"Ich wünsche mir mehr Vertrauen der Muslime in Deutschland"

Wie groß ist die Gefahr von islamistisch motivierten Anschlägen in Deutschland und wie soll der deutsche Staat mit einer solchen Bedrohung umgehen? Darüber sprach Peter Philipp mit Heinz Fromm, dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz; Foto: picture alliance / ZB
Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz

​​Herr Fromm, Soldaten der Bundeswehr sind an verschiedenen Orten der Welt am Kampf gegen den Terrorismus beteiligt. Ihre Behörde führt diesen Kampf in Deutschland. Können Sie ein Phantombild dieses Gegners zeichnen?

Heinz Fromm: Diejenigen, von denen die terroristische Gefahr in Westeuropa – und damit auch in Deutschland – ausgeht, sind Leute, die sich den Islam als Religion zunutze machen für ihre politischen Zwecke. Das heißt, sie führen einen weltweiten Kampf – den internationalen Dschihad.

Und es gibt einige, die versuchen, das auch in Deutschland zu tun. Dabei spielen die deutsche Beteiligung am internationalen Kampf gegen den Terrorismus sowie die Konflikte im Irak, in Afghanistan und anderswo eine besondere Rolle in der Argumentation.

Dies sind einige internationale Bezüge, aber gibt es andere Motive, die diese Leute aktivieren und motivieren?

Fromm: Wir beschäftigen uns mit der Frage, was Menschen, die hier leben oder die hierher einreisen, dazu veranlasst, auf solche Ideen zu kommen – was radikalisiert sie? Wie werden sie rekrutiert und dazu gebracht, möglicherweise Anschläge zu verüben? Und wir sehen ein nicht ganz einheitliches Bild, das heißt, es gibt keine klare Haltung oder eine klare Kausalität, wenn es um solche Verhaltensweisen geht. Es gibt sehr unterschiedliche Phänomene.

​​Wir haben beispielsweise auf der einen Seite Menschen, die hierher kommen, um zu studieren und die möglicherweise aus ihren Herkunftsländern schon eine gewisse radikale, fundamentalistische Einstellung mitgebracht haben, die sich dann hier in der Fremde weiter verstärkt. Beispiel ist die Hamburger Gruppe um Atta, die später nach Afghanistan reiste, dort den Auftrag bekam und in Amerika dann einige Zeit später die Anschläge verübte.

Aber auch die beiden Personen, die im letzten Sommer die Kofferbomben in Nahverkehrszügen platziert haben und damit schlimmes Unheil hätten anrichten können – auch das waren Leute, die erst seit kurzem in Deutschland gewesen sind und die aufgrund ihrer radikalen Einstellung eine solche Tat verübt haben.

Andererseits gibt es gewaltbereite Islamisten, die schon lange hier leben – vielleicht sogar in der zweiten oder dritten Generation. Das bereitet uns erhebliche Sorgen, weil sie hier scheinbar integriert sind und ihre Absichten nur sehr schwer erkannt werden können. Sie kennen sich hier aus, sie finden sich hier zurecht. Sie können unauffällig Vorbereitungen treffen.

Wir haben etwas Ähnliches in Großbritannien im Sommer 2005 gesehen, als dort scheinbar integrierte Personen diese schweren Anschläge auf Busse und Bahnen verübt haben.

Aber in Großbritannien lebt doch eine sehr große pakistanische Minorität, die es dagegen in Deutschland nicht gibt. Die hier lebende türkische Minderheit hat auch ganz andere Bezüge und Motive. Kann man das wirklich miteinander vergleichen?

Fromm: Nein, generell gesehen sicherlich nicht. Aber es reichen wenige Leute, um einen schweren Anschlag zu verüben. Das Beispiel der Kofferbomben vom vergangenen Sommer zeigt das deutlich. Es kommt also nicht entscheidend darauf an, wie sich die Minderheiten von ihrer Herkunft zusammensetzen. Aber Sie haben natürlich insofern Recht, als das Potenzial in Großbritannien offensichtlich deutlich größer ist als bei uns.

Einige der Motive und Ursachen liegen auch in der fehlenden und mangelnden bzw. mangelnd empfundenen Integration in Deutschland sowie in der Benachteiligung durch die Mehrheitsgesellschaft. Was tragen Sie dazu bei, um diesbezüglich klare Verhältnisse zu schaffen, um eben nicht "Islamismus" mit "Islam" gleichzusetzen und um diese Dinge nicht immer verwischen zu lassen?

Fromm: Soweit wir die Gelegenheit haben, tun wir alles, um zu erläutern, dass es hier nicht um Religion und Religionsausübung geht, sondern dass es um politische Aktivitäten geht, mit denen eine bestimmte Zielsetzung verfolgt wird und die die Religion – in diesem Fall den Islam – für extremistische Zwecke missbrauchen.

Das versuchen wir in unseren Publikationen deutlich zu machen – in unseren Berichten, die auch im Internet verfügbar sind. Wir versuchen das auch bei öffentlichen Veranstaltungen zu tun. Diese Aufklärungsbemühungen sind jedoch nicht so ganz einfach, und die Bereitschaft, sich mit diesen manchmal etwas komplizierten Fragen zu befassen, ist nicht sehr ausgeprägt.

Wie kooperativ ist denn die muslimische Seite, die sich ja hier sehr gemischt präsentiert, also nicht einheitlich als eine Organisation in Erscheinung tritt?

Fromm: Ich würde mir wünschen, dass es etwas mehr Vertrauen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland gibt – eine Gemeinschaft, die ja nicht homogen ist. Es gibt viele verschiedene religiöse Gruppierungen, die ganz unterschiedlich agieren. Das ist selbstverständlich auch nicht zu beanstanden.

Aber generell kann man sagen, dass die Bereitschaft, den Sicherheitsbehörden, der Polizei oder auch dem Verfassungsschutz Hinweise zu geben, nicht sehr ausgeprägt ist.

Wir bemühen uns – gemeinsam mit der Polizei – hier mehr Vertrauen zu schaffen. Wir haben begonnen, mit zwei muslimischen Verbänden, der DITIB und dem Zentralrat der Muslime, zu sprechen, und es konnte auch schon einiges umgesetzt werden.

Dass heißt, es gibt den Versuch, in ganz Deutschland ein Netz von Kontaktpersonen, Vertrauenspersonen in den muslimische Gemeinden einerseits und bei den Sicherheitsbehörden andererseits zu schaffen, um auf dem Wege gegenseitige Vorbehalte abbauen zu können und die Kommunikation zu verbessern.

Interview: Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE 2007

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