Interview mit Marc Trévidic: Kunst als Bollwerk gegen Barbarei

Marc Trévidic, Frankreichs bekanntester Richter und Experte für islamistischen Terror, hat nun seine Erfahrungen in einen Roman gepackt. Darin geht es um Fanatismus - und die Kunst. Denn sie gehöre zu den größten Feinden des radikalen Islamismus.

Von Sabine Glaubitz

Als ehemaliger Anti-Terror-Richter kennt Marc Trévidic die Mechanismen der Radikalisierung junger Menschen gut. Ihre Hintergründe beschreibt er nun in seinem ersten Roman «Ahlam oder Der Traum von Freiheit». Als Protagonisten dienen ihm ein französischer Künstler, ein tunesischer Fischer und dessen zwei Kinder. Warum der 51-Jährige seine Geschichte an der Kunst und an Tunesien aufhängt, erklärt er im Gespräch mit Sabine Glaubitz.

***

Was hat Sie dazu bewogen, einen Roman zu schreiben?

Marc Trévidic: Die Idee dazu entstand nach dem Anschlag auf die Pariser Redaktion des Satiremagazins «Charlie Hebdo». Ich war überrascht, dass sich niemand die wesentliche Frage nach dem Verhältnis zwischen dem islamischen Extremismus und der Kunst stellte.

Wie ist das zu verstehen? Die beiden Terroristen haben am 7. Januar 2015 die Redaktion als Rache für die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen gestürmt.

Trévidic: Die Karikatur ist ein Mittel, um unsere Meinungen zum Ausdruck zu bringen. Ganze Kunstgattungen sind bei den islamistischen Fanatikern Sünde: Poesie, gegenständliche Malerei, Musik und Tanz. Sie sind ihre Feinde, denn sie sind Ausdruck freiheitlichen Denkens.

Trévidic: Schreiben Sie deshalb in Ihrem Buch, dass es Aufgabe der Kunst sei, den Fanatismus zu bekämpfen?

Trévidic: Künstler sind Individualisten, und das stört. Sie folgen nicht der Herde. Sie kritisieren, provozieren. Kultur ist ein Bollwerk gegen den islamischen Extremismus. Kultur kann Widerstand leisten. Wenn wir auf sie verzichten, haben wir verloren.

Ihre Geschichte spielt in Tunesien. Warum nicht in Frankreich oder Brüssel?

Trévidic: Ich kenne das Land, denn ich habe dort als Kind mit meinen Eltern meine Ferien verbracht. Tunesien ist seit dem Umbruch im Jahr 2011 ein Laboratorium. Ich bewundere den Widerstand der zivilen Bevölkerung, vor allem der Frauen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch die Radikalisierung junger Menschen. In Frankreich sollen mehr als 8.000 Personen leben, die als radikalisiert gelten. Was kann man dagegen tun?

Trévidic: Aufklären, und zwar die junge Generation zwischen zehn und achtzehn Jahren. Man muss in die Schulen gehen und den Islam erklären, über die verschiedenen dschihadistischen Bewegungen informieren.

Frankreich hat den Ausnahmezustand verlängert, Bürgermeister verbieten das Tragen von Burkinis. Bekämpft Frankreich mit den richtigen Mitteln den Terror?

Trévidic: Politiker treffen Entscheidungen, von denen sie meist selbst wissen, dass sie keinen Sinn machen. Sie reagieren auf Situationen und schlagen etwas vor. Die Forderung nach einem Burkini-Verbot wird die Radikalisierung nicht aufhalten. Im Gegenteil. Sie spaltet das Land. Und genau das wollen die fanatischen Islamisten.

Marc Trévidic wurde 1965 in Bordeaux geboren. Nach einem Jurastudium spezialisierte er sich auf den Anti-Terror-Kampf und wurde zu einem der bekanntesten Richter Frankreichs. Zehn Jahre lang arbeitete er als Anti-Terror-Richter in Paris. Seit 2015 ist er stellvertretender Präsident des Landgerichts in Lille. (dpa)