Gemischte Bilanz

Ein Jahr nach Beginn des Irak-Kriegs fällt die Bilanz gemischt aus. Einerseits sind weder Massenvernichtungswaffen gefunden worden, noch hat eine Demokratisierung des Irak und des Nahen Ostens stattgefunden. Peter Philipp kommentiert

Ein Jahr nach Beginn des Irak-Kriegs am 20. März 2003 fällt die Bilanz gemischt aus. Einerseits sind weder Massenvernichtungswaffen gefunden worden, noch hat die versprochene Demokratisierung des Irak und des Nahen Ostens stattgefunden. Peter Philipp kommentiert

Foto: AP

​​Wenn uns das Jahr seit dem Beginn des Irakkrieges etwas gelehrt hat, dann dies: Kaum etwas von den in Washington und London präsentierten Gründen für den Einmarsch traf zu.

Da gab es offenbar keine Massenvernichtungswaffen, keine gefährlichen Raketen und - vor allem - auch keine belegbaren Verbindungen zwischen dem Regime Saddam Husseins und der "Qaida" Osama Bin Ladens.

Dokumente wurden gefälscht, Theorien zur Wahrheit erklärt, um den Krieg zu rechtfertigen, zu dem man zumindest im Weißen Haus offenbar schon längst entschlossen war, als die Inspektoren von Hans Blix noch nach verbotenen Waffen suchten und als man sich bei der UNO noch Rededuelle über Sinn und Unsinn eines solchen Krieges lieferte. Und darüber, ob dieser Krieg zulässig wäre oder ein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Solche Diskussionen sind ein Jahr später obsolet geworden. Im Zweistromland ist eine neue Realität entstanden und es scheint mehr als akademisch, sich jetzt mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Aber man wird doch daran erinnert, wenn man die Ergebnisse einer angeblich repräsentativen Untersuchung liest, die jetzt im Irak durchgeführt wurde.

Danach erklären - unter anderem - 48 Prozent der Befragten, dass der Krieg richtig war, während nur 43 Prozent gegenteiliger Ansicht sind. Eine Mehrheit ist auch der Meinung, dass es ihr heute besser gehe als vorher. Und eine Mehrheit hält es für richtig, dass die Amerikaner bleiben bis es eine Normalisierung gibt.

Wenn hier auch nicht dieselben Autoren am Werk waren, die die Dossiers über die vermeintlichen Kriegsgründe schrieben, dann zeigen diese Zahlen doch, dass Betrachtung und Darstellung der Entwicklungen im Irak während des zurückliegenden Jahres oft noch von der ursprünglichen Haltung gegenüber dem Krieg geprägt sind: Wer den Krieg befürwortete, der sieht Fortschritte, wer dagegen war, der findet, dass alles schlechter und auswegloser geworden ist.

Die Pessimisten brauchen nicht lange zu suchen, um ihre These zu untermauern: Die täglichen Überfälle und Anschläge im Irak, die wachsende Zahl amerikanischer und internationaler Opfer sind ein unwiderlegbarer Beleg hierfür.

Aber auch das Ausbleiben der versprochenen Demokratisierung des Irak - und dann der ganzen arabischen Welt - wird als Beweis herangezogen. So als könne ein solcher Wandel nach Jahrzehnten der Unfreiheit binnen weniger Monate vollzogen werden - wo er doch auch in Deutschland nach dem Zweiten Weltkieg vier Jahre gedauert hatte. Und das nach "nur" zwölf Jahren Gewaltherrschaft, während Saddam Jahrzehnte lang herrschte.

Erste Schritte aber sind gemacht worden. Zum Beispiel mit dem Entwurf einer neuen Verfassung. Oder mit dem Versprechen der Amerikaner, noch im Sommer die Verantwortung den Irakern zu übertragen und nächstes Jahr Wahlen abzuhalten. Natürlich muss sich erst noch zeigen, ob aus dem Versprechen Taten werden. Aber es scheint doch abwegig und destruktiv, Washington zu unterstellen, es tue nichts.

Es wäre aber auch blauäugig, anzunehmen, dass die USA den Irak so schnell wie möglich verlassen wollen. Dieses Land soll wohl auf absehbare Zeit fester Bestandteil der amerikanischen Nahost-Strategie bleiben. Die USA suchen nun aber nach Wegen, das Image des "Besatzers" loszuwerden.

Als so genannte "Schutzmacht" können sie sich aber sehr wohl ein Verbleiben im Irak vorstellen. "Schutzmacht" aber müssten die USA schon dann sein, wenn die Verantwortung für die weitere Entwicklung im Irak den Vereinten Nationen übertragen werden sollte. Nach dem schweren Anschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad wird auch die Weltorganisation keine größere Aufgabe im Irak mehr ohne ausreichenden Schutz übernehmen.

Dies müsste eigentlich auch dem spanischen Wahlsieger klar sein, der populistisch-vollmundig den Rückzug der 1.300 spanischen Soldaten angekündigt hat, wenn die UNO im Irak nicht die Verantwortung übernehme. Tritt die UNO nicht an, dann werden die Besatzer auch ohne die Spanier auskommen. Kommt die UNO, dann wird Madrid seine Beteiligung vielleicht sogar noch verstärken müssen.

Peter Philipp

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