"Mein Optimismus ist so dünn wie ein Haar"

Der syrische Regisseur Omar Amiralay beteiligte sich mit drei Filmen am Projekt "Middle East News", das Ende Januar in Berlin stattfand. Youssef Hijazi sprach mit ihm über seine Filme, die Rolle der Intellektuellen und die der Baath-Partei in Syrien.

Der syrische Regisseur Omar Amiralay beteiligte sich mit drei Filmen am Projekt "Middle East News", das Ende Januar in Berlin unter der Leitung der Kuratorin Catherine David stattfand. Youssef Hijazi sprach mit ihm über seine Filme, die Rolle der Intellektuellen und der Baath-Partei in Syrien.

​​Herr Amiralay, wie würden Sie sich selbst beschreiben? Wer ist Omar Amiralay?

Omar Amiralay: Omar Amiralay ist ein unglücklicher Mensch. Es war sein Schicksal, in einer unglückseligen Zeit geboren zu sein. Ich stamme aus einer alten, osmanischen Familie, wir sind Teil des osmanischen Erbes der Region. Ich wurde gegen Ende des Krieges im Jahre 1944 geboren, zwei Jahre, bevor Syrien unabhängig wurde.

Ich war vier Jahre alt, als es zur Nakba in Palästina kam, und sechs Jahre, als zum ersten Mal in der arabischen Welt geputscht wurde. Wie Sie sehen, waren die Anfänge Richtung weisend. Wir beschritten einen Weg, der mit Katastrophen übersät war, und ein Leben voller Hindernisse lag vor uns.

Zu dieser Zeit habe ich natürlich nicht ans Kino gedacht, doch hatte ich über meinen Bruder, der Maler war, schon sehr früh Kontakt zur Kunst. Ich wuchs in einer Umgebung auf, die mir den Zugang zu Kunst und Musik ermöglichte.

Die Generation meines Bruders war die erste bewusste Generation, die davon träumte, eine moderne Gesellschaft zu gründen, die dem Westen und seiner Kultur gegenüber offen war. Sie begannen eine zivile, auf der Kultur basierende Gesellschaft in Syrien aufzubauen. Dies waren die Anfänge.

Die Kuratorin des Projektes "Middle East News", Catherine David, sagte in ihrer Eröffnungsrede, dass der Nahe Osten zwar einen bedeutenden Platz in den Medien einnehme, diese Veranstaltung jedoch einen vernachlässigten Aspekt der Region beleuchte. Stimmen Sie ihr zu, und welche Botschaft bringen Sie selbst mit?

Amiralay: Sie hat mit Sicherheit Recht, wenn sie sagt, dass die Politik die arabische Welt auf das Politische reduziert, und dass die Medien wiederum die Politik reduzieren. Wie Sie sehen, wird das Verständnis der arabischen Welt in ihrer Gesamtheit, Komplexität und Vielfalt geschmälert.

Können Sie erläutern, wo und wie genau der Blick reduziert wird?

Amiralay: Die europäischen Medien beschränken ihren Blick durch ihre Befürchtungen. Dies geschieht selbst innerhalb dieser Veranstaltung. Einer der zwei Hauptvorträge beschäftigte sich mit einem Sarqawi-Portrait. Ich halte es für ziemlich ungerecht, die arabische Welt auf eine Person wie Sarqawi zu reduzieren.

Immer wieder behaupten Leute, die eigentlich außerhalb der westlichen Medien agieren, sie seien Spezialisten für die Region. Sie bilden den Zugang der europäischen Medien zu den Ereignissen in der Region, indem sie Phänomene wie Bin Laden und Sarqawi bestätigen und ihnen damit eine besondere Bedeutung geben. Sie schmälern den Fokus und spielen damit bewusst oder unbewusst das Spiel der Medien.

Wer wäre in der Lage, ein besseres Bild zu präsentieren?

Amiralay: Gestern gab es eine Diskussionsrunde, in der ich mich nicht beherrschen konnte. Ich sagte, dass wir diese einseitige Annäherung an die arabische Welt durch europäische Spezialisten satt hätten.

Es muss langsam akzeptiert werden, dass die arabische Welt über ihre eigenen Repräsentanten verfügt. Personen, die nach westlichen Mustern und Methoden denken und rationale, methodische Abhandlungen über die eigene Realität produzieren. Sie sprechen aus der Position des direkt Betroffenen und nicht aus der des Beobachters oder Analytikers. Der Westen muss akzeptieren, dass die arabische Welt selbst über diese Fähigkeiten verfügt und in der Lage ist, sich zu präsentieren.

In ihrem ersten Film "Euphratstaudamm" bewundern Sie die Technik und die zu erwartende Moderne. Maschinen und Kräne werden aus einer Perspektive von unten gezeigt und wirken dadurch mächtig. In Ihrem letzten Film "Die Überflutung" (A flood in Baath country) gibt es wiederum überdimensionale Aufnahmen des Stausees. In beiden Szenarien wird der Mensch winzig klein dargestellt und wirkt verloren. Sehen Sie das auch so?

Amiralay: Auf den ersten Film trifft das zu. Der Mensch war eine Schraube an den Maschinen, die den hiesigen Staudamm bauten. Im zweiten Film kommen zwei Menschen vor: Der erste repräsentiert das syrische Gewissen. Die vermummte Person berichtet über die Geschichte des Landes, darüber, wie das Land und seine Kultur überflutet wurden. Der Film endet in einer Nahaufnahme, in der diese Person erzählt: Es gibt keinen Fluss mehr.

Nun haben wir einen See. Früher schwammen wir im Fluss, und an seinen Ufern gingen wir spazieren. Heute können unsere Kinder nicht mehr schwimmen oder tauchen und denken, dass dieser Fluss schon immer ein See gewesen sei. Sie haben Angst, darin unterzugehen.

Zu Beginn des Filmes sehen wir in einer Nahaufnahme, bevor wir in das Dorf al-Maschi gehen, dass der syrische Mensch ganz klein und verloren ist. Ein Tropfen im Wasser.

Sie bewegen sich in Ihren beiden Filmen zwischen zwei Extremen, Verherrlichung und Bewunderung im ersten, und Kritik, ja sogar Verurteilung im zweiten. Zweifelsohne verurteilt der letzte Film die Machthaber. Verurteilen Sie dadurch nicht auch sich selbst, wenn wir an Ihren ersten Film zurückdenken.

Amiralay: Ich beteiligte mich in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts am damaligen politischen Leben. Nicht auf der Baath-Linie, denn ich war kein Baathist. Ich war und bin Marxist. Meine Vorstellung von Moderne orientierte sich am sowjetischen Modell, also am leninistischen Verständnis von Moderne, und das hieß Modernisierung.

Omar Amiralay; Foto: Youssef Hijazi
Omar Amiralay: "Wenn ich mir erlaube die Baath-Partei zu kritisieren, ist es notwendig, zunächst Selbstkritik zu üben. Ich habe mit dieser Modernisierungsideologie Syriens kollaboriert."

​​Die Baath-Partei übernahm belangloses sowjetisches Gedankengut und versuchte es umzusetzen, weil sie weder ein wirtschaftliches Programm noch eine sozialistische Ideologie besaß. Es war lediglich eine schlechte Kopie des sowjetischen Modells. Nicht von ungefähr haben die Sowjets selbst diesen Staudamm gebaut.

Wir glaubten, dieses Verständnis von Modernisierung, das heißt die Revolutionierung der Produktionsmittel, ihre Entwicklung und die Mechanisierung von Landwirtschaft und Industrie, würde die Produktionsverhältnisse verändern und damit die Menschen und die menschlichen Beziehungen.

Dies befreit jedoch die Intellektuellen nicht von ihrer historischen Verantwortung und erlaubt ihnen auch nicht, ihre Hände in Unschuld zu waschen, so als seien sie immer im Recht gewesen und hätten die Wahrheit für sich gepachtet.

Was ich damit sagen will: Wenn ich mir erlaube die Baath-Partei zu kritisieren, ist es notwendig, zunächst Selbstkritik zu üben. Ich habe mit dieser Modernisierungsideologie Syriens kollaboriert. Also waren wir Intellektuelle mitverantwortlich für den Ruin unseres Landes.

"Die Überflutung" endet mit einem Schneesturm, beängstigendem Donnern und dem Gebetsruf. Ein unendlicher Pessimismus. Haben Sie die Hoffnung verloren?

Amiralay: Ich wollte am Ende des Filmes darauf hinweisen, dass der Totalitarismus der Baath-Partei den Weg für einen anderen Totalitarismus bahnt, den Totalitarismus im Namen des Islam. Die Islamisten werden den Menschen morgen ein bestimmtes Denken und Verhalten aufzwingen, das nicht viel schlimmer sein wird, als das angeblich laizistische nationalistischer und totalitärer Regime.

Wir stehen vor einer historischen Vererbung von Totalitarismus, und ich glaube nicht, dass wir schon bei der letzten Station dieser Reise in der Region angelangt sind.

Kommen wir zur Opposition und zu den Veränderungen in Syrien. Erwartet Syrien ein ähnliches Schicksal, wie der Irak?

Amiralay: Es gibt zwei Gründe, warum Syrien bis auf weiteres davor verschont bleibt. Zum einen die Angst, dass Syrien auseinander bricht, genau wie der Irak. Zum anderen sind in Damaskus dreihundert Heilige begraben, ich glaube, dass ihre Knochen schmerzen werden, wenn amerikanische Panzer darüber hinweg rollen. Diese Heiligen versammeln sich, weil sie Syrien eher repräsentieren als die 218 Parlamentsabgeordneten.

Aber im Ernst: Ich glaube, dass die Geschichte Syriens und das umajjadische politische Erbe bis heute aufzeigen, dass Politik nicht zum Ruin des Landes führen darf. Das heißt, an einem bestimmten Punkt muss es einen Kompromiss geben. Das genau ist die Geschichte vom Haar des Kalifen Mu’awiya. Das umajjadische Erbe unterscheidet sich vom abbasidischen. Bagdad wurde mehrmals in der Geschichte zerstört, Damaskus hingegen existiert ununterbrochen seit mehr als viertausend Jahren.

Sie sind etwas optimistischer geworden.

Amiralay: Mein Optimismus ist so dünn wie ein Haar. Ich setze auf die weitere Existenz der umajjadischen Geschichte Syriens.

Sie rechnen also mit einem Kompromiss?

Amiralay: Ja.

Interview Youssef Hijazi

Aus dem Arabischen von Simone Britz und Youssef Hijazi

© Qantara.de 2006

Qantara.de

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