"Humor kann Spannungen entschärfen"

Mit seinem Video-Projekt „People of the Book“ informiert der israelische Rabbiner und Journalist Elhanan Miller in arabischer Sprache über das Judentum. In Zeichentrickfilmen kontert er Vorurteile mit Humor und erklärt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Religionen. Millers Ziel: Juden und Araber sollen sich gegenseitig besser verstehen. Ein Interview von Claudia Mende für Qantara.de

Von Claudia Mende

Herr Miller, wie kam es zu Ihrem Projekt "People of the Book"?

Elhanan Miller: Das Video-Projekt startete im Juli 2017, als ich endlich ein Studio gefunden hatte, das mir geeignet schien, meine Ideen in Form von Zeichentrickfilmen zu verbreiten. Sie eignen sich dazu, die arabische und islamische Welt zu erreichen. Denn Cartoons haben etwas Entwaffnendes. Sie nähern sich Themen auf eine unschuldige Art und Weise.

Auffällig an Ihren Cartoons ist die humorvolle Art. Aber es finden sicher nicht alle toll, wenn man so über religiöse Fragen spricht.

Miller: Für mich ist der Humor das Wichtigste an diesem Projekt, denn er kann Spannungen entschärfen. Die Abwehr bricht zusammen, wenn Humor mit im Spiel ist. Aber dieser Humor muss vor allem selbstironisch sein. Man darf über die eigene Seite lachen, man darf sich aber nicht über den Glauben der anderen lustig machen. In enger Zusammenarbeit mit meinen Trickfilmzeichnern versuche ich, diese Art von Humor zu nutzen, um den jüdischen Glauben  vermitteln Das Judentum ist wahrscheinlich eher damit vertraut, Humor in der Religion zu nutzen als der Islam.

Lagen Sie da auch schon mal daneben, so dass sich Nutzer beschwert haben?

Miller: Es gab einen oder zwei Fälle, in denen ich versehentlich rote Linien für Muslime überschritten habe. Zum Beispiel gibt es im zweiten Video über das tägliche Gebet eine Szene, in der ein Muezzin zum Gebet ruft und eine Katze vor Schreck aufspringt. Für viele sah das so aus, als würden wir uns über den islamischen Ruf zum Gebet lustig machen.

 

Dann gab es auch Beschwerden, weil wir die Propheten Abraham, Isaak und Jacob beim Gebet gezeigt haben. Ich wusste nicht, dass Muslime gar keine Propheten  darstellen; ich dachte, das gelte nur für den Propheten Mohammed. Aber ich lerne aus Fehlern und versuche dann, sie zu vermeiden.

Auf jüdischer Seite gab es keine nennenswerte Opposition, vielleicht einzelne Stimmen von Menschen, die nicht glücklich über meine Art von Humor sind.

Angefangen haben Sie mit sehr grundlegenden Themen wie Speisevorschriften und täglichen Gebetszeiten. Wie waren die Reaktionen?

Miller: Die meisten Kommentare sind positiv. Anfangs gab es zwar auch negative Reaktionen und auch Misstrauen gegenüber meiner Motivation, aber nach und nach wurden die Reaktionen positiver. Und jetzt, nach drei Jahren, kennen mich die meisten Follower ja auch. Ich habe absichtlich mit einfachen und leichten Themen begonnen.

Essen ist das am wenigsten kontroverse Thema, deshalb habe ich mit dem Video über die Unterschiede zwischen kosher und halal angefangen. Hier gab es viele neugierige Kommentare. Letztes Jahr habe ich dann auch kontroversere Themen behandelt, die zwischen Juden und Muslimen strittig sind.

Welche zum Beispiel?

Miller: Zum Beispiel den Stellenwert der Propheten und die Rolle, die sie für Juden und Muslime spielen. Oder die Frage nach Jerusalem, die ja politisch heikel ist. Ich habe versucht zu erklären, was Jerusalem für die Juden bedeutet und welchen Stellenwert es für Muslime hat. Ich versuche immer, beide Seiten darzustellen. In jüngster Zeit habe ich mich auch mit Versen im Koran beschäftigt, die für Juden schwierig sein könnten oder falsche Vorstellungen über das Judentum enthalten.

Das Neue am Projekt ist, dass es in arabischer Sprache über das Judentum informiert. Der Islam enthält viele Aussagen über Christen und Juden, aber Araber von heute und – allgemeiner gesprochen – Muslime haben sehr wenig Zugang zu den Vorstellungen von Juden über sich selbst. Das Projekt erklärt in arabischer Sprache, wie wir uns selbst und unsere Religion verstehen.

 

Das ist dann für Araber manchmal ungewohnt, manchmal überraschend. Anderes finden sie vielleicht lustig und wieder anderes dem Islam erstaunlich ähnlich. Das hängt vom Betrachter ab.

Gibt es auch Kommentar wie "Mensch, ich wusste gar nicht, wie ähnlich wir uns sind"?

Miller: Ja, es gibt viele solcher Kommentare. Das sind die positiveren Reaktionen, über die ich besonders glücklich bin. Aber es gibt auch Kommentare, die sich stärker an der islamischen Theologie orientieren und die Widersprüche eher als bedrohlich sehen. Sie betonen vor allem die Unterschiede. Da heißt es zum Beispiel, dass die jüdische Tradition durch den Islam widerlegt worden sei.

Mein Ziel ist es, kognitive Dissonanz zu schaffen, eine Art positive Verwirrung, die zu Neugier und einer tieferen Auseinandersetzung führt. Aber Menschen reagieren unterschiedlich auf Neues. Manche fühlen sich dadurch bedroht und blenden es sofort aus. Andere sagen, "oh das wusste ich nicht und vielleicht will ich mir das genauer anschauen". Solche Menschen möchte ich mit meinen Videos erreichen.

Und die Viewer, die nicht mit Unterschieden umgehen können?

Miller: Sie sind schwer zu überzeugen. Aber es gibt eine große Anzahl von Menschen in der arabischen Welt, die keine Kenntnisse über das Judentum haben und einfach neugierig sind. Vor allem, weil es heute fast keine Juden mehr im Nahen Osten gibt.

Früher gab es Synagogen und jüdische Gemeinden; in Ländern wie Irak, Syrien, Jemen, Marokko oder Libyen hatten die Menschen jüdische Nachbarn. Meine Nutzer sind sehr jung – nach meinen Statistiken auf YouTube sind 50 Prozent unter 35 – es gibt eine ganze Generation von Arabern, die nie Kontakt mit Juden hatte.

Bitte sagen Sie etwas über die Zahl Ihrer Nutzer und woher sie kommen.

Miller: Ich habe etwa 80.000 Abonnenten meines YouTube-Kanals und 55.000 Follower auf Facebook, also 135.000 Nutzer insgesamt. Meine Videos werden jeden Monat millionenfach angeklickt.

Es ist sehr interessant zu sehen, wo die Nutzer herkommen. Die meisten YouTube-Nutzer stammen aus Saudi-Arabien, etwa ein Viertel. Das ist viel, verglichen mit der nächstgrößeren Gruppe aus dem Irak und aus Ägypten. Rund zehn Prozent kommen aus diesen beiden Ländern. Ich habe einige Theorien, warum das so ist. In Saudi-Arabien haben die Menschen einen guten Zugang zum Internet und zu sozialen Medien, aber Saudi-Arabien ist auch eines der wenigen Länder im Nahen Osten, in denen es seit dem Propheten Mohammed vor rund 1400 Jahren keine jüdische Gemeinde gibt.

 

Und es ist eine sehr konservative und religiöse Gesellschaft. Diese Kombination hat aus Juden eine Art sagenumwobene Gemeinschaft gemacht, von der im Islam viel gesprochen wird, die Muslime aber nie persönlich kennenlernen konnten.

Wollen Sie falsche Zuschreibungen über das Judentum in der arabischen Welt korrigieren?

Miller: Ich möchte natürlich ein arabisches Publikum über das Judentum informieren, aber ich will auch zum Frieden beitragen, indem ich religiöse Sprache in die Bemühungen um Frieden einbringe. Denn der Oslo-Prozess zwischen Israel und den Palästinensern wird vor allem von Säkularen auf beiden Seiten geführt. Einer der Gründe dafür, dass dieser Friedensprozess stockt, liegt für mich darin, dass religiöse Akteure und religiöse Sprache nicht daran beteiligt sind. Sie sollten es aber sein.

Warum halten Sie religiöse Sprache hier für hilfreich?

Miller: Wir sollten zumindest damit experimentieren. Denn aus meiner Erfahrung aus Dialog-Arbeit mit Palästinensern und Siedlern konnte ich anders als meine säkularen Kollegen schnell einen Kontakt zu den Palästinensern herstellen. Es gab so etwas wie eine gemeinsame Sprache zwischen uns, weil ich diesen religiösen Hintergrund habe, den viele Araber und Muslime teilen. Durch geteilte religiöse Erfahrung können wir Frieden fördern. Das ersetzt den politischen Prozess nicht, kann ihn aber ergänzen und zu friedlicheren Beziehungen führen.

Aber ist es nicht eher Politik als Religion,  die Palästinenser und Israelis trennt?

Miller: Ich glaube, es ist beides. Der Konflikt ist sehr komplex. Es ist schwierig, ihn als nur politisch oder nur religiös zu beschreiben. Natürlich geht es zunächst einmal um Land, Grenzen und politische Fragen. Aber die religiösen Traditionen und der ganze Rucksack, den wir tragen, macht es sehr schwer, ihn zu lösen. Es geht um das, was unsere Religionen über die andere Seite und ihre Verbindung mit dem Land sagen. Man darf das nicht einfach ignorieren in der Hoffnung, dass es weggeht. Wir müssen solche Fragen in die Sprache der Friedensbemühungen einbringen.

 

Das größte Hindernis im Friedensprozess ist die Dehumanisierung des anderen. Religion kann dazu beitragen, den anderen als Menschen zu sehen.

Es gibt aber auch "Hassreden" in den Religionen. Haben Sie das auch als Thema aufgegriffen?

Miller: Ja, ich habe eine Reihe von Dialogen mit einer Muslima geführt, in der wir einige religiöse Fragen vertieft behandelt haben – über die Cartoons hinaus. Zum Beispiel haben wir über schwierige Verse in unseren Schriften gesprochen, die andere dämonisieren oder falsch charakterisieren, Verse, die uns Probleme machen.

Ich kann nicht ignorieren, dass in der Geschichte unseres Konflikts religiöse Akteure und religiöse Parteien häufig das größte Hindernis auf beiden Seiten darstellten. Aber ich glaube, wir haben noch nicht genügend damit experimentiert, Religion dazu zu nutzen, um Werte wie Frieden, Toleranz oder Koexistenz zu vermitteln. Unterschiede und Konfliktpunkte kennen wir alle. Ich möchte mehr die Gemeinsamkeiten betonen.

Claudia Mende

© Qantara.de 2020

Elhanan Miller ist Rabbiner und Journalist. Er wurde in Jerusalem geboren und studierte dort Islamic and Middle East Studies an der Hebrew University. Anschließend absolvierte er die Ausbildung zum Rabbiner. Er arbeitete als Journalist für arabische und israelische Medien und lebt zurzeit in Canberra, Australien.