Der Zeichenstift als Waffe gegen die Diktatur

Internet-Medien haben die Massenproteste im Iran nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 mit organisiert und in die ganze Welt getragen. Auch der Webcomic "Zahra's Paradise" ist ein Kind dieser Medienrevolution. Von Susanne Schanda

Internet-Medien haben die Massenproteste im Iran nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 mit organisiert und in die ganze Welt getragen. Auch der Webcomic "Zahra's Paradise" ist ein Kind dieser Medienrevolution. Nahezu in Echtzeit erzählt er, wie die Protestwelle den Gottesstaat erschüttert hat. Susanne Schanda hat ihn gelesen und mit dem Autor gesprochen.

​​ "Sie können so viele Zeitungen verbieten wie sie wollen, aber die Volkspresse lässt sich nicht unterkriegen." Das sagt im Comic der Besitzer eines Internetcafés, der auf seiner Kopiermaschine gerade tausend Exemplare eines Flugblattes mit einer Vermisstenanzeige produziert.

Der Vermisste heißt Mehdi, ist 19 Jahre alt und hat vier Tage nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 an der Grossdemonstration am Platz der Freiheit teilgenommen, als über eine Million Menschen durch die Strassen Teherans zogen und riefen: "Wo ist meine Stimme?" Seither ist er verstummt und verschwunden.

Seine Mutter und sein Bruder, ein Blogger, machen sich auf die Suche nach Mehdi. Sie gehen als erstes zum Freiheitsplatz, wo es am Vortag zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und den Demonstranten gekommen ist. Dann pilgern sie von Krankenhaus zu Krankenhaus, sehen viel Blut und schwer verletzte Menschen. Doch nirgends eine Spur von Mehdi, auch nicht bei dem berüchtigten Evin-Gefängnis für politische Häftlinge.

Im nächtlich erleuchteten Teheran mit seinen hohen Gebäuden sehen wir zahlreiche Männer und Frauen auf den Dächern stehen, die Arme gegen den Himmel gereckt und herausfordernd "Allahu Akbar" rufend.

Die Islamische Republik – ein gescheitertes Experiment

"Die Religion war schon immer sehr wichtig für die Iranerinnen und Iraner", sagt Amir, der Autor von "Zahra's Paradise" im Interview am Telefon. Der heute in den USA lebende Iraner war gerade 12 Jahre alt, als er während der Islamischen Revolution 1979 mit seiner Familie das Land verließ.

​​ "Meine Erfahrung mit der Religion in Iran war von einer liebevollen Großmutter geprägt und selbstverständlicher Teil unserer Kultur. Aber der Islam, wie er heute in Iran indoktriniert wird, ist verdorben und korrupt. Ich halte die 30-jährige Islamische Republik für ein Experiment wie es der Marxismus war, und das Experiment ist gescheitert", sagt er dezidiert.

Amir, der nur mit seinem Vornamen in Erscheinung tritt, um keine Schwierigkeiten zu bekommen, ist Journalist, Dokumentarfilmer und Menschenrechtsaktivist. Er hat in Afghanistan gelebt, in Europa und Kanada.

Über Blogs und Websites der Reformbewegung, sowie durch Gespräche mit Freunden und Verwandten ist er immer mit seiner alten Heimat in Verbindung geblieben. "Ich gehöre zu einer Generation von Iranern, die zwischen den Kulturen aufgewachsen sind", sagt der Autor.

"Zahra's Paradise" erscheint seit Februar jeweils montags, mittwochs und freitags in zehn Sprachen im Internet. Nächstes Jahr soll er in Buchform publiziert werden. Es ist Amirs erster Comicroman. Die Rohfassung hat er fertig geschrieben, doch die einzelnen Seiten des Fortsetzungscomics erarbeitet er fortlaufend zusammen mit dem arabischen Zeichner Khalil (auch er gibt nur seinen Vornamen preis).

Persisch-arabisch-jüdische Zusammenarbeit

Der Comicroman wird vom jüdisch-amerikanischen Comicautor und Verleger Mark Siegel in New York herausgegeben. Diese persisch-arabisch-jüdische Zusammenarbeit ist per se ein Statement gegen das gängige Feindschaftsschema im Namen der Religion.

"Ich habe schon länger mit Khalil über einem Iran-Comic gebrütet und auch mit Mark Siegel darüber gesprochen", erzählt Amir. "Dann kamen die Wahlen und die Protestwellen, die Bilder voller Energie und Hoffnung auf Veränderung. Da wussten wir sofort, dass wir uns diese Geschichte nicht entgehen lassen dürfen."

Als Journalist habe er es oft mit Splittern der Realität zu tun. Der Comic habe ihm erlaubt, eine Geschichte zu entwickeln, die sich aus der Realität nähre, aber die Teile zu einem Ganzen zusammensetze, sagt Amir: "Eine Art Collage."

Der Titel bezieht sich auf den Friedhof Behesht-e Zahra im Süden Teherans, wo zahlreiche Opfer der Staatsgewalt begraben sind; unter ihnen die Studentin Neda, die zum Symbol des Widerstands geworden ist.

Behesht-e Zahra ist für Amir aber nicht nur ein Friedhof, "sondern auch ein Garten, in dem die Welt wieder geboren wird." Er ist überzeugt: "Die Toten sind nur tot, wenn wir sie vergessen. Wenn wir hingegen an sie denken, spüren wir die Kraft und Energie, die von ihnen ausgeht."

Frauen mit Zivilcourage

Die Helden dieses Webcomics sind Heldinnen. Die Mutter Zahra zieht auf der Suche nach ihrem Sohn stundenlang durchs nächtliche Teheran und schreckt auch nicht davor zurück, vor dem Evin-Gefängnis einen hohen Beamten herauszufordern; Zahras Freundin Miriam, die gerne raucht und Alkohol trinkt, macht sich wenig aus religiösen und anderen Verboten.

Als Zahra ihr erzählt, wie ihr die Geburt Mehdis damals wie ein Geschenk Gottes vorgekommen sei, erwidert Miriam sarkastisch: "Nun, Gott hat uns auch Khomeini geschenkt. Jetzt brauch ich aber noch einen Scotch."

​​ Für die Zivilcourage der iranischen Frauen im Alltag steht die junge kokette Frau im Internet-Café, die mit ihrem Nachbarn flirtet und den neugierig beobachtenden Besitzer in die Schranken verweist mit der Bemerkung: "Ich bezahle hier für die Internet-Zeit. Wenn ich einen Zensor brauche, zahle ich extra; was verlangen Sie dafür?"

Der Studentin Neda, deren Sterben mit einer Handy-Kamera gefilmt und über Twitter weltweit verbreitet wurde, widmet der Comic eine ganze Seite. Und auch Zahra Kazemi, die 2003 im Gefängnis zu Tode gefolterte iranisch-kanadische Fotojournalistin, erhält eine Hommage.

Vorbild Marjane Satrapi

Amir und Khalil stehen mit "Zahra's Paradise" in der Tradition der in Paris lebenden iranischen Künstlerin Marjane Satrapi. In ihrem inzwischen verfilmten Comicroman "Persepolis" aus dem Jahr 2000 hat sie anhand ihrer eigenen Biografie die islamische Revolution künstlerisch dokumentiert. Satrapi ist für Amir bewundertes Vorbild und Inspirationsquelle.

"Ihr kommt das Verdienst zu, in ihrem Comic Iranerinnen und Iraner gezeigt zu haben, die hinter der offiziellen Fassade der islamischen Republik an der Veränderung arbeiten, engagierte, intelligente Personen, von denen man im Westen nie etwas hört."

Während Satrapi allerdings ihre eigene Geschichte in den Mittelpunkt stellte, erzählt "Zahra's Paradise" ein fiktionales Geschehen auf dem Hintergrund der jüngsten politischen Ereignisse, die noch gar nicht abgeschlossen sind – nahezu in Echtzeit.

Als Journalist weiß Amir, wie rasch politische Ereignisse wieder aus dem Scheinwerferlicht der Medien verschwinden. "Unser Comic will dazu beitragen, dass die jüngste Geschichte der Iranerinnen und Iraner im Bewusstsein präsent bleibt."

Susanne Schanda

© Qantara.de 2010

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

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