"Jedes Jahr wagen wir ein bisschen mehr"

Dank Regisseuren wie Haitham Hakki haben sich syrische Serien zum Publikumsliebling von Marrakesch bis Mekka entwickelt. Vor dem Erfolg der Produktionen wird selbst die Zensur des totalitären Staates weich. Von Gabriela M. Keller

Dank Regisseuren wie Haitham Hakki haben sich syrische Serien zum Publikumsliebling von Marrakesch bis Mekka entwickelt. Seit über 20 Jahren dreht der 58-Jährige TV-Dramen mit handwerklich hoher Qualität und politisch brisantem Inhalt. Vor dem Erfolg der Produktionen wird selbst die Zensur des totalitären Staates weich. Von Gabriela M. Keller

Haitham Hakki; Foto: Haitham Hakki
"Wir nennen politische Parteien nie beim Namen. So kommen wir durch die Zensur und die Zuschauer wissen trotzdem, was wir meinen", so Haitham Hakki.

​​Sie gelten als der Vater der syrischen TV-Dramen. Unter welchen Bedingungen haben Sie Ihre Karriere begonnen?

Haitham Hakki: Eigentlich bin ich Kinofilmregisseur. Doch als ich jung war, gab es in Syrien keine Filmproduktion. Also hat die Regierung einige junge Filmschaffende in die Sowjetunion geschickt. Dort sollten wir das Handwerk lernen. 1973 kam ich zurück. Mit einer Gruppe anderer Regisseure habe ich danach begonnen, in Syrien Filme zu drehen.

Nach kurzer Zeit haben Sie sich auf Fernsehserien konzentriert. Wie kam das?

Hakki: Alle Filme waren Regierungsproduktionen, die Möglichkeiten sehr begrenzt. Also kam uns der Gedanke, eine private Fernsehindustrie aufzubauen. Wir hatten aber nicht mal Kameras. Dem damaligen Informationsminister lag das Fernsehdrama am Herzen, daher ließ er uns Firmen gründen und mit der Ausstattung des Staatsfernsehens drehen. Dafür bekam Syrien das Erstausstrahlungsrecht. Die erste Serie, die in dieser Zusammenarbeit entstand, haben wir an 22 weitere Sender verkauft. Das war 1988. Zwei Jahre später konnten wir uns eigene Geräte kaufen.

Die Qualität der syrischen Produktionen übertrifft die anderer arabischer Länder um Längen. Womit hat ausgerechnet Syrien dieses Niveau erreicht?

Hakki: Unser Ziel war von Anfang an, Serien mit der Qualität von Kinofilmen zu machen. Also begannen wir, mit nur einer mobilen, statt mit drei fest installierten Kameras zu drehen, und zwar außerhalb der Studios, an realen Orten. Außerdem ließen wir die Schauspieler den syrischen Dialekt sprechen. Vorher lief alles auf Hocharabisch. Aber der Dialekt klingt viel natürlicher, die Serien wirken damit realistischer. Heute wirbt die ägyptische Fernsehindustrie Regisseure und Schauspieler aus Syrien ab, damit sie dort helfen, die Qualität zu verbessern.

Wie groß ist die wirtschaftliche Bedeutung der Fernsehserien?

Hakki: Die Fernsehserien sind heute nach dem Öl der größte Wirtschaftszweig in Syrien. Im gesamten Nahen Osten produziert nur Ägypten mit 3000 Stunden Serien im Jahr noch mehr als wir. Syrien kommt auf 1500 Stunden, das entspricht 50 TV-Dramen. Jedes hat 30 Folgen, damit es während des Ramadan gezeigt werden kann, also eine Folge an jedem Tag des Fastenmonats.

Die Serien laufen aber doch mittlerweile das ganze Jahr über.

Hakki: Es ist aber das Ziel jedes Produzenten, seine Serie während dieses Monats unterzubringen. Sie müssen ja sehen, wie sie die Produktionskosten wieder hereinbekommen; für eine Serie kommt man schnell auf eine Million Dollar. Und wegen der hohen Einschaltquoten zahlen die Sender für exklusive Ausstrahlungsrechte während des Ramadan bis zu zehn Mal mehr als sonst. Später werden die TV-Dramen dann zusätzlich mehrfach als Wiederholung verkauft.

Die Serien greifen politisch heikle Themen auf. Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind in Syrien aber generell sehr eng. Hatten Sie nie Probleme mit den Zensoren?

Die beiden syrischen Serienschauspieler Jumana Murad und Jamal Suleiman; Foto: Haitham Hakki
Die beiden syrischen Schauspieler Jumana Murad und Jamal Suleiman.

​​Hakki: Doch, wir hatten sehr große Schwierigkeiten. 1995 wollten wir mit den Dreharbeiten für die Serie "Khan al-Harir" beginnen. Sie spielt in den 50er Jahren, der Zeit des ägyptischen Präsidenten Jamal Abdel Nasser. Es geht um das Ende der politischen Union von Syrien und Ägypten, und damit auch um die Ideologie des Pan-Arabismus, auf die sich das syrische Regime bis heute stützt. Der Stoff war also historisch, aber gleichzeitig hochaktuell. Zwei Jahre lang mussten wir mit den Zensoren diskutieren, ehe sie die Serie genehmigt haben.

Können Sie beschreiben, wie die Genehmigungsverfahren ablaufen?

Hakki: Bevor ich mit den Dreharbeiten beginne, gebe ich das Drehbuch ans Syrische Komitee für Kino und Fernsehen. Die reichen es ans Staatsfernsehen weiter. Dort wird dann entschieden, ob der Stoff gedreht und in Syrien ausgestrahlt werden darf. Wenn die Produktion fertig ist, überprüfen die Beamten das Ergebnis noch einmal.

Gibt es Themen, die Sie von vornherein vermeiden, weil Sie die Zensur im Kopf haben?

Hakki: Es gibt ein paar Grundregeln. Zum Beispiel nennen wir politische Parteien nie beim Namen. Die regierende Baath-Partei nennen wir "die Nationalisten", die Kommunisten "die Roten". So kommen wir durch die Zensur und die Zuschauer wissen trotzdem, was wir meinen. Und wir thematisieren niemals das Regime selbst. Politische Missstände können hingegen gezeigt werden, solange die Regierung die Verbrechen am Ende bestraft.

Können Sie ein Beispiel schildern, wie Sie solche Missstände behandeln?

Hakki: Meine Serie "Erinnerungen an die Zukunft" zum Beispiel handelt vom Leben zweier Generationen. Die erste Generation versäumt es, Reformen anzugehen. Daher verändert sich das Land nicht und kann den Bedürfnissen der folgenden Generation nicht gerecht werden. Die jungen Leute arbeiten also hart, sogar im Verbrechen, doch es bringt sie nicht weiter. Und politisch können sie sich nicht engagieren, weil das verboten ist.

Das klingt fast nach einem Dokumentarfilm über Syriens aktuelle Probleme. Wie streng kontrollieren die Zensoren Ihre Arbeit überhaupt noch?

Hakki: Früher hatten wir große Probleme, doch die Zensur hat sich stark verändert, seitdem Präsident Baschar al Assad im Jahre 2000 an die Macht kam. Seither ist alles einfacher geworden.

Vergangenen Ramadan zum Beispiel gab es eine Serie, in der es um Korruption ging. Die Produktion hat auf einen realen Politiker angespielt, einen ehemaligen Premierminister, der sich vor ein paar Jahren nach einer Anklage wegen Korruption das Leben nahm. In anderen Fernsehdramen geht es um politische Gefangene oder um islamistischen Terrorismus. Es gab Mauern, aber die haben wir durchbrochen. Nun wagen wir jedes Jahr noch ein bisschen mehr.

Es bleibt verblüffend, dass das totalitäre Regime ausgerechnet Fernsehserien die Freiheit lässt, politische Probleme darzustellen. Wie erklären Sie sich das?

Hakki: Wir liefern Qualität, das wird respektiert. Hinzu kommt der wirtschaftliche Aspekt: Wir holen eine Menge ausländisches Kapital ins Land. Außerdem verbessern die Serien das Image unseres Landes. Selbst der Sender Future TV, eine Gründung des libanesischen Ex-Premiers Rafiq al Hariri, zeigt syrische Serien, obwohl der Libanon Syrien vorwirft, in die Ermordung Hariris verwickelt zu sein. Zusätzlich kurbeln wir auch den Tourismus an: Es gibt Leute, die reisen nach Syrien, um die Orte zu besuchen, die sie aus dem Fernsehen kennen.

Nun gibt es aber nicht nur die politische Zensur, sondern auch moralisch-religiöse Tabus. Trotzdem setzen sich die syrischen Serien mit Themen wie Aids oder Drogen auseinander. Wie vorsichtig müssen Sie mit solchen Inhalten umgehen?

Hakki: In Syrien ist die moralische Zensur weniger relevant. Die Golfstaaten sind sehr konservativ, doch von dort kommt das meiste Geld. Einige Sender zeigen keinen Körperkontakt zwischen Frauen und Männern. Nicht mal Söhne dürfen ihre Mütter umarmen, weil die Schauspieler in der Regel nicht verwandt sind. Und wenn ein Ehepaar allein in einem Raum ist, muss die Tür offen bleiben. Aber mittlerweile sind wir da selbstbewusster geworden. Wir drehen, wie wir es für angemessen halten, und überlassen es den Sendern herauszuschneiden, was sie stört.

Interview: Gabriela M. Keller

© Qantara.de 2007

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