Islamischer Religionsunterricht als wichtiger Integrationsbeitrag

Nordrhein-Westfalen nimmt bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts an deutschen Schulen eine Vorreiterrolle ein. Bereits seit August 2012 steht dort der islamische Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach auf dem Stundenplan. Über die bisherige Resonanz hat sich Abderrahmane Ammar mit der nordrhein-westfälischen Schulministerin Sylvia Löhrmann unterhalten.

Von Abderrahmane Ammar

Frau Ministerin Löhrmann, Nordrhein-Westfalen hat als erstes Bundesland den islamischen Religionsunterricht als Schulfach eingeführt. Kann man schon eine erste Bilanz ziehen?

Sylvia Löhrmann: Mit der Einführung des islamischen Religionsunterrichts knüpfen wir an die interfraktionelle Integrationsoffensive von 2001 an. Bereits damals wurde das Ziel formuliert, für die in Nordrhein-Westfalen lebendenden muslimischen Schülerinnen und Schüler einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache einzuführen. Das war ein Signal der Anerkennung und Gleichberechtigung. Der islamische Religionsunterricht sollte ein reguläres Unterrichtsfach werden, so wie es der katholische, evangelische oder jüdische Religionsunterricht bereits ist.

Der Staat ist bei der Einführung und Erteilung von Religionsunterricht jedoch auf die Mitwirkung der betreffenden Religionsgemeinschaft angewiesen. Das war lange Zeit ein Problem. Denn eine islamische Religionsgemeinschaft im verfassungsrechtlichen Sinne gibt es bislang noch nicht.

Der Islam auf dem Stundenplan: Laut Schulministerium wird in diesem Schuljahr landesweit 4.500 Schülern an 36 Grundschulen sowie 25 weiterführenden Schulen islamischer Religionsunterricht erteilt.

Mir ist es geglückt, mit dem Koordinierungsrat der Muslime eine Verständigung zu erreichen; und ich bin sehr froh, dass der nordrhein-westfälische Landtag die gesetzliche Grundlage für eine bis 2019 befristete Übergangslösung geschaffen hat. Die Landesregierung arbeitet bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts mit einem Beirat zusammen, der eigenständig agiert und die Interessen der Religionsgemeinschaft gegenüber dem Staat vertritt.

Bei meinen Besuchen vor Ort erlebe ich immer wieder, dass der islamische Religionsunterricht sehr gut angenommen wird. Schülerinnen und Schüler freuen sich darüber, dass sie in deutscher Sprache über ihre religiösen Werte und Traditionen sprechen können. Das wirkt bis in die Nachbarschaft und die Familien hinein. Damit leistet der islamische Religionsunterricht einen wichtigen Beitrag zur Integration.

Unter den Muslimen gibt es viele Richtungen und Rechtschulen. Welche islamische Glaubensrichtung wird denn an den Schulen unterrichtet?

Löhrmann: Dem Beirat gehören Vertreterinnen und Vertreter des organisierten und nichtorganisierten Islam an. Er bleibt damit offen für die bei den Muslimen in Nordrhein-Westfalen vorherrschende Pluralität. Das gilt auch für den islamischen Religionsunterricht. Die konkreten Inhalte werden in einem geordneten Verfahren geklärt.

Eine Lehrplankommission des Schulministeriums arbeitet zunächst einen Lehrplanentwurf aus. Dieser durchläuft anschließend die reguläre Verbändebeteiligung. Und auch der Beirat für den islamischen Religionsunterricht gibt seine Stellungnahme ab. Dieses Verfahren wird in gleicher Weise auch beim katholischen oder evangelischen Religionsunterricht angewendet.

Die meisten muslimischen Schüler haben einen Migrationshintergrund. Wie gehen Sie damit um und welche Schwierigkeiten sind bei ihnen auffällig?

Löhrmann: Wir müssen darauf achten, dass wir der Vielfalt der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund gerecht werden. Jüngst hat eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gezeigt, dass sich viele Migrantinnen und Migranten diskriminiert fühlen. Wir sehen aber auch, dass es Jugendliche mit Migrationshintergrund gibt, die exzellente Schulabschlüsse bis hin zum Einser-Abitur erreichen, studieren und eine Doktorarbeit schreiben.

Da in Nordrhein-Westfalen noch kein Islamverband als Religionsgemeinschaft anerkannt ist, wurde ein Beirat eingerichtet, der an der Auswahl der Lehrkräfte und Entwicklung von Lehrplänen beteiligt ist. Ihm gehören vier Vertreter des Koordinationsrates der Muslime und vier vom Land berufene Muslime an.

Der Bildungserfolg hängt hierzulande in erster Linie von der sozialen Herkunft ab und nicht so sehr davon, ob die Eltern oder die Großeltern in der Türkei, in Marokko oder im ehemaligen Jugoslawien geboren sind. Daraus ergibt sich ein klarer Auftrag: Wir müssen dafür sorgen, dass mehr Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer Herkunft bessere Schulabschlüsse erreichen können und die gleichen Aufstiegschancen erhalten.

Die deutsche Sprache ist dafür gewiss eine gute Voraussetzung, aber es gibt Familien, die zuhause mit den Kindern nur die Herkunftssprache sprechen und nicht sich nicht auf Deutsch unterhalten. Stellt dieses Phänomen ein Problem aus ihrer Sicht dar?

Löhrmann: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sollen ihre Herkunftssprache pflegen, sie ist ein Schatz. Wer seine Herkunftssprache sicher beherrscht, dem fällt das Erlernen einer zweiten und dritten Sprache leichter. Selbstverständlich muss aber auch die deutsche Sprache gelernt und sicher beherrscht werden. Deutsch ist die Eintrittskarte für alles andere. Deswegen ist Sprachförderung wichtig. In Nordrhein-Westfalen wird beispielsweise bei allen Kindern zwei Jahre vor der Einschulung getestet, ob ihre Sprachentwicklung altersgemäß ist. Bei Sprachdefiziten erhalten Kinder in der Kindertagesstätte eine zusätzliche Sprachförderung. Das betrifft übrigens nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund, sondern auch Kinder mit der Herkunftssprache Deutsch.

Trägt die politische Partizipation von Migranten dazu bei, die gesellschaftlichen Probleme des Landes zu lösen?

Löhrmann: Absolut. Wir wollen, dass die Menschen, die hier leben, unabhängig von ihrer Herkunft unser Land auch mitgestalten können. Bereits im vergangenen Jahr hat Nordrhein-Westfalen ein Integrationsgesetz verabschiedet, das die Teilhabe und Chancengleichheit von Migrantinnen und Migranten verbessern soll.

Es gibt aber immer noch "offene Baustellen", wie etwa die doppelte Staatsangehörigkeit oder das kommunale Wahlrecht für Migrantinnen und Migranten aus Nicht-EU-Staaten. Es ist doch nicht nachvollziehbar, warum jemand, der aus der Türkei kommt und seit Jahren in Deutschland lebt und Steuern zahlt, nicht an Kommunalwahlen teilnehmen darf. Das ist nicht mehr zeitgemäß. EU-Bürgerinnen und -Bürger dürfen das doch auch.

Interview: Abderrahmane Ammar

© Qantara.de 2013 

Sylvia Löhrmann (Grüne) ist Ministerin für Schule und Weiterbildung und stellvertretende Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de