Was kann die Islamkonferenz leisten?

Der Bundesinnenminister hat die deutsche Islamkonferenz als Erfolg bezeichnet. Sie trage dazu bei Gläubige des Islam in die Gesellschaft einzubinden.
Der Bundesinnenminister hat die deutsche Islamkonferenz als Erfolg bezeichnet. Sie trage dazu bei Gläubige des Islam in die Gesellschaft einzubinden.

Die Kritik ist nicht neu: In der Islamkonferenz säßen nur konservative Verbände, ausländische Einflüsse würden nicht zurückgedrängt und die Imam-Ausbildung komme nicht voran. Doch einige der Vorwürfe sind überzogen. Von Rainer Hermann

Essay von Rainer Hermann

Der Vorwurf ist starker Tobak. Das Bundesinnenministerium biedere sich in der Deutschen Islamkonferenz der Türkei an, es sei mitverantwortlich für den Erdogan-Kult in Deutschland und für die Aufwertung von Ditib, dem deutschen Ableger der türkischen Religionsbehörde Diyanet, schreibt der aus Ägypten stammende Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad auf seiner Facebook-Seite und ruft dann aus: „Nein, ich mache nicht mehr mit.“

Ein Beleg für diese Anschuldigungen lässt sich in der Rede, die Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Dienstag in einer Videokonferenz mit islamischen Verbänden und Einzelpersonen gehalten hat, nicht finden. Vielmehr sagte Seehofer, seine Erwartung sei, dass „die Türkei von nun an Schritt für Schritt die Zahl der nach Deutschland entsendeten Imame reduziert“. Das Ministerium werde diesen Prozess eng begleiten.

Ähnliche Ziele verfolgten Frankreich, Österreich und die Niederlande. Wenn Europa zur Heimat muslimischer Bürgerinnen und Bürger geworden sei, bedürfe es keiner Einmischung und Einflussnahme von außen mehr.

Ditib-Ausbildung in Deutschland?

Kritiker wie Abdel-Samad halten die Ausbildung von Imamen für ein Thema, das lediglich für die konservativen islamischen Verbände relevant sei. Dabei ist sie Voraussetzung dafür, die Abhängigkeit des muslimischen Lebens in Deutschland vom Ausland zu beenden. Einen praktischen Erfolg von weitreichender Bedeutung verzeichnet nun die Islamkonferenz mit der beginnenden Ausbildung von Imamen in Deutschland. Das Bundesinnenministerium begleitet dazu zwei zentrale Projekte. Denn das Grundgesetz gibt vor, dass die Verantwortung für die Ausbildung von geistlichem Personal bei den religiösen Gemeinschaften selbst liegt und nicht beim Staat.

 

 

Im Verein „Islamkolleg Deutschland“ haben islamische Theologen der Universität Osnabrück und islamische Dachverbände ein bundesweites Modellprojekt gestartet, um die Ausbildung von religiösem Personal der islamischen Gemeinden in deutscher Sprache zu starten. Zum Einstieg sind Gruppen bis zu 30 Personen vorgesehen. Mit einer eigenen Imamausbildung in Deutschland und in deutscher Sprache hat zudem die Ditib begonnen, der mitgliederstärkste islamische Dachverband. Sie schafft damit eine Alternative zur Entsendung von Imamen aus der Türkei.

Die Islamkonferenz, wie sie seit 2018 praktiziert wird, hat keine festen Mitglieder, sondern es treffen sich einzelne Personen ad hoc zu konkreten Projekten. Der Vorwurf, dass kritische Stimmen verbannt würden, lässt sich nicht belegen. Denn in variablen Formaten deckt die Konferenz eine große Bandbreite des Islams in Deutschland ab, neben den Dachverbänden etwa junge Initiativen außerhalb der traditionellen Moscheestrukturen sowie muslimische Einzelpersonen, ebenso Vertreter aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft.

In die Kritik geraten ist beispielsweise der neugegründete Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit des Innenministeriums. Ihm gehören zwölf Mitglieder an, und er soll eine Trennlinie zwischen Religionskritik und Muslimfeindlichkeit ziehen. Berufen wurden neben wenigen konservativen Stimmen aber auch und überwiegend angesehene Professoren wie Mathias Rohe und Christine Schirrmacher oder Saba-Nur Cheema von der Bildungsstätte Anne Frank.

Im Kern dreht sich die Kritik an der Deutschen Islamkonferenz um die Frage, wie man mit den islamischen Dachverbänden umgehen soll. Der Vorwurf lautet, sie repräsentierten nur einen kleinen Teil der Muslime in Deutschland und seien konservativ.

Bülent Uçar, Professor für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück, sieht jedoch zur Kooperation mit den Verbänden keine Alternative. Denn das Religionsverfassungsrecht, wie es das Grundgesetz vorgibt, sieht vor, dass der Staat ausschließlich mit organisierten Gläubigen verhandeln könne, seien es Kirchen oder islamische Verbände. Wer Gesprächspartner sein wolle, müsse sich also organisieren. Frankreich und Österreich gehen ähnlich vor.

Prof. Dr. Bülent Ucar, wissenschaftlicher Direktor IKD e.V., Deutschland, Berlin, Bundespressekonferenz, Thema: Gründung eines unabhängigen Imamseminars zur Ausbildung von religiösem Betreuungspersonal - (Foto: Metodi Popow/imago images)
Imamausbildung in und für Deutschland: Der wissenschaftliche Direktor des Islamkollegs, Bülent Ucar, hat die Bundesregierung aufgefordert, parallel zur Ausbildung der ersten Imame in Deutschland auch die Voraussetzungen für deren Anstellung in den Moscheegemeinden zu schaffen. Die Gemeinden seien finanziell nicht in der Lage, Imame angemessen zu bezahlen, sagte er. Deshalb plädiere er dafür, schon jetzt Finanzierungsmodelle für die Moscheegemeinden zu entwickeln.

In die Irre führt der Vorwurf, die Verbände repräsentierten nur eine kleine Zahl von Muslimen. Schließlich stellen die vier großen – und konservativen – Verbände mit ihren etwa 1800 Moscheen die religiöse Infrastruktur für die Muslime, und die Moscheen sind Freitag für Freitag voll.

Die Verbände sind konservativ, weil sie von den Muslimen, die nach Deutschland kamen, zur Brauchtumspflege als Heimatvereine gegründet worden sind und weil sie den konservativen Islam ihrer Herkunftsländer mitgebracht haben.

Was bringt der Begriff „politischer Islam“?

Nun geht es darum, dass die Gemeinden und ihre Mitglieder „heimischer in Deutschland werden“, wie es Seehofer formulierte. Bei Ditib sieht Seehofer eine „neue, selbstbewusste Generation“, die eine stärkere autonome Entwicklung des Verbands als deutscher Vertretung deutscher Muslime anstrebe. Andererseits bremsen die Funktionäre diese Entwicklung, und da Ditib weiter eng an Ankara gebunden ist, profitiert der Verband auch nicht von der Projektförderung im Rahmen der Islamkonferenz.

In seiner polemischen Abrechnung wirft Abdel-Samad der Islamkonferenz vor, den „politischen Islam“ zu stärken. Seit der Gründung der „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ durch die österreichische Regierung im vergangenen Sommer setzt sich dieser Begriff auch in Deutschland fest. Bei der Videokonferenz am Dienstag sei er kontrovers diskutiert worden, sagt Theologieprofessor Uçar.

Bedenklich findet er, dass der Begriff jegliche politische Partizipation von religiösen Menschen unter Verdacht stelle. Religiöse Menschen, Christen wie Muslime, hätten ebenso einen Anspruch auf eine politische Betätigung wie säkulare Atheisten und Agnostiker. „Jene, die ihn verwenden, zielen auf anderes, doch dafür haben wir Begriffe, die sich etabliert haben, also legalistischer Islamismus und gewaltbereiter Dschihadismus“, sagt Uçar. Man brauche keinen neuen Terminus, der zudem schwammig bleibe.

Sinnvoll ist also die Unterscheidung zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als politischer Ideologie. Der Begriff politischer Islam weicht diese sprachliche Unterscheidung auf, und er ist zudem gefährlich, da er den Eindruck erweckt, dass er sich gegen Muslime richtet, die sich aus ihrem gelebten Glauben heraus politisch betätigen und das Primat des staatlichen Rechts anerkennen.

Rainer Hermann

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