
Interview mit Reza Alijani über die Folgen der Tötung SoleimanisDer verklärte Held der Islamischen Republik
Herr Alijani, in den letzten Tagen fanden im Irak und Iran unter großer Anteilnahme Trauerprozessionen für Qassem Soleimani und Abu Mahdi al-Muhandis statt. In manchen westlichen Medien und Analysen sowie von seinen politischen Gegnern wurde Soleimani als der "Schattengeneral" oder als das "Phantom" bezeichnet; seine Anhänger, die sowohl unter den Reformkräften als auch den Konservativen - aber auch unter jungen Iranern - zu finden sind, verliehen ihm gar die Bezeichnung "Malik al-Ashtar der Zeit"( Malik al-Ashtar war ein Gefährte von Ali ibn Abi Talib, dem ersten Imam der Schiiten/Anm. d. Redaktion) oder der "Albtraum des Feindes" und sehen in ihm einen Nationalhelden. Worin liegt Ihrer Ansicht nach die Bedeutung Qassem Soleimanis?
Reza Alijani: Zwischen iranischen Bürgerinnen und Bürgern und politischen und zivilgesellschaftlichen Aktivisten gibt es bezüglich der Person Qassem Soleimanis Meinungsverschiedenheiten, die vor allem in den sozialen Medien sehr deutlich werden. Von offizieller Seite wird jedoch nicht die Möglichkeit eingeräumt, diese verschiedenen Ansichten offen zu diskutieren. Ein Beispiel: Neulich wurde eine konservative Zeitung, die lediglich über die "Tötung" Soleimanis berichtete, anstatt die Bezeichnung "Märtyrer" zu verwenden, scharf kritisiert und von offizieller Seite gerügt. Allein dieser Fall macht die Propaganda des Regimes deutlich, die das politische Klima im Land beherrscht.
Die Positionen zur Person Qassem Soleimani lassen sich in drei Kategorien fassen: Die erste Gruppe betrachtet ihn als Nationalhelden und großen Befehlshaber und verteidigt ihn um jeden Preis. Dann gibt es jene Kräfte, die sich ausschließlich auf Soleimanis Nähe zu Ali Khamenei beziehen, auf seine Aktivitäten und seine Einflussnahme in der Region sowie auf seinen Stellenwert für die iranische Außenpolitik und ihn dafür aufs Schärfste kritisieren oder sogar seinen Tod feiern. Und schließlich gibt es noch eine dritte Gruppe, zu der ich mich selbst zähle, die zwar diesen Angriff Donald Trumps als einen gefährlichen Terrorakt betrachtet – ein Angriff, der einen Krieg provozieren kann, dabei jedoch nicht die Aktivitäten Soleimanis insgesamt außer Acht lässt: Als junger Mann diente er im Iran-Irak Krieg und setzte sich für die Verteidigung und Unabhängigkeit Irans ein und steuerte später seinen Anteil zur Bekämpfung des IS bei. Doch lassen sich auch die Schattenseiten seines politischen Wirkens nicht leugnen: So war Soleimani einer der Drahtzieher und militärischen Führer, die die Außenpolitik der Islamischen Republik in Syrien, im Irak, Libanon, Jemen, in Afghanistan und an anderen Orten dieser Region maßgeblich prägten.

Dabei handelte es sich um eine Politik, die sich gegen die nationalen Interessen Irans und gegen die Mehrheit der iranischen Bevölkerung richtete. Wir haben bereits mehrfach bei Präsidentschaftswahlen im Iran beobachten können, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung ihre Stimme jenen Kandidaten gab, die sich für eine Entspannungspolitik in der Region aussprachen. Doch diese Stimmen richteten sich gegen Khameneis Vorstellungen, der seine Dominanz vielmehr dazu nutzte, dem Iran seinen eigenen Willen aufzuzwingen.
Was die große Anzahl von Teilnehmern bei den Trauerprozessionen anbelangt, so darf man nicht vergessen, dass die Trauerfeierlichkeiten staatlicherseits organisiert wurden. Die Islamische Republik verwendet großes Geschick bei der Organisation propagandistischer Veranstaltungen, ähnlich wie die Führungen im ehemaligen Ostblock und weiß dies auch medial zu verbreiten. Gäbe es aber auch für Kritiker und Oppositionelle die Möglichkeit, Kundgebungen abzuhalten, würde es hieran gewiss auch nicht mangeln. Nichtsdestotrotz haben Persönlichkeiten aus verschiedenen politischen Richtungen, selbst Gegner der Außenpolitik der Islamischen Republik, den US-Angriff verurteilt, was jedoch nicht bedeutet, dass man sich mit dem Regime solidarisiert.