"Die Europäer haben eine Gelegenheit vertan"

Der irakische Regisseur Saad Salman bedauert, dass Frankreich, das ihm über 30 Jahre eine Heimat war, sich nicht am Sturz von Saddam Hussein beteiligt hat.

Saad Salman; Foto: Alés Film Festival
"Die Iraker schätzen die militärische Präsenz nicht besonders; eher brauchen sie eine schützende Kraft", meint der irakische Regisseur Saad Salman.

​​Nach seinem Dokumentarfilm "Bagdad On/Off", einem im Verborgenen gedrehten Road-Movie, das noch während der Herrschaft Saddam Husseins entstand, ist der Regisseur Saad Salman wieder in den Irak zurückgekehrt. In Bagdad, inspiriert von der neuen Situation vor Ort, schreibt er an einem Drehbuch.

Der Filmemacher engagiert sich auch für den Wiederaufbau des Landes, tut jedoch alles, um seine Unabhängigkeit gegenüber den politischen Kräften zu erhalten. Er hat einflussreiche Posten abgelehnt und ist in keine politische Partei eingetreten - womit er sich immer wieder selbst Steine in seinen Weg gelegt hat.

Wie ist es Ihnen, nach der langen Zeit in Frankreich, bei der Rückkehr in ihr Land ergangen?

Saad Salman: Ich fühle dasselbe wie damals bei meiner Ankunft in Frankreich vor etwa 30 Jahren. Seltsamerweise finde ich mich in Bagdad als Fremder wieder. Alles hat sich sehr stark verändert, die Codes, die Symbolik, die Art zu Sprechen ... Die Kleidung zum Beispiel: Zu meiner Zeit war es sehr schlecht angesehen, im Djellaba [traditionelles Gewand, d.R.] auf die Straße zu gehen, während dies heute absolut normal scheint. Heute ist es quasi unmöglich, eine Frau ohne Schleier auf der Straße anzutreffen. Die Leute vom Land und die Beduinen sind nach Bagdad gekommen, und all die städtischen Verhaltensweisen sind vollkommen verschwunden. Wir erleben einen Rückschritt.

Sind zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen im Irak Konflikte zu spüren?

Salman: Ich fühle mich nicht als Sunnit oder Schiit, sondern als Iraker! Auf der Straße spürt man eigentlich keine Spannungen. Allerdings führen politische Meinungsäußerungen zu künstlichen Missständen. Es gibt innerhalb und außerhalb des Irak, und besonders in Frankreich, Kräfte, die auf die Konflikte zwischen den religiösen Gruppen setzen, um das amerikanische Projekt zu Fall zu bringen.

Was denken Sie über die Rolle der Vereinigten Staaten?

Salman: Man kann die Zweckmäßigkeit dieser Intervention nur schwer beurteilen, aber es bleibt klar, dass sie sich mit dem Sturz von Saddam Hussein positiv ausgewirkt hat. Das Problem der Amerikaner sind die Iraker. Für einen Amerikaner stellt es sich als äußerst schwierig dar, einen irakischen Gesprächspartner zu finden. Die dreißig Jahre faschistisches Regime haben zu einer Kultur der Heuchelei geführt, und der Graben hat sich weiter vertieft. Amerikaner und Iraker verstehen sich nicht. Die irakische Bevölkerung will eine amerikanische Präsenz, die weit über die militärische hinaus geht: Know-how, Technologie ..., man kann eine kleine mafiöse Bande nicht mit Panzern und Helikoptern bekämpfen. Amerika würde eine Atombombe verwenden, um eine Ratte zu töten! (…)

Was erwarten die Iraker von der Präsenz der europäischen Truppen?

Salman: Für die Iraker gibt es kein einheitliches Europa, sondern unterschiedliche Länder. Wenn Frankreich für ganz Europa stehen will und sich dahinter versteckt, ist das Frankreichs Angelegenheit. Frankreich hat 30 Jahre lang auf eine einzige Person gesetzt, aber das ist nicht der Fehler der Iraker. Frankreich hätte die Möglichkeit gehabt, an der Befreiung des irakischen Volkes teilzuhaben. Heute zahlt es für die Konsequenzen seiner Entscheidung.

Im Allgemeinen schätzen die Iraker die militärische Präsenz nicht besonders; eher brauchen sie eine schützende Kraft, die die Entwicklung des politischen Prozesses unterstützt, ohne selbst in diesen einzugreifen. Wir werden vom Iran, der Türkei, Jordanien, Syrien und Saudi Arabien bedroht. Die amerikanische Präsenz ist daher notwendig. Die Europäer haben eine Gelegenheit vertan! Auch wenn einige europäischen Länder im Irak sind, Frankreich und Deutschland, die alten Verbündeten von Saddam Hussein sind nicht dabei. Europa spricht nicht mit einer Stimme.

Charlotte Tubbax

Übersetzung: Stefan Köhler

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www
Informationen über den Film Baghdad On/Off (engl.)