"Wir" und "die Anderen"

Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September ging die mediale Berichterstattung über die Religion des Islam häufiger im Kontext von "Wir" und "die Anderen" auf. Der Islam- und Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders gibt in seiner Analyse Antworten auf die Frage, welchen Wandel das Islambild in den deutschen Medien erfahren hat.

Von Thorsten Gerald Schneiders

Nach 2001 hat sich eine "Berichterstattungskultur etabliert, die die komplexe Lebensrealität von weltweit etwa 1,2 Milliarden Muslimen – der zweitgrößten Religionsgemeinschaft der Welt – in hohem Maße mit Gewalt- und Konfliktthemen wie dem internationalen Terrorismus in Verbindung bringt".

Zu diesem Urteil kommen die Politik- und Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez und Carola Richter in einer 2007 vorgelegten Studie. Dabei haben sie nicht etwa die Boulevard-Medien untersucht, sondern die Magazinsendungen und Talkshows sowie die Dokumentationen und Reportagen der öffentlich-rechtlichen Fernseh-Anstalten ARD und ZDF.

"Im Ergebnis zeigte sich, dass 81 Prozent aller Thematisierungen bei ARD und ZDF negativ konnotierten Themen zugerechnet werden können; lediglich 19 Prozent repräsentieren ein neutrales oder positives Themenspektrum".

Die negativ konnotierten Themen teilen sich prozentual wie folgt auf:

Internationale Konflikte (17 Prozent),

Integrationsprobleme (16 Prozent),

Religiöse Intoleranz (10 Prozent),

Fundamentalismus/Islamisierung (7 Prozent),

Frauen/Unterdrückung/Emanzipation (4 Prozent)

Islam im negativen Kontext

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Parisa Namin. Sie untersuchte 2007 die Darstellung des Islams und der Muslime in der "Bild"-Zeitung und im "Spiegel". Auch sie fand für beide Medien heraus, dass rund 75 Prozent der Artikel die Religion des Islam und deren Anhänger in einem negativen Kontext behandelten; zu 55 Prozent drehte es sich in "Bild" um Terrorismus und Extremismus, zu 40 Prozent im "Spiegel".

Schilder von Pro-Köln-Aktivisten gegen den Bau der Moschee in Köln-Ehrenfeldt; Foto: picture-alliance/Ralph Goldmann
Islamophobie und Rechtspopulismus auf dem Vormarsch: In Deutschland gibt es nach Expertenangaben eine wachsende Islamfeindlichkeit. Die Zahl der Anschläge auf Moscheen und Flüchtlingsheime sind in den vergangenen zwei Jahren stark gestiegen. Vor allem politische Organisation wie "Pro Köln" oder aktuell "Pegida" schüren Ressentiments gegen Muslime und Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft.

Zudem weist Namin auf bedenkliche Sinn-Induktionen hin, durch die diese negativen Inhalte mit Dingen des alltäglichen muslimischen Lebens kombiniert wurden – wie Koran-Ausgaben oder Moschee-Ansichten (Namin 2009).

Wenn von einem negativen Islambild in deutschen Massenmedien die Rede ist, macht sich das also nicht zwangsläufig an der Wortwahl fest, wie man zunächst meinen könnte. Offene Beschimpfungen oder sonstige verbale Ausfälle gegen Muslime – wie etwa im Fall Necla Keleks, die männliche Muslime im ZDF pauschal als Sodomisten verunglimpft, oder im Fall des Welt-Redakteurs Matthias Matussek, der im Hessischen Rundfunk forderte, öffentlich sagen zu dürfen: "Der Islam ist eine Erfindung eines Gangsterhauptmanns aus dem 7. Jahrhundert" und der Koran sei ein "blutrünstiges Märchenbuch" – sind eher selten. Das Islambild wird primär durch die Auswahl von Themen bestimmt.

Allerdings lassen sich diese Themensetzungen meines Erachtens nur bedingt als Vorwurf an die Medien formulieren. Denn insbesondere Nachrichten, politische Magazine und Talkshows orientieren sich natürlich an dem, was in der Welt geschieht, sprich in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft.

Ausgeblendete Wirklichkeiten

Weder Nachrichten noch politische Berichterstattung befassen sich nach gängiger journalistischer Praxis mit der Beschreibung alltäglicher Erfahrungen beim Bäcker um die Ecke oder in den Büros im Kanzleramt, sondern per definitionem geht es um das Neue, das Außergewöhnliche, das Problematische und Kontroverse.

In den 1990er Jahren traf all das zum Beispiel auf das Phänomen der Selbstmordanschläge zu. Sie schockierten die friedensgewohnten Gesellschaften in Europa ganz besonders. Generell lässt sich seit dieser Zeit ein deutlicher Anstieg der Zahl islamistisch motivierter Gewalttaten beobachten, und das wiederum löst entsprechende Berichterstattungen aus.

Der US-amerikanische Politologe Samuel P. Huntington; Foto: dpa/picture-alliance
Kontroverse Debatten über eine neue Weltordnung und den Kampf der Kulturen: Über die Feuilletons erhielten die viel diskutierten und umstrittenen Thesen des Politikwissenschaftlers Samuel Huntington in den 1990er Jahren auch Einzug in die deutschen Mediendebatten.

Die Frage, ob über etwas berichtet wird, stellt sich häufig. Die Pflicht zur Berichterstattung ist oftmals strukturell vorgegeben. Offen ist dagegen die Umsetzung von Nachrichten, Talkshows und Magazinen. Mitunter trägt diese schon dazu bei, negative Stimmungen zu verstärken.

Zum Beispiel wenn die Darstellungen ins Klischeehafte und Pauschalisierende verfallen, aber auch wenn Gäste mit extremen Meinungen in Talkshows eingeladen werden, um Einschaltquoten zu steigern. Oder wenn Aussagen umstrittener Personen ohne weitere Einordnung vervielfältigt werden. Thilo Sarrazins Buchauszüge wurden im "Spiegel" kommentarlos abgedruckt, erst in der darauffolgenden Ausgabe gab es eine kritische Auseinandersetzung mit seinen Thesen.

Auch eine zu beobachtende mediale "Islamisierung" von Berichterstattungen kann kritisch hinterfragt werden: Zum Beispiel die überproportionale Thematisierung des Islams in der Türkei durch das "Europamagazin" der ARD. In der Verflechtung der Türkei mit dem Rest Europas ist der Islam im Grunde ein Randthema: Von den 33 Kapiteln in den Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU hat nicht eines unmittelbar mit dem Islam zu tun.

Politically Incorrect – das Sprachrohr der Islamfeinde

Beim Thema Islam muss man sowohl fundamentalistische als auch an islamfeindliche Interessengruppen nennen, wobei letztere deutlich stärker in unsere Massenmedien hinein wirken. Ein Beispiel dafür ist das 2004 gegründete Weblog Politically Incorrect. Es wurde zum zentralen Medium der islamfeindlichen Szene in Deutschland und gilt generell als eines der meist besuchten Blogs in Deutschland. Auf dieser Seite werden Artikel mit Kommentarfunktion eingestellt, in denen Muslime und der Islam unverhältnismäßig scharf und einseitig kritisiert bzw. beleidigt werden. Dort ist schon mal von "Drecksmoslems", "Kameltreiber", "Ziegenficker" oder "Schleierschlampen" die Rede.

Politically Incorrect (PI) konnte eine ganze Weile unbehelligt Gift versprühen. Zwischenzeitlich fand die Seite auch bürgerliche Verteidiger wie den früheren "Spiegel"-Autoren und heutigen "Welt"-Redakteur Henryk M. Broder, der einst sagte, man könne über PI geteilter Meinung sein.

Eine breite kritische Auseinandersetzung mit Seiten wie PI ließ lange auf sich warten, noch länger dauerte es, bis sich Politik und Sicherheitsbehörden solchen Seiten annahmen.

Abgrenzungsmechanismen

Berichterstattung über das Thema Islam muss nach Ansicht der Erziehungswissenschaftlerin Iman Attia generell auch im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Abgrenzungsbestrebungen betrachtet werden. Hier spielten Fragen der eigenen und der nationalen Identität eine Rolle, schreibt sie. Schon der Ethnologe Claude Levi-Strauss hatte ausgearbeitet, dass der Menschen ein Gegenüber braucht, von dem er sich absetzen kann. In vielen Sprachen bedeutet die Eigenbezeichnung einer Gruppe schlicht "die Menschen" – bekannte Beispiele sind die Inuit im nördlichen Polarkreis oder die Kanaken im Südwestpazifik.

Übertragen auf den Islam bedeutet das, die Anderen waren zunächst die Gastarbeiter, dann wurden aus ihnen in der öffentlichen Wahrnehmung ganz allgemein die Ausländer und seit neuestem sind sie die Muslime.

Sarrazin bei seiner Buchvorstellung "Deutschland schafft sich ab"; Foto: AFP/Getty Images
Im Fokus der Medien: Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ aus dem Jahr 2010 wurde in einem bis dato nie gekannten Ausmaß thematisiert. Die zwei auflagenstärksten Verlagserzeugnisse in Deutschland „Bild“ und „Spiegel“ räumten gleich mehrere Seiten frei, um dieses Buch in Auszügen abzudrucken.

Der sprachliche Wandel hin zu Muslimen geht auf zwei Entwicklungen zurück. Erstens: ausländerfeindliche Diskurse stießen in der breiten Öffentlichkeit auf erheblichen Widerstand; nicht zuletzt nach den Übergriffen in Solingen, Mölln oder Rostock. Zweitens: Die steigende Zahl medial beachteter Gewalttaten unter Berufung auf die Religion des Islam. Durch das berechtigte Anprangern solcher Taten unter dem Stichwort Islamkritik, erkannten immer mehr Menschen die Möglichkeit, die Schmuddelecke der Fremdenfeindlichkeit verlassen zu können. Also gingen sie von nun an die Muslime stellvertretend für die von vielen empfundene Überfremdung in Deutschland an.

Um zu bekräftigen, dass sie dem klassischen Bild der geächteten Rechtsradikalen nicht entsprechen, bezeichnen sich PI-Aktivisten und andere demonstrativ als israelfreundlich. Zudem heben sie die Verteidigung von Bürgerrechten und Werten der westlichen Kultur auf ihren Schild.

Mit dieser Taktik gelingt bis heute, Teile der Bevölkerung inklusive diverser Medienvertreter zu täuschen. Sie erkennen ein grundsätzlich verfassungskonformes Verhalten, bei dem lediglich einzelne einmal verbal über die Strenge schlagen. Dass aber Teile der Bevölkerung, zu deren Schutz unsere Verfassung ebenfalls geschrieben wurde, von solchen Tendenzen bedroht werden, hat sich noch nicht überall durchgesetzt.

"Abendländische Kultur" anstelle von "weißer Rasse"

Dabei stellte Theodor W. Adorno schon 1955 fest, dass manche die "abendländische Kultur" anstelle der "weißen Rasse" gesetzt haben: "Nicht selten verwandelt sich der faschistische Nationalismus in einen gesamteuropäischen Chauvinismus […] Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch", so Adorno.

Bereits 1981 konstatierte der Literaturwissenschaftler Edward Said, die Berichterstattung westlicher Medien sei inakkurat. Sie erfolge auf der Basis einer geringen Anzahl von Islam-Klischees bzw. von Generalisierungen und sei von Ethnozentrismus, kulturellem und rassistischem Hass sowie Feindseligkeit geprägt.

Forscher wie Kai Hafez und auch die Kommunikationswissenschaftlerin Sabine Schiffer kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Schiffer betont, dass nicht erst seit dem 11. September 2001 flächendeckend Islam-Klischees benutzt werden.

Edward Said; Quelle: wikipedia
Bereits 1981 konstatierte der Literaturwissenschaftler Edward Said, die Berichterstattung westlicher Medien sei inakkurat. Sie erfolge auf der Basis einer geringen Anzahl von Islam-Klischees bzw. von Generalisierungen und sei von Ethnozentrismus geprägt.

Der Kommunikationswissenschaftler Tim Karis zeichnet dagegen ein differenzierteres Bild. In seiner Dissertation zum Mediendiskurs Islam erhärtet er anhand einer Untersuchung der Tagesthemen-Sendungen von 1979 bis 2010 zwar ebenso die These einer negativen Berichterstattung. Zugleich kommt er aber zu dem Ergebnis, "dass der Mediendiskurs Islam nicht nur aus negativen Klischees und Stereotypen besteht, sondern ein komplexes und von Ambiguitäten geprägtes Feld darstellt".

Gewachsene Sensibilisierung der Medienschaffenden

In Deutschland haben die Debatten über das Islambild der Medien auch zu einer Sensibilisierung unter Medienschaffenden geführt. Die meisten wissen um die Problematik. Jenseits des journalistischen Umgangs mit dem Thema hat sowohl in Verlagen als auch in Rundfunkhäusern seit einiger Zeit die Überzeugung Einzug gehalten, entsprechend der Gesellschaftsstrukturen, mehr Mitarbeiter mit ausländischer Herkunft einzustellen, auch wenn sie in vielen Häusern heute nach wie vor unterrepräsentiert sind.

Medien können manches steuern, alles aber nicht. Laut Tim Karis tragen Medien auch dazu bei, den Islam in Deutschland sichtbarer zu machen: Ob in positiven oder negativen Zusammenhängen, Islamthemen werden immer wieder mit betenden Muslimen, mit Moscheen und Minaretten oder mit Frauen mit Kopftüchern illustriert. Allein dieses Sichtbarmachen sorgt Karis zufolge schon für soziale Spannungen, da sich die deutsche Gesellschaft als säkular versteht und die Begrenzung des Religiösen auf den Privatbereich zu ihren Werten zählt.

Soziologen vertreten schon länger die These, dass gerade auch der Erfolg der Integration von Muslimen, der sich eben im Bau von Moscheen, im Vordringen in angesehene Berufe zeige, die gesellschaftlichen Spannungen steigere. Allein – das ist mehr ein gesellschaftliches Problem, kein mediales. Medien können die Berichterstattung zum Islam kaum einstellen. Und wer sich daran stört, dass Moscheen, betende Muslime oder Kopftücher zur Illustration benutzt werden, der sollte zumindest einmal mit überlegen, wie man den "Islam" sonst noch darstellen kann.

Thorsten Gerald Schneiders

© Qantara.de 2014

Thorsten Gerald Schneiders ist Islam- und Politikwissenschaftler sowie Sozialpädagoge und Journalist. Zuletzt lehrte er am Centrum für Religiöse Studien der Universität Münster. Sein neuestes Buch "Salafismus in Deutschland. Ursprünge und Gefahren einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung" ist im transcript-Verlag erschienen.