Antisemitismus als Staatsdoktrin

Im Irak wurde ein Gesetz verabschiedet, das Kontakte zu Israel unter Strafe stellt. In der momentan heftig geführten Debatte darüber kommt ein Aspekt zu kurz: die Rückgabe jüdischer Besitztümer. Aus Bagdad informiert Birgit Svensson

Von Birgit Svensson

Farida war Jüdin. Die berühmte Sängerin lebte in den 1930er Jahren in Bagdad. Die Männer lagen ihr zu Füßen, Frauen bewunderten sie. Doch dann kam der Zweite Weltkrieg und mit ihm die Nazi-Propaganda, die Agitation gegen Juden. Die Iraker – wie andere arabische Länder auch – hofften, mithilfe der Nazis die verhasste britische Besatzung loszuwerden.

Im April 1941 putschten arabische Nationalisten mit Beteiligung eines deutschen Diplomaten gegen den pro-britischen König. Nachdem Bagdad am 31. Mai 1941 vor den Briten kapitulierte, kam es an den beiden Folgetagen zum Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung, dem sogenannten „Farhud“, also der gewalttätigen Enteignung. Naïm Kattan, einer der führenden Vertreter jüdisch-arabischer Literatur, arbeitet in seinem Roman „Farida“ diese Zeit auf, in die der Exodus der Juden aus dem Irak fällt. Aktuell jährt sich der Farhud zum 81. Mal. Den Irakern ist dieses Wort allerdings völlig unbekannt.

Die Folgen sind allerdings auch heute noch omnipräsent. Der Irak ist antisemitisch geblieben. Jüngstes Beispiel ist das kürzlich vom Parlament in Bagdad verabschiedete Gesetz, wonach jeglicher Kontakt zu Israel und seinen Menschen unter Strafe gestellt wird.

Auch Chats mit israelischen Freunden oder Verwandten sind verboten. Sogar die Todesstrafe kann dafür verhängt werden. Das Gesetz gilt nicht allein für Iraker, sondern auch für ausländische Unternehmen und Privatpersonen, die im Irak tätig sind. Das bedeutet, wer einen israelischen Stempel im Pass hat, lebt fortan gefährlich.

Der Irak ist antisemitisch

Sollte Mithal al-Alusi es wagen, nach Bagdad zu reisen, würde er sofort verhaftet und vor Gericht gestellt. Gegen den 69-jährigen Iraker besteht ein Haftbefehl. Sein Vergehen: Versuch der Aussöhnung mit Israel, Besuch der Knesset in seiner Funktion als irakischer Parlamentsabgeordneter, Landesverrat. Die Vorwürfe sind nicht neu, der Haftbefehl neun Monate alt.

 

Im September 2021 fand im kurdischen Erbil eine Konferenz statt, an der ca. 300 Menschen teilnahmen, die eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel forderten. Die Regierung in Bagdad reagierte hart und ging gegen etliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer juristisch vor.

Insgesamt wurden sechs Haftbefehle ausgestellt, einer davon gegen Mithal al-Alusi. Das jüngst verabschiedete  „Anti-Israel-Gesetz“ ist eine weitere Folge davon. Die damalige Konferenz in den kurdischen Autonomiegebieten fand zu einem Zeitpunkt statt, als die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Bahrain diplomatische Verbindungen zu Israel aufnahmen. Auch Marokko und der Sudan kündigten an, ihre Beziehungen zu Israel normalisieren zu wollen. Al-Alusi und seine Mitstreiter glaubten, der Irak werde sich ebenfalls gegenüber Israel öffnen, zumal in Israel Tausende irakische Juden leben, die auf eine Aussöhnung mit Bagdad hoffen. Doch sie hatten sich getäuscht.

Der Irak befindet sich mit Israel seit Gründung des jüdischen Staates 1948 offiziell im Krieg. Irakische Soldaten beteiligten sich an drei arabischen Militäroperationen. Saddam Husseins geheimes Nuklearprogramm alarmierte Israel. Die israelische Luftwaffe flog 1981 einen Angriff auf den westlich von Bagdad gelegenen Nuklearreaktor Osirak und zerstörte ihn.

Zehn Jahre später schickte der irakische Diktator Dutzende Skud-Raketen Richtung Haifa und Tel Aviv als Antwort darauf, dass die Amerikaner und ihre Alliierten nach dem irakischen Überfall auf Kuwait das Zweistromland angriffen.

Heute wird die Haltung gegenüber Israel mit der Solidarität für die Palästinenser begründet. Das irakische Außenministerium betont die „feste Position und uneingeschränkte Unterstützung für die palästinensische Sache“ und die „kategorische Ablehnung der Frage der Normalisierung mit Israel“. Dies sei der Wille der Iraker und deren unabhängige Entscheidung. 275 des 329 Abgeordnete zählenden Parlaments stimmten für das Gesetz. Damit wurde Antisemitismus praktisch zur irakischen Staatsdoktrin erhoben. 

Auch die kurdischen Parlamentarier votierten dafür

Dass auch die anwesenden kurdischen Abgeordneten für das Gesetz votierten, verwundert indes. Zum einen fand die Konferenz zur Aussöhnung mit Israel in Erbil statt, der Hauptstadt der kurdischen Autonomiegebiete. Initiator war die US-amerikanische Organisation „Center for Peace Communication “, die sich dem Frieden und der Versöhnung im Nahen Osten und Nordafrika widmet. Die Kurden gelten als Verbündete der Amerikaner.

Der ehemalige irakische Abgeordnete Mithal al-Alusi; (Foto: Privat)
Selbst ein Chat mit israelischen Freunden oder Verwandten kann für Menschen im Irak künftig mit der Todesstrafe enden: Das irakische Parlament hat am 26.5.2022 ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Alle anwesenden Abgeordneten stimmten dem Gesetzesentwurf gegen eine „Normalisierung“ der Beziehungen mit Israel zu. Der ehemalige Abgeordnete Mithal al-Alusi sieht den wachsenden Einfluss des Iran als einen Grund für das Votum gegen Israel. Da der einflussreiche schiitische Geistliche Moktada al-Sadr und seine Anhänger im Parlament den Gesetzentwurf einbrachten und ihm alle anderen vom Iran beeinflussten schiitischen Fraktionen folgten, liege auf der Hand, wer dahinter stecke, mutmaßt al-Alusi.

Zum anderen unterhält die Autonome Region Kurdistan zwar keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Israel, hat aber „freundliche Kontakte“ zum jüdischen Staat. Israel kauft kurdisches Öl, plant gar eine Pipeline, die sowohl Jordanien als auch Israel künftig mit kurdischem Gas versorgen soll, und hat zudem das Unabhängigkeitsreferendum von 2017 unterstützt, mit dem Masud Barzani als damaliger Präsident der Autonomen Region Kurdistan viele gegen sich aufbrachte, auch die Amerikaner.

Das „Anti-Israel-Gesetz“ werde den Graben zwischen Bagdad und Erbil weiter vertiefen, prophezeit denn auch ein Berater Barzanis, Arafat Karam. Gegenüber dem TV-Sender Rudaw sagte er, die Stimmen der Kurden für das Gesetz bedeuteten nicht, dass Erbil in den Chor gegen Israel einstimme. Haider al-Lami, ein Mitglied der ehemaligen Rechtsstaat-Koalition unter Führung des damaligen schiitischen Premierministers Nuri al-Maliki, begründete die einstimmige Entscheidung damit, dass man von unterschiedlicher Seite Druck auf die Politiker ausgeübt habe, einer Normalisierung der Beziehungen mit Israel zuzustimmen, was diese wiederum dazu veranlasste, das Gesetz erst recht zu verabschieden.

Mithal al-Alusi sieht den wachsenden Einfluss des Iran als einen Grund für das Votum gegen Israel. Im März schoss Teheran zwölf ballistische Raketen auf Erbil. Angeblich soll die Stadt ein Ausbildungslager des israelischen Geheimdienstes Mossad beherbergen, der Operationen im Iran plane. Da der einflussreiche schiitische Geistliche  Moktada al-Sadr und seine Anhänger im Parlament den Gesetzentwurf einbrachten und ihm alle anderen vom Iran beeinflussten schiitischen Fraktionen folgten, liege auf der Hand, wer dahinter stecke, mutmaßt Alusi.

Der Block von al-Sadr hatte bei der Parlamentswahl im Oktober 2021 die meisten Sitze gewonnen und bemüht sich seitdem um eine Regierungsbildung. Es scheint, als eine das „Anti-Israel-Gesetz“ die ansonsten heillos zerstrittenen Parteien. Im Irak leben heute nur noch wenige Juden. Die große Mehrheit hat den Irak nach der Gründung des Staates Israel verlassen.

Angriff auf die Meinungsfreiheit

Heftige Kritik an dem Gesetz kommt aus den USA. Ein Sprecher des Außenministeriums in Washington bezeichnet es als Angriff auf die freie Meinungsäußerung. Auch der irakische Verfassungsrechtler Maitham Handal sieht darin ein Instrument des Gesetzgebers, die Meinungsfreiheit dem höheren Interesse des Staates unterzuordnen. Dem TV-Sender Al Hurra sagte er, verfassungsrechtlich müsse jeder Fall gesondert behandelt werden, da die freie Meinungsäußerung in der irakischen Verfassung verankert sei. Gleichwohl sieht auch er die Gefahr, dass das Gesetz dazu dienen könnte, politische Gegner mundtot zu machen.  

 

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Mithal al-Alusi weist auf einen möglichen weiteren Grund für das antisemitische Gesetz hin, der in der derzeitigen Diskussion kaum Beachtung finde, aber von großer Relevanz sei. Bei der Konferenz in Erbil ging es auch um Besitztümer der Juden, die den Irak verlassen haben. Alusi setzt sich für die Rückgabe an ihre Eigentümer ein. „Alle Juden, die den Irak verließen, haben nach zwei Jahren alles verloren“, weiß er.

Seit dem Irakkrieg 2003 und dem Sturz des damaligen irakischen Diktators Saddam Hussein ist die Rechtslage ungeklärt. Mieteinnahmen aus jüdischen Immobilien gehen seither an die iranischen Quds-Brigaden. In den Häusern wohnten Mitglieder der vom Iran finanzierten Milizen. Vor allem das Bagdader Stadtviertel Karrada, wo vordem Juden, Christen und Schiiten zusammenlebten, wird nun von Schiitenmilizen kontrolliert. Eintragungen ins Grundstücksregister erfolgten anhand gefälschter Papiere. Es geht um Millionen, wenn nicht Milliarden. Kürzlich hat ein irakisches Gericht entschieden, dass das Grundstück des Finanzministeriums an den jüdischen Besitzer zurückzugeben sei. Es löste damit eine Lawine aus. „Die Erbil-Konferenz war eine große Bedrohung für alle, die sich jüdischen  Besitz angeeignet hatten“, kommentiert Alusi die Gerichtsentscheidung. „Wenn Juden eine Adresse im Irak nachweisen können, haben sie Anspruch auf ihre Immobilie.“ Das Gesetz schiebt dem nun einen Riegel vor.

Derzeit liegt das „Anti-Israel-Gesetz“ auf dem Schreibtisch des irakischen Präsidenten Barham Salih. Nur mit seiner Unterschrift kann es in Kraft treten. Salih ist Kurde.

Birgit Svensson

© Qantara.de 2022

 

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Literaturhinweis:"Iraks letzte Juden. Erinnerungen an Alltag, Wandel und Flucht".