Islam kehrt nach Andalusien zurück

511 Jahre nach Abschluss der christlichen Eroberung Spaniens 1492 öffnete im Juli 2003 nahe der Alhambra von Granada erstmals wieder eine prächtige Moschee. Rainer Wandler war für 'die tageszeitung' dabei.

511 Jahre nach Abschluss der christlichen Eroberung Spaniens 1492 öffnete im Juli 2003 nahe der Alhambra von Granada erstmals wieder eine prächtige Moschee. Gebaut mit arabischem Geld, soll sie "der Koordination aller europäischen Muslime dienen".

Moschee in Granada, Foto: AP

​​"Allah-u Akbar", schallt es pünktlich zum Mittagsgebet über den Albaicin. Erstmals seit über 500 Jahren erhebt der Muezzin wieder seine Stimme im mittelalterlichen Stadtteil des südspanischen Granada. Der Ort dafür könnte symbolträchtiger nicht sein: Der Vorbeter steigt die 59 Stufen der neu erbauten Großen Moschee hinauf und richtet seinen Ruf hinüber zur Alhambra, dem größten arabischen Palast Europas. Seit die katholischen Könige Spaniens 1492 mit dessen Eroberung 800 Jahren muslimischer Präsenz auf der Iberischen Halbinsel gewaltsam beendeten, trauern Muslime weltweit um "Al-Andaluz", wie sie Südspanien einst tauften.

Die damalige Große Moschee Granadas wurde von den Eroberern geschleift. Auf ihren Fundamenten wurde eine Kathedrale errichtet. Jetzt, 511 Jahre später, wird erstmals wieder von spanischen Muslimen eine Moschee auf dem historischen Ort eröffnet. Botschafter und Staatschefs aus allen muslimischen Ländern kamen zur Einweihung der neuen Großen Moschee von Granada, die nicht unten im Stadtzentrum steht, sondern oben auf den Höhen des Albaicins, gleich neben dem Aussichtspunkt an der San-Nicolas-Kirche. Das panarabische Fernsehen al-Dschasira übertrug den Festakt live.

„Willkommen waren wir hier nicht“

"Lange hat es gedauert, bis wir alle Probleme bewältigten", erklärt Abdul Haqq, Sprecher der Islamischen Gemeinde Spaniens. Vor über 20 Jahren trat der gebürtige Baske von der katholischen Religion zum Islam über. "Auch wenn es keiner offen zugibt: Willkommen waren wir hier nicht", erinnert er sich. Als die muslimische Gemeinde vor 22 Jahren mit libyschem Kapital das Grundstück kaufte, "machten Radioprogramme und Zeitungsberichte überall gegen uns Stimmung". Auf Wänden erschienen Parolen wie "Mauren raus". 1998 erst begannen die Bauarbeiten.
Jetzt steht die prunkvolle Moschee, mitten in einer öffentlichen Gartenanlage. Der Gebetsraum fasst mehrere hundert Personen. In Nebengebäuden gibt es eine Bibliothek und ein Studienzentrum für Islamschüler. "Unser Zentrum soll dem Austausch und der Koordination aller europäischen Muslime dienen", heißt es in einer Vorstellung der "Stiftung Moschee in Granada".

„Privat gelebter Islam ist Islam light“

Die vier Millionen Euro Baukosten kamen zur Hälfte aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. "Der Rest stammt aus der Türkei, Malaysia und Marokko sowie von anonymen Spendern aus der arabischen Welt, aber auch aus Europa", erklärt Abdul Haqq. Die Spender haben einen Traum, den sie mit den Muslimen in Granada teilen: "Glanz und Größe von al-Andaluz wieder erlangen."

Als die Muslime 1492 den christlichen Eroberern Platz machen mussten, ersetzte religiöse Intoleranz und die Vertreibung der Muslime und der Juden das bisherige friedliche und kulturell fruchtbare Miteinander der drei Weltreligionen, das vorher 800 Jahre lang Spanien geprägt hatte. Heute will die muslimische Gemeinde in Granada, die einen marokkanischen Imam angeworben hat, an die Vergangenheit anknüpfen, "ohne dabei zu vergessen, dass wir Antworten auf neue soziale Phänomene geben müssen". Dabei verspüren die Konvertiten durchaus einen missionarischen Drang. Längst sind einige Straßenzüge im Albaicin fest in der Hand spanischer Muslime. Verschleierte Frauen und Männer im wallenden Gewand gehören hier ebenso zum Straßenbild wie Halal-Metzgereien, die nach den Vorschriften des Korans geschlachtetes Fleisch anbieten. "Der Islam muss eine Auswirkung im politischen Raum haben. Ein rein privat gelebter Islam ist ein Islam light", sagt Abdul Haqq. Als nächstes will die Gemeinde deshalb eine Schule errichten.

Reiner Wandler

Quelle: die tageszeitung, 10.07.2003