Mission erfüllt?

Vor fünf Jahren wurde an deutschen Universitäten das Fach Islamische Theologie eingeführt. Eine Bilanz von Arnfrid Schenk

Von Arnfried Schenk

Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik in Münster, kann es manchmal selber kaum glauben: Vor fünf Jahren unterrichtete er vor einer Handvoll Studenten. Heute sind an seinem Zentrum für Islamische Theologie 700 Studenten eingeschrieben. Selten ist an deutschen Universitäten ein Fach so rasant gewachsen.

2010 hatte der Wissenschaftsrat, das wichtigstes Beratungsgremium der Bildungspolitik, empfohlen, Islamische Studien an deutschen Universitäten einzurichten: Religionsgelehrte sollten dort ausgebildet werden und vor allem qualifizierte Lehrer für den islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen.

Die Empfehlungen wurden mit großer Geschwindigkeit umgesetzt. An den Universitäten in Münster, Osnabrück, Frankfurt am Main, Tübingen und Erlangen-Nürnberg entstanden Zentren für Islamische Theologie. Das Bundesbildungsministerium förderte sie über fünf Jahre hinweg mit 20 Millionen Euro.

Die Erwartungen waren groß: Ein Meilenstein für die Integration sollte das neue Fach sein. Annette Schavan, damals Bundesbildungsministerin und treibende Kraft des Projekts, erhoffte sich eine Theologie, die es schafft, Religion in die Gegenwart zu übersetzen.

Vorbehalte konservativer Muslime

Groß waren auch die Befürchtungen aufseiten konservativer Muslime: Der deutsche Staat wolle ihnen vorschreiben, was sie zu glauben hätten.

Nun wurde das junge Fach evaluiert, von namhaften Islamwissenschaftlern aus dem In- und Ausland und christlichen Theologen, ausgewählt vom Bildungsministerium. Die Professoren der Standorte mussten Rechenschaft ablegen über das, was sie in den vergangenen Jahren geleistet haben, und ihre Konzepte für die kommenden Jahre präsentieren. Die Ergebnisse entsprachen wohl den Erwartungen, auch wenn sie nicht publik gemacht werden.

Professor of Islamic Theology Mouhanad Khorchide (photo: University of Munster/Peter Grewer)
Mouhanad Khorchide, professor of Islamic theology at Munster University, came under fire from various Muslim associations for what they considered to be his too-liberal interpretation of Islam. Something of a truce has now been established and the distinction between faith and scholarship reasserted

Mit den Zentren habe der muslimische Glaube eine Heimat in der wissenschaftlich-theologischen Diskussion gefunden, sie hätten sich beeindruckend schnell in Forschung und Lehre etabliert, sagt Bundesbildungsministerin Johanna Wanka.

Rund 1.800 Studenten sind an den Universitäten in die Bachelor- und Masterstudiengänge eingeschrieben, der größte Teil davon in Münster, Osnabrück und Frankfurt. Der Bund will nun für weitere fünf Jahre Fördergelder fließen lassen.

Mission also erfüllt? Ja, schon. Doch ganz so reibungslos, wie die Mitteilung des Ministeriums vermuten lässt, verlief der Aufbau nicht.

In kürzester Zeit galt es, Stellen zu besetzen, aber woher sollte das wissenschaftlich qualifizierte Personal kommen? Die Professoren mussten nicht nur sattelfest in Theologie sein, sondern auch auf Deutsch lehren können. Ein Wettrennen um die wenigen infrage kommenden Köpfe setzte ein. Nicht alle Stellen konnten optimal besetzt werden.

Auch die Zusammenarbeit mit den muslimischen Verbänden erwies sich als schwierig. Über sogenannte Beiräte sind sie in die Islamische Theologie an den Hochschulen eingebunden. Sie sollen mitreden, wenn es um Lehrinhalte und Personal geht. Diese Verbände stehen für einen konservativen Islam, Theologie ist für sie die Verwaltung von Religionsgelehrsamkeit. Viele Wissenschaftler befürchteten ein übergriffiges Verhalten der Verbandsfunktionäre. Nicht zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte.

Burgfrieden in Münster

Religious education for Alevi children in a primary school in Hesse (photo: picture-alliance/dpa)
Islam auf dem Stundenplan: Mittlerweile lehren an der Universität Osnabrück nach den Angaben sechs Professoren in Osnabrück Islamische Theologie und damit zwei mehr als im Jahr 2014. Neben den Studienzielen Bachelor, Master oder Lehramt bietet das Institut auch Weiterbildungskurse für Imame und Seelsorge-Personal an. Außer in Osnabrück gibt es Zentren für Islamische Theologie an den Universitäten Münster, Frankfurt am Main, Tübingen und Erlangen-Nürnberg. Sie wurden 2011 und 2012 gegründet, unter anderem um Lehrer für den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht auszubilden.

Vor zwei Jahren entbrannte in Münster ein Glaubensstreit unter den Muslimen: Die islamischen Verbände hatten sich auf Mouhanad Khorchide eingeschossen. Seine Arbeit sei nicht fundiert, schlimmer noch, er bewege sich außerhalb des Islams. Die Verbandsfunktionäre forderten seinen Rücktritt. Sie fürchteten, die Deutungshoheit über den Islam in Deutschland zu verlieren, an einen in ihren Augen zu liberalen Muslim.

Die Universität hielt zu ihrem Professor. Khorchide will den Islam von innen heraus erneuern. Vernunft und Mündigkeit des Gläubigen sind ihm dabei wichtig, er ist weit davon entfernt, Irrlehren zu verbreiten. Seitdem herrscht Burgfrieden in Münster, die Verbände scheinen ihre Grenzen erkannt zu haben. Khorchide sitzt fester im Sattel als zuvor, viele Studenten kommen seinetwegen nach Münster.

In Frankfurt, Osnabrück oder Tübingen verläuft die Zusammenarbeit mit den Verbänden reibungsloser. "Wir haben mit den verschiedenen Islamzentren einen lebhaften Diskurs", sagt Bülent Ucar. Er leitet das Institut für Islamische Theologie in Osnabrück. Er will keinen "Islam light" lehren, genauso wenig wie einen anachronistischen Islam. "Wir versuchen, die Tradition an die heutigen Lebensumstände anzugleichen. Aber einen Wandel des Islamverständnisses können wir nur herbeiführen, wenn wir von den Muslimen in den Gemeinden angenommen werden."

Die Ausbildung der Religionslehrer ist eines der wichtigsten Ziele des neuen Faches. Eine Dreiviertelmillion Schüler muslimischen Glaubens gibt es in Deutschland, auf einen islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache mussten sie lange warten. Die religiöse Unterweisung blieb den Moscheegemeinden überlassen. In denen wirkten meist Import-Imame aus der Türkei, die das Leben in Deutschland nicht kannten. Imame, die ein gestriges Islambild vermittelten und sich auf das Eintrichtern von Koransuren beschränkten.

Vor gut einem Jahrzehnt wagten sich die ersten Länder an Modellversuche, 2012 führte Nordrhein-Westfalen und kurz darauf Niedersachsen und Hessen den islamischen Religionsunterricht ein.

Bülent Ucar, Foto: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd
"Wir haben mit den verschiedenen Islamzentren einen lebhaften Diskurs": Bülent Ucar ist Direktor Institut für Islamische Theologie (IIT) an der Universität Osnabrück. Das IIT wurde 2012 gegründet. Daneben entstanden Zentren für Islamische Theologie an den Universitäten Tübingen, Münster, Frankfurt am Main und Erlangen-Nürnberg. Sie wurden zunächst für fünf Jahre vom BMBF mit 20 Millionen Euro unterstützt.

Lehrermanko

Jetzt fehlt es an Lehrern. Die gilt es aber, sorgfältig auszuwählen. Sie dürfen nicht voreilig rekrutiert werden, nur um sagen zu können: Deutschland bietet flächendeckend Islamunterricht an.

Harry Harun Behr, Professor für Religionspädagogik in Frankfurt am Main, treibt diese Sorge um. "Viele meiner Studenten streben nach Glaubensvertiefung, nicht nach wissenschaftlichem Arbeiten. Wenn ich ihnen sage, der Koran ist Ergebnis eines theologischen Diskurses, wollen sie das nicht hören."

Behr fragt sich manchmal, ob in seinen Seminaren wirklich studierfähige Kandidaten sitzen. Über die Hälfte von ihnen würde er am liebsten rausprüfen. Was er oft erlebt: Fordert er seine Studenten auf, einen Essay zu schreiben, bekommt er zu hören, in der islamischen Tradition sei es doch verboten, sich über den Koran eine eigene Meinung zu bilden. "Wie wollen diese Studenten einmal unterrichten?", fragt Behr. Der Unterricht solle ja nicht Glauben vermitteln, sondern zum Umgang mit Glaubensfragen befähigen.

Ganz so kritisch sieht Mouhanad Khorchide seine Studenten in Münster nicht. Aber auch er kennt die Herausforderung, ihnen klarzumachen, was Theologie an einer säkularen Universität bedeutet. Es falle vielen noch schwer, zwischen Glauben und Wissenschaft zu trennen. "Sie wollen ihren Glauben bestätigt sehen, die Universität ist aber ein Ort, um über den Glauben zu reflektieren." Es werde wohl noch ein, zwei Studentengenerationen dauern, bis das in allen Köpfen angekommen sei, sagt Khorchide.

Schon jetzt ein Vorzeigeprojekt ist das Graduierten-Kolleg, das die Universitäten gemeinsam mit der Mercator-Stiftung betreiben. Es hat 16 hervorragend qualifizierte Nachwuchswissenschaftler hervorgebracht.

Das Fach sei in Deutschland zwar noch in der Aufbauphase, sagt Bülent Ucar, aber trotzdem innerhalb der islamischen Theologie in Europa schon federführend. Hier ist auch eine größere Freiheit des Denkens möglich als in den meisten islamischen Herkunftsländern.

Diese Freiheit gilt es zu nutzen.

Arnfrid Schenk

© Die Zeit 2016