Iranische Gegenwartsliteratur
Aufräumen mit Zerrbildern

Mullahs, Diktatur, Atomkonflikt – auf diese Stichworte ließe sich der Iran reduzieren, bliebe man bei den Themen der Tagespresse. Wer ein Land hingegen besser verstehen will, kommt um seine Literatur nicht herum. Und die iranische Literatur ist so vielfältig wie das Land selbst. Von Gerrit Wustmann

Wieder mal ist der Iran in den Schlagzeilen. Mit den üblichen Themen: iranisch-amerikanischer Konflikt, Atomkonflikt, Polizeigewalt gegen Demonstranten, religiöser Fanatismus. Dass diese Dinge nur ein kleiner Teil dessen sind, was die Iraner im Alltag beschäftigt, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber eine, die man sich in Erinnerung rufen muss, um nicht einem Zerrbild zu erliegen.

Wenn man versuchen will, ein Land besser zu verstehen, dann kommt man um die Literatur nicht herum. Doch die auf Deutsch vorliegenden Übersetzungen sind spärlich. Das ist bedauerlich, gerade im Fall von Iran, einem Land, das auf eine jahrtausendealte literarische Tradition blicken kann. Von Hafez bis heute gibt es noch viele Schätze zu heben. Gedichte, Kurzgeschichten, Romane. Auf Letzteren soll hier das Augenmerk liegen.

Eine Geschichte von Helden und Märtyrern

Der iranische Schriftsteller Hossein Mortezaeian Abkenar; Quelle: radcliffe.harvard.edu
"No more Heroes": Der Schriftsteller Hossein Mortezaeian Abkenar hat den Märtyrerkult und politische Propaganda in seinem Romandebüt "Skorpion" konterkariert. Bei ihm gibt es keine Helden. Er und seine Kameraden wollen nicht zu Märtyrern werden. Sie sind verzweifelt und verstört. Alles, was sie wollen ist, zu überleben.

Der Iran-Irak-Krieg beherrscht bis heute die Narrative der iranischen Innenpolitik. Es ist die Geschichte eines Landes, das, unmittelbar nach der Islamischen Revolution, gegen einen äußeren Aggressor zusammensteht. Eine Geschichte von Helden und Märtyrern, nach denen heute unzählige Straßen benannt sind.

Es gibt Kriegsmuseen und Gedenkstätten, Songs, Filme und Bücher, die an jene Zeit erinnern. Die meisten davon erzählen eine Propagandageschichte.

Der Schriftsteller Hossein Mortezaeian Abkenar hat sie in seinem Romandebüt "Skorpion" (Deutsch von Kurt Scharf, Kirchheim Verlag 2013) konterkariert. Bei ihm gibt es keine Helden.

Nur das Blut, das Elend, den Tod, die Leichenberge, das Töten. Der Erzähler erinnert sich an seine Sympathie für die irakischen Soldaten und daran, dass es auf dem Schlachtfeld völlig egal ist, auf welcher Seite man steht. Er und seine Kameraden wollen nicht zu Märtyrern werden. Sie sind verzweifelt und verstört. Alles, was sie wollen ist, zu überleben.

Abkenar war selbst als junger Soldat an der Front. So verstörend das Buch inhaltlich ist, so faszinierend und ambitioniert ist es. Indem Abkenar immer wieder die Erzählperspektive wechselt, mal in die erste, mal in die dritte Person springt, und die Gedankenströme teils ganz ohne Interpunktion wiedergibt, spiegelt er formal die Zerrissenheit seiner Figuren.

Ein gutes Ende gibt es nicht, der Skorpion hinterlässt nichts, das zur nationalen Vereinigung taugen könnte.

Zweifelhafte Ehrung für Cheheltans Roman

Amir Hassan Cheheltans Roman "Iranische Dämmerung" (Deutsch von Jutta Himmelreich und Farsin Banki, Kirchheim Verlag 2015) wurde vom iranischen Kulturministerium als Buch des Jahres 2007 ausgezeichnet – allerdings erst, nachdem die Zensur Kürzungen vorgenommen hatte. Die deutsche ist bislang die einzige vollständige Ausgabe.

Buchcover  "Iranische Dämmerung" im Verlag P. Kirchheim
Amir Hassan Cheheltans Roman "Iranische Dämmerung" führt vor Augen, wie komplex und kontrovers diese Revolution bis heute ist, die ein Regime hervorbrachte, das inzwischen von vier Fünfteln der Bevölkerung abgelehnt wird, wie eine Untersuchung des Parlaments vor ein paar Jahren ergab.

Als Cheheltan die zweifelhafte Ehrung ablehnen wollte, beharrte das Ministerium: Der Preis sei für das Buch, nicht für den Autor. "Iranische Dämmerung" führt vor Augen, wie komplex und kontrovers diese Revolution bis heute ist, die ein Regime hervorbrachte, das inzwischen von vier Fünfteln der Bevölkerung abgelehnt wird, wie eine Untersuchung des Parlaments vor ein paar Jahren ergab.

1979 kehrt Cheheltans Protagonist Iraj nach 28 Jahren Abwesenheit nach Teheran zurück. Er sucht die Morgenröte seines Landes nach dem Abdanken des Schah-Regimes. Doch er findet bloß eine düstere Dämmerung vor einer weiteren langen Nacht. Die friedliche Atmosphäre seiner Kindheit ist ebenso fort wie die Straßen, die er nicht mehr wiedererkennt.

Die Verbindung zu seiner Frau und seinem Vater ist gerissen und lässt sich nicht mehr kitten. Seine zerrütteten privaten Verhältnisse spiegeln die seines Landes, das von einem Alptraum in den nächsten taumelt. Es ist ein beklemmendes Panorama der Hoffnungslosigkeit, in dem die Politik so tief in das Leben der Protagonisten eindringt, dass ihre privaten Lebensentwürfe zum Scheitern verurteilt sind.

Der selektive Blick

Nun könnte man anhand dieser Beispiele denken, dass Krieg und Revolution beherrschende Themen der iranischen Gegenwartsliteratur sind, doch dem ist nicht so, wenn sie auch eine große Rolle spielen. Die thematische Engführung hat auch mit den Kriterien zu tun, nach denen deutsche Verlage Bücher zur Übersetzung auswählen.

In den letzten zwanzig Jahren betraten zahlreiche Autorinnen die Bildfläche, die sich ganz anderen Themen widmen. Die moderne Literatur Irans ist weiblich geprägt. Ob Fariba Vafi, Zoya Pirzad, Sara Salar, sie alle schreiben Bücher, die in Iran Bestseller sind.

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