Von der Natur lernen

Welche Anhaltspunkte für Umwelt- und Artenschutz finden sich in der islamischen Theologie sowie im Koran und in den Überlieferungen? Antworten von Muna Tatari, Professorin am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.

Von Ulrike Hummel

Seit wann beschäftigen sich Muslime mit Natur- und Tierschutz?

Muna Tatari: Ein besonderes Thema ist das seit dem 20. Jahrhundert – zum einen als intellektuelle Herausforderung, weil es die These gab, dass die große Umweltkrise vor allem deshalb existiert, weil alle drei monotheistischen Religionen allein den Menschen in den Mittelpunkt rücken und die Umwelt vernachlässigen. Und zum anderen, weil die Menschen in den mehrheitlich islamisch geprägten Ländern die Folgen von Umweltzerstörung am eigenen Leib erfahren – wenn es um Wasserverschmutzung geht oder darum, dass Wälder abgeholzt werden und Böden erodieren im Zuge einer zunehmenden Industrialisierung.

Wo finden sich im Koran Textstellen, aus denen Umweltschutz abgeleitet werden kann?

Tatari: Wenn wir in den Koran schauen, kann man an vielen Stellen entdecken, dass es so etwas wie unbelebte Materie eigentlich gar nicht gibt. Alles besteht aus lebendiger Materie und insofern steht auch alles in einer Gottesbeziehung.

Und dann stellt sich natürlich eine theologische Frage: Wie weit können wir als Mensch eingreifen, diese womöglich Gottesbeziehung zerstören, indem wir unachtsam gegenüber anderen Gemeinschaften, wie denen der Tiere, sind, sowie der Koran sie beschreibt? Also, da schwingt eine starke Wertschätzung mit.

Auch gibt es einzelne Abschnitte, in denen Tiere auftauchen, die etwa eine wichtige Funktion in den Prophetengeschichten haben. Ein Beispiel ist die Kamelstute des Volks Saleh. An ihr wird ein Exempel dafür statuiert, dass viele ethische Prinzipien verletzt worden sind, weil man die Stute schlecht behandelt hatte. Im Koran finden wir recht viele erste Anknüpfungspunkte für eine umfassende Umweltethik und eine Theologie der Nachhaltigkeit.

Gibt es diesbezüglich auch Hinweise auf eine vorbildliche, umweltbewusste Lebensführung des Propheten Mohammed?

Tatari: Die Lebensgeschichte des Propheten Mohammed verrät uns, dass er sehr vorsichtig mit Ressourcen umgegangen ist. Sicherlich auch deshalb, weil er kein reicher Mensch war. Aber es gibt zum Beispiel eine Überlieferung, in der geschildert wird, wie er an einer Person vorbeigeht, die gerade eine rituelle Waschung an einem Fluss für das Gebet vornimmt und das überschüssige Wasser in den Sand kippt. Da mahnte der Prophet die Person: "Das ist Verschwendung!" Wir lernen daraus, dass selbst dort, wo Flüsse sind und viel Wasser fließt, der Mensch stets maßvoll mit den Ressourcen umgehen sollte.

Mann liest im Koran; Foto: picture alliance
Ökologisches Bewusstsein und Verantwortung für die Schöpfung: "Im Koran finden wir recht viele erste Anknüpfungspunkte für eine umfassende Umweltethik und eine Theologie der Nachhaltigkeit. Und auch die Lebensgeschichte des Propheten Mohammed verrät uns, dass er sehr vorsichtig mit Ressourcen umgegangen ist", so Muna Tatari.

Welche Ansätze gibt es in der islamischen Theologie in Hinblick auf den Umgang mit der Natur?

Tatari: In der islamischen Theologie werden hauptsächlich zwei Ansätze diskutiert. Da ist zum einen der Ansatz von Said Hossein Nasr, der sagte, dass es im Prinzip ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Mensch, Natur und Schöpfung gibt. Die ökologische Krise rühre daher, dass es eine spirituelle Krise gebe – eine spirituelle Krise, in der der Mensch sich zunehmend unabhängig von Gott und der Natur begreift. Die Lösung des Problems sieht er in der Neuorientierung und Bindung an Gott. Und weil sich auch Gott in der Natur manifestiert, sei damit auch eine Re-spiritualisierung der Natur verbunden und damit eine Achtsamkeit gegenüber der Natur.

Seine Diagnose lautete: Der Mensch – auch wenn er sich von Gott entfernt hat – sei eigentlich ein Wesen, das nach dem Transzendenten greife und eine Unendlichkeitserfahrung erleben möchte. Da er diese jedoch nicht in Form einer Religion macht, erschöpft sich sein Streben nach Transzendenz in unentwegten Konsumverhalten. Im Prinzip kann ein nachhaltiger Umgang mit der Natur nur funktionieren, wenn sich der Mensch auf einen "anderen Reichtum" konzentriert. Für ihn ist das der Reichtum Gottes, der sich in der Natur zeigt, was wiederum mit einer entsprechenden Achtung und Bewahrung einhergeht.

Einen ganz anderen Ansatz hat Farid Esack entwickelt. Er geht davon aus, dass der Mensch inmitten eines Beziehungssystems steht – in Beziehung zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen, zu Pflanzen und Tieren, zur Schöpfung an sich und nicht zuletzt zu Gott. Es gilt, diese Beziehungen in Gerechtigkeit und Würde zu gestalten. Wenn im Koran steht, dass Pflanzen und Tiere auch Gemeinschaften bilden, dass alles beseelt ist und ein Gebet für Gott hat, so ist das auch ein Sachverhalt, den ich in meiner Beziehungspflege zu berücksichtigen habe. Aus seiner befreiungstheologischen Sicht geht es eben auch darum, bestimmte unterdrückerische Beziehungen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Das bedeutet, die Beziehung zu Gott zeigt sich

auch darin, wie gerecht und emanzipatorisch Menschen in ihren Beziehungen zu anderen Lebewesen und zur Natur handeln.

Gibt es im Islam Propheten, die sich in besonderer Weise für den Umwelt- und Tierschutz engagiert haben?

Tatari: Laut Koran hatte der Prophet Salomon eine intensive Beziehung zu Pferden. Er sprach auch mit einem Vogel und hielt einmal eine Menschenmenge zurück, um einem Schwarm von Ameisen den Weg frei zu halten. Wenn wir in die weiterführende Literatur schauen, dann fällt mir da vor allen Dingen das Buch von den "Ihkwan al-Safa", den "Brüdern der Reinheit", ein. In diesem Buch "Mensch und Tier vor dem König der Dschinnen" geht es darum, dass sich Mensch und Tier in einer Art Wettstreit in Hinblick auf die Anerkennung Gottes stehen. Die Menschen behaupteten, sie könnten dies und das, wogegen die Tiere reklamierten, sie könnten das ebenfalls – allerdings noch viel besser. Gott habe daraufhin den Tieren immer Recht gegeben.

Es ist wohl so, dass den Menschen tatsächlich immer wieder Kritik wiederfährt und ihnen durch die Praxis der Tiere der Spiegel vorgehalten wird. Es geht dabei um ihre Überheblichkeit, ihre ständigen Grenzüberschreitungen. Zum Schluss wird klar, dass es einen Punkt gibt, der die Menschen vor den Tieren auszeichnet: nämlich dass sie dazu fähig sind, eine reflektierte Gottesbeziehung zu haben. Während Tiere das intuitiv und von Natur aus haben, ist der Mensch fähig, das noch einmal über seine Vernunft zu reflektieren. Das ist ein recht schaler Sieg. Da hat der Mensch tatsächlich etwas, was ihn vor den Tieren auszeichnet und das sollte ihn eben auch dazu veranlassen, sich verantwortungsbewusst im Umgang mit der Natur zu verhalten und sich an ihr ein Beispiel zu nehmen und von ihr zu lernen.

Das Interview führte Ulrike Hummel.

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