruppen in die "Liste terroristischer Organisationen" aufzunehmen. Die EU hat dies zwar zugesagt, geschehen ist bisher jedoch nichts. Hintergründe von Bernhard Schmid

Foto: AP
Bis heute kursieren die unterschiedlichsten politischen Theorien über die Urheberschaft der Massaker im algerischen Bürgerkrieg.

​​Seit den Attentaten des 11. September 2001 sehen sich die algerischen Behörden in ihren Befürchtungen bestätigt: Man habe schon seit langen Jahren vor den Gefahren des bewaffneten radikalen Islamismus gewarnt.

Nunmehr will man die Früchte der voran gegangenen Anstrengungen der algerischen Staatsorgane im "Antiterrorkampf" ernten – etwa in Gestalt der Aufhebung bisher bestehender Restriktionen bei der Lieferung von Waffen- und Ausrüstungstechnologien. Tatsächlich ist es auf diesen Gebieten zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit mit den führenden westlichen Staaten gekommen, allen voran der USA und Frankreich.

Dissonanzen mit der EU

Negativ für die algerische Führung ist weiterhin die Tatsache, dass die Europäische Union die beiden wichtigsten bewaffneten Islamistengruppen des Landes noch nicht auf ihre Liste "terroristischer Personen und Organisationen" aufgenommen hat.

Es handelt sich um die "Bewaffneten Islamischen Gruppen" ("groupes islamiques armés" - GIA) einerseits sowie andererseits um die "Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf" ("groupe salafiste pour la prédication et le combat" – GSPC).

Anlässlich des Antiterror-Gipfels, auf dem sich Anfang Februar in der saudischen Hauptstadt Riad Regierungsvertreter aus 50 Staaten versammelten, beklagte die algerische Regierung erneut das Fehlen dieser beiden Organisationen auf der "Terrorliste" der EU.

In jüngster Vergangenheit hatten die algerischen Behörden bereits mehrfach von der Europäischen Union die Aufnahme dieser beiden Organisationen auf die unionsweite "Terrorliste" gefordert. So richtete Algeriens Außenminister Abdelaziz Belkhadem eine entsprechende Aufforderung an die EU anlässlich des Gipfeltreffens seines Landes mit der "Troika" der Europäischen Union am 3. November 2003.

Erneuert wurde sie nach den Attentaten vom 11. März 2004 in der spanischen Hauptstadt Madrid, für die eine marokkanische bewaffnete Islamistengruppe verantwortlich gemacht wurde. Daraufhin soll von der EU auch tatsächlich eine solche Zusage gegeben worden sein, wie die algerische Tageszeitung Liberté Ende März 2004 meldete.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Europäische Union darauf berufen, dass "die Situation in Algerien zu konfus" sei, um über die von den genannten Gruppen ausgehende terroristische Bedrohung urteilen zu können.

Auch nach dem damaligen Versprechen erfolgte allerdings bisher keine Aufnahme der GIA und des GSPC auf die "Schwarze Liste" der Union, wie algerische Regierungsvertreter jüngst auf der Konferenz in Riad bemängelten - obgleich ihnen eine "engere Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung" in Aussicht gestellt wurde.

Verantwortung für die Massaker im Bürgerkrieg

Die Hintergründe dieses politisch-diplomatischen Tauziehens sind zweierlei Art: Einerseits herrschte vor allem in den neunziger Jahren bei einem Teil der französischen Regierungs- und Behördenvertreter ein Diskurs vor, der die Urheberschaft der damaligen GIA für die Massaker an der Zivilbevölkerung in Algerien oder gar ihre pure Existenz in Frage stellte.

Es liegt jedoch auf der Hand, dass diese Mutmaßungen nicht den wirklichen Vorgängen in Algerien entsprachen. Dafür wurden sie auch viel zu früh und zu schnell vorgebracht – und zwar noch während die Kollektivmassaker im Umland von Algier zunahmen.

Vielmehr sind sie auf dem Hintergrund politisch-diplomatischer Frontlinien zu sehen, die sich seit dem FIS-Wahlsieg bei den Parlamentswahlen im Dezember 1991 und dem anschließenden "Abbruch des Wahlprozesses" nach deren erstem Durchgang abzeichneten.

Innerhalb der algerischen Elite und auch der Armee selbst bestanden damals zwei Fraktionen: Die eine strebte eine Machtteilung mit den Islamisten an, wovon sie sich erhoffte, die Islamisten würden – durch die von ihnen angestrebte "Moralisierung" der Gesellschaft – auf autoritäre Weise "sozialen Frieden" stiften und dadurch der bestehenden Elite nützen.

Der andere Flügel lehnte eine solche Machtteilung jedoch ab, da er die Islamisten als unberechenbaren Faktor betrachtete und die eigenen Pfründe daher als gefährdet ansah.

Ähnliche Trennlinien gab es auch in den politischen Führungen jener Länder, die über die stärksten Interessen in Algerien verfügten und am meisten Einfluss auf die Geschicke des Landes auszuüben trachteten. Das waren namentlich Frankreich und die USA.

Für das Militär oder Kompromiss mit den Islamisten?

Auf leicht schematisierte Weise lässt sich sagen: Die Mehrheit der konservativen Rechten in Frankreich setzte auf die Militärführung in Algerien, genauer, auf jenen Teil, der sich zunächst durchsetzte und der die Idee einer Machtteilung ablehnte.

Die Mitterrand-Sozialisten, aber auch eine Minderheit innerhalb der bürgerlichen Parteien (um den damaligen Außenminister Alain Juppé) traten hingegen für einen Kompromiss mit den Islamisten und eine Machtteilungsformel ein.

Dieser Konflikt zog sich noch die gesamten neunziger Jahre hin, bis zum faktischen Ende des Bürgerkriegs 1999. Dabei behaupteten jene Fraktionen, die gegen die Strategie der Mehrheit in der algerischen Armeeführung und für eine Regierungsbeteiligung der FIS-Islamisten eintraten, dass vorwiegend oder ausschließlich die Macht ausübende Fraktion in Algier für die Gewalt verantwortlich sei.

Beschuldigungen der Islamisten, ihrerseits brutal gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen, wurden tendenziell als Regierungspropaganda zurückgewiesen. Ähnlich einseitig argumentierten umgekehrt die Parteigänger der algerischen Armee in Europa.

Mit der Ausweitung der Kollektivmassaker ab 1996 spitzte sich dieser politisch-ideologische Konflikt zu. Jene, die von der tendenziellen Alleinschuld der gegenüber den Islamisten nicht kooperationswilligen Teile der algerischen Elite ausgingen, zweifelten nunmehr auch die Verantwortung oder die Existenz der GIA an.

Vertreter dieser These sprachen stattdessen entweder von "mit Agenten durchsetzten und vom Regime gesteuerten" bewaffneten Gruppen oder gar von "Todesschwadronen der Armee".

Von 1997 bis Anfang dieses Jahrzehnts hatte diese Fraktion einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Außenpolitik, namentlich unter der Regierung Lionel Jospins, wie auch auf bestimmte Presseorgane (wie etwa Libération).

Dabei passte es sehr wohl in das französische Kalkül, diese Orientierung zu forcieren. Denn in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre hatte der französische Einfluss in Algerien gegenüber dem der US-Amerikaner deutlich abgenommen.

Zugleich war der Rohölpreis vor 1999 sehr niedrig, so dass Algerien stark von günstigen Kreditkonditionen in den westlichen Ländern abhängig war. In dieser Situation stellte die Drohung einer internationalen Diskreditierung des algerischen Staates – die darin bestand, die Staatsmacht (und nicht die GIA) organisiere möglicherweise die Massaker selbst – ein probates Druckmittel.

Seit den Jahren 2000 bis 2001 wird dieses Druckmittel allerdings kaum noch angewandt. Seit den Attentaten vom 11. September scheint es strategisch "nicht opportun" geworden zu sein, die Täterschaft radikaler Islamisten bei den Morden in Algerien anzuzweifeln.

Gewalt ist gleich al-Qaida

Allerdings sorgt ein neues politisches Phänomen für eine gewisse Verwirrung: Denn inzwischen ist es das algerische Regime, das auf recht instrumentelle Weise mit den Fragen nach den Hintergründen der Gewalt im Lande umgeht. So wird schnell der Name al-Qaida mit der Gewalt in Verbindung gebracht.

Für die Touristenentführungen in der algerischen Sahara im Frühjahr und Sommer 2003 wurde denn auch sofort der GSPC – und darüber hinaus – das Terrornetzwerk al-Qaida verantwortlich gemacht.

Dabei ist eine Urheberschaft der internationalen Terroristenorganisation aber höchst unwahrscheinlich. Verantwortlich für die Entführung sind aller Wahrscheinlichkeit nach Banditengruppen, die ihre Mitglieder unter den nomadisch lebenden Wüstenbewohnern rekrutieren.

Vor dem Hintergrund der damaligen Entführung stehen allem Anschein nach kaum ideologische, sondern vorwiegend ausschließlich finanzielle Motive. Das algerische Regime hat jedoch gelernt, sich in der Weltordnung nach dem 11. September bestens politisch zu positionieren. Nach dem Motto: Wer nur laut genug vor al-Qaida warnt, gehört automatisch zur "Achse der Guten".

Vorläufige Bilanz

Welches Fazit lässt sich (vorläufig) aus diesen Entwicklungen ziehen?

Die Europäische Union hat bisher keine explizite Begründung dafür abgegeben, dass sie entgegen wiederholter Aufforderungen aus Algier die GIA und den GSPC nicht auf ihre "Terrorliste" aufnahm. Vielmehr beschränkte sie sich auf ein Nichthandeln, wobei sie zugleich wiederholt der algerischen Regierung die Zusage erteilte, ihrem Wunsch bezüglich der beiden bewaffneten Organisationen nachzukommen.

Im Hintergrund steht der (macht)politisch und strategisch motivierte Umgang mit der Gewalt und ihren Ursachen oder Verursachern, der auf beiden Seiten betrieben wird. Anstatt wirklich zu untersuchen, wer für ausufernde Gewalttaten und Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich ist, wird auf allen Seiten die Schuldzuschreibung für Morde und andere Taten nach den jeweiligen politisch-taktischen Erfordernissen festgelegt.

Vielleicht wird sich die Frage nach dem Gefährdungspotenzial von GIA und GSPC in näherer Zukunft "erledigt" haben: Nach Angaben des algerischen Innenministeriums sind beide bewaffneten Gruppen seit Jahresbeginn 2005 weitgehend aufgerieben.

Bernhard Schmid

© Qantara.de 2005