"Auf die Idee kommt es an!"

Wer eine Ausstellung der palästinensisch-britischen Künstlerin Mona Hatoum besucht, bewegt sich meist auf vagem Terrain: Denn sie versteht es, das Unheimliche im Gewohnten, das Aberwitzige im Alltäglichen sichtbar zu machen.

Am vergangenen Donnerstag wurde sie mit dem Kunstpreis der Roswitha-Haftmann-Stiftung ausgezeichnet. Urs Steiner und Samuel Herzog haben sich mit der Künstlerin unterhalten.

Hatoum-Exponat: 'Over my dead body'

​​Ihre künstlerische Arbeit hat ja politische Implikationen, so liegt natürlich eine politische Frage zu Beginn nahe: Sie haben zwar einen englischen Pass, sind aber in Libanon als Tochter palästinensischer Eltern aufgewachsen. Was bedeutet der Tod Jassir Arafats für Sie?

Mona Hatoum: Ich bin keine Politikerin und muss mich von solch aufgeladenen Themen fernhalten. Ich will die Politik im Mittleren Osten nicht kommentieren, denn ich komme bei diesem Thema sehr durcheinander. Viel lieber spreche ich nur über meine Arbeit.

Sie sagen dies, obwohl das Thema Bedrohung in Ihrem Werk allgegenwärtig ist.

Hatoum: Ja, aber es handelt sich dabei um ein sehr generelles Gefühl von Bedrohung, ein Gefühl von Unbehagen, von Verdrängung auch. Die Gefühle, die von meinem Werk ausgehen, sind nicht so eindeutig lokalisierbar, es geht nie um eine spezifische Situation. Vielmehr handelt es sich um generelle Statements, die jedermann auf seine Art und Weise verstehen kann. Wenn ich beispielsweise von Einkerkerung spreche, vom Eingeschlossensein in einem Heim, dann gibt es vielleicht Frauen, die das auf ihre eigene Situation als Gefangene ihres Haushaltes beziehen. In jedem Fall kann man eine solche Thematik mit einem alltäglichen Trauma in Verbindung bringen, das mit Palästina nichts zu tun haben muss. Ich liebe es, mein Werk so offen zu halten, dass es auf verschiedenen Ebenen interpretiert werden kann. Kunst ist nicht zu vergleichen mit Journalismus, sie kann nichts Konkretes diskutieren.

Allerdings gibt es Künstler, die genau das wollen. Denken Sie nur an all die Versuche, die Katastrophe von 9/11 künstlerisch zu verarbeiten.

Hatoum: Zu diesen Künstlern gehöre ich nicht. Kunst soll nicht predigen. Ich will nicht didaktisch sein.

Trotzdem nehmen Sie immer wieder Themen auf, die auch politisch sehr stark besetzt sind. Man denke da zum Beispiel an "Keffieh" von 1998 bis 2000. Da haben Sie eines jener Tücher, die zum Symbol des palästinensischen Freiheitskampfes geworden sind, mit menschlichem Haar bestickt.

Hatoum-Exponat: 'Keffieh', © Mona Hatoum

​​Hatoum: Ich nehme in meiner Arbeit oft vertraute, alltägliche Dinge und verfremde sie, zeige das Unheimliche in ihnen auf. "Keffieh" ist ein gutes Beispiel dafür - das Muster ist da mit dem langen Haar einer Frau ins Tuch gestickt. Das Werk hat aber ganz verschiedene Ebenen. Als ich "Keffieh" schuf, dachte ich zunächst an Wut. Ich stellte mir Frauen vor, die sich vor lauter Zorn die Haare ausreissen. Stickend übertrug ich diesen Zorn in ein Kleidungsstück, das natürlich ein starkes Symbol des palästinensischen Kampfes ist. Das Werk ist also eine Art versteckter Protest. Gleichzeitig ist es aber auch ein unheimliches Objekt: Man traut ja seinen Augen nicht, wenn man erkennt, dass dieses Tuch mit menschlichem Haar bestickt ist. Hinzu kommt ein animistischer Aspekt, der ebenfalls bedrohlich sein kann: Das Haar macht dieses Ding lebendig, Haar wächst auch nach dem Tod eines Körpers noch eine Weile weiter. Insgesamt ist "Keffieh" ein Objekt voller Widersprüche. Solche Tücher werden normalerweise von Männern getragen - als ein Symbol des Kampfes. Durch das weibliche Haar bekommt dieses Männertuch eine feminine Note. In muslimischen Ländern bedecken aber auch viele Frauen ihr Haar mit einem Tuch - weil Haar mit Sexualität assoziiert wird. Im Fall meiner "Keffieh" hat das Haar die Barriere durchbrochen und ist herausgewachsen. Sie sehen also, wie kompliziert die Dinge in meinen Arbeiten sind! Als ich "Keffieh" schuf, dachte ich nicht spezifisch über Arafat nach - aber irgendwie präsent ist er in der Arbeit natürlich schon. Ich liebe es, mit solchen Dingen zu spielen. Ich will mein Werk in diesen multiplen Bedeutungsfeldern ansiedeln.

Bei "Keffieh" treten die politischen Implikationen ja besonders stark in den Vordergrund.

Hatoum: Es gibt schon ein paar Arbeiten dieser Art. 1996 habe ich für eine Ausstellung in Jerusalem ein Werk geschaffen, das die lokale Situation thematisierte. Vor Ort bin ich auf die Landkarte des Oslo-Vertrages gestossen, auf der alle Landstücke eingezeichnet waren, die unter palästinensische Kontrolle gegeben werden sollten. Die Karte aus dem Jahr 1993 hatte ich nie zuvor gesehen. Ich zeichnete sie also nach, auf einem Bett aus weisser Seife, die ich auf dem Markt gefunden hatte. Ich bedeckte den Fussboden mit über 2000 Seifenstücken und zeichnete mit farbigen Glasstücken das Land nach, das den Palästinensern zurückgegeben werden sollte. Diese Arbeit hatte schon sehr viel mit der lokalen Situation zu tun.

Ganz anders sind da Werke wie "Marrow" von 1996, was auf Deutsch "Mark" bedeutet.

Hatoum: Das ist ein Kinderspitalbett aus Kautschuk, das aussieht wie ein zusammengebrochener Körper - ein Körper aus Mark ohne die umschliessenden Knochen. Solche Werke handeln stark von der Fragilität, der Vergänglichkeit des Körpers - und das hat dann gar nichts mehr zu tun mit Palästina. Ich nehme es niemandem übel, wenn er glaubt, mein Werk habe mit meiner spezifischen Herkunft zu tun. Am Anfang meiner Karriere, als ich hauptsächlich Performances machte, nahm mein Werk auch klar Bezug auf politische Fragen - etwa auf die Invasion in Libanon. Aber mit den frühen Neunzigern, als ich begann, vermehrt installativ zu arbeiten, wurden die Inhalte implizierter, indirekter. Deshalb mag ich es nicht, wenn man mich auf bestimmte Bedeutungen festnageln will - selbst wenn im Politischen manche Quelle zu suchen ist.

Gilt das auch für "Map", die Arbeit mit den Murmeln, die Sie 1998 in Basel gezeigt haben? Damals haben Sie im Oberlicht der Kunsthalle mit Murmeln eine riesige Weltkarte auf den Boden gezeichnet.

Hatoum: Das war - im Gegensatz zu der Landkarte in Jerusalem - eine Welt ohne jede Grenze. Aber die Karte war sehr fragil: Wenn man das Parkett betrat, begannen sich die Kugeln auf dem Boden zu bewegen. Gleichzeitig war die Arbeit sehr bedrohlich. Ich mag es, wenn etwas gleichzeitig attraktiv und abweisend ist - verführerisch und gefährlich zugleich. Die Glaskugeln machten den Fussboden gefährlich, weil man auf den Murmeln ausrutschen und hinfallen konnte. Ich habe eine ganze Anzahl von Werken geschaffen, in denen der Boden, auf dem man geht, destabilisiert ist.

Sie arbeiten ja mit verschiedensten Medien und schaffen Dinge wie Videos, Installationen, Objekte, Skulpturen usw. Wenn ein Maler seine Arbeit beginnt, weiss er, dass er ein Gemälde schaffen wird. Was aber haben Sie im Kopf, wenn Sie an Ihr nächstes Werk denken?

Hatoum: Das ist wirklich aufregend, denn jedes Werk ist ein neues Wagnis für mich. Traditionell arbeiten Künstler ja mit bestimmten Materialien und verbringen ihr Leben damit, ihre Fertigkeiten zu perfektionieren. Wenn man hingegen mit Ideen arbeitet, dann kommt es vor allem auf das Ziel an - auf das, was man mit einer Arbeit zu erreichen, zu provozieren versucht. Der Effekt, den man schaffen will, die Phänomenologie im Raum diktiert, mit welchen Materialien man arbeiten muss.

Sie gehen also stets von einer Idee aus, nicht vom Material.

Hatoum: So generell würde ich das nicht sagen. Manchmal lasse ich mich auch vom Raum inspirieren. Und je nach Material, das mir an einem bestimmten Ort zur Verfügung steht, präsentiert sich schliesslich auch das Werk. Umgekehrt habe ich manchmal zuerst eine Idee und suche mir dann das Material, mit der sich diese am besten umsetzen lässt. Der Anstoss zu einer Arbeit kann auch von einem Wort kommen - so zum Beispiel bei der Arbeit "Jardin public", die mit dem Umstand spielt, dass "public" ("Öffentlichkeit") und "pubic" ("Pubes", "Schamhaar") vom selben Wort abstammen. Aber ich lasse die Dinge gerne offen und habe eine sehr experimentelle Haltung der Kunst gegenüber.

Sie waren 1995 für den Turner Prize nominiert, einen Preis von 20 000 Pfund. Jetzt erhalten Sie den wesentlich höher dotierten Haftmann-Preis, der mit 120.000 Franken ausgestattet ist. Die mediale Wirkung des Turner-Preises indessen ist - international gesehen - viel grösser. Was ist wichtiger für einen Künstler: das Geld oder die mediale Aufmerksamkeit?

Hatoum: Der Turner Peis ist für einen Künstler wichtig, weil es sich dabei um einen sehr populären Event handelt. Die Nominierten stellen in der 'Tate Gallery' aus, und jedermann schaut vorbei - ja die Räume müssen zeitweise sogar abgeriegelt werden, weil sich zu viele Leute darin befinden. Für mich bedeutete nur schon die Nomination allein viel Aufmerksamkeit in der englischen und in der internationalen Kunstwelt. Mit dem Turner Preis fand mein Werk Eingang in das öffentliche Bewusstsein. Man kann in England sogar Wetten darauf abschliessen, wer den Preis schließlich erhalten wird. Ich war aber gleichzeitig mit Damien Hirst nominiert, und es bestand von Anfang an kein Zweifel daran, dass er das Rennen machen würde. Er ist ein lokaler Held, und ausserdem war er zuvor schon einmal vorgeschlagen worden. Wenn er den Preis nicht erhalten hätte, wäre es wahrscheinlich zu Ausschreitungen gekommen!

Vor Ihnen haben Walter de Maria, Maria Lassnig und Jeff Wall den Haftmann-Preis bekommen - durchwegs international renommierte Künstler. Welche Bedeutung hat dieser Zürcher Preis für Sie?

Hatoum: Es ist einfach überwältigend: Anerkennung auf einem so hohen Niveau zu erhalten, das ist das Wichtigste. Das Geld nehme ich auch gerne, aber das ist sekundär.

Ihr Name erscheint ja oft im Zusammenhang mit den sogenannten "Young British Artists" (YBA). Fühlen Sie sich wohl mit diesem Etikett?

Hatoum: Ich bin ja nicht mehr so jung . . . Und meine Flugbahn, wenn ich mich so ausdrücken darf, unterscheidet sich recht stark von jener der YBA. Als 1988 die legendäre, von Damien Hirst organisierte Ausstellung "Freeze" in London über die Bühne ging, war ich gerade in Vancouver. Dass ich dennoch im Zusammenhang mit den Young British Artists genannt werde, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Saatchi Werke von mir angekauft hat. Ich habe gelegentlich zusammen mit jungen britischen Künstlern ausgestellt - einmal auch in den Deichtorhallen in Hamburg. Damals hat mich jemand gefragt: Was ist denn YBA? Und ich habe geantwortet: Das ist eine Art BSE Rinderwahnsinn, doch sie befällt nur Künstler.

Interview: Urs Steiner und Samuel Herzog

© Neue Zürcher Zeitung, 20.11.2004

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