"Zeit für Einigung über Menschenrechte"

Nach der Einigung im Atomstreit sollte sich der Westen künftig mehr der iranischen Zivilgesellschaft und der Einhaltung der Menschenrechte in der Islamischen Republik widmen, fordert Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi im Gespräch mit Shahram Ahadi und Mitra Shodjaie.

Von Shahram Ahadi & Mitra Shodjaie

Frau Ebadi, es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, wie die Atomeinigung mit dem Iran die Menschenrechtssituation dort beeinflussen wird. Manche erwarten eine positive Veränderung der Lage und eine gesellschaftliche Öffnung des Landes. Andere gehen davon aus, dass sich die Situation eher verschlechtern wird. Wie ist Ihre Einschätzung?

Shirin Ebadi: Ich glaube, dass sich die Menschenrechtslage insgesamt verbessern wird. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass mehr Informationen diesbezüglich an die Öffentlichkeit gelangen und auch dass die Menschenrechtler im Iran und außerhalb des Landes aktiver werden.

Durch die Aufhebung der Sanktionen wird sich die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung verbessern. Daher haben die Menschen nun mehr Zeit und Gelegenheit, sich mit Themen wie Menschenrechten und der Situation der politischen Gefangenen in ihrem Land zu befassen.

Welche Rolle können der Westen und die westlichen Medien bei diesem Prozess spielen?

Ebadi: Wenn westliche Regierungen mit dem Iran über wirtschaftliche Beziehungen verhandeln, können sie auch die Menschenrechtsproblematik ansprechen. Jedes Land setzt sich für die eigenen Interessen ein. Die Regierungen möchten aber auch die Wählerschaft auf ihrer Seite haben und ihre Zustimmung gewinnen.

Gemeinsame Pressekonferenz der Oppositionsführer Mir Hossein Mussawi (r.) und Mehdi Karrubi; Foto: www.sahamnews.org
Nicht eingelöste Versprechen: Nach Amtsantritt des neuen Präsidenten Hassan Rohani im August 2013 kamen zwar mehrere Dissidenten frei. Seine Zusagen, alle politischen Gefangenen freizulassen, konnte der Präsident aber bislang noch nicht umsetzen. Besonders die Anführer der "Grünen Reformbewegung", Mussawi und Karrubi, stehen seit über vier Jahren unter Hausarrest.

Wenn wir als Menschenrechtsaktivisten die öffentliche Meinungsbildung in westlichen Ländern mehr beeinflussen und sie mehr für das Thema Menschenrechte im Iran interessieren, kann das auch die Einstellung der Regierungen beeinflussen und sie dazu bewegen, solche Themen ernst zu nehmen.

Sie glauben nicht, dass der Westen aufgrund der erzielten Atomeinigung das Thema der Menschenrechte im Iran vernachlässigt?

Ebadi: Nein. Ich bin der Meinung, dass diese Einigung die Sensibilität des Westens bezüglich der Menschenrechtslage im Iran erhöht und den Weg dafür ebnet, entsprechende Gespräche zu diesem Thema zu führen. Das erfordert mehr Aufklärung und Informationsfluss. Und genau hierin liegt die Aufgabe der Menschenrechtler, die im Iran und außerhalb des Landes aktiv sind.

Seit der Zerschlagung der Proteste der "Grünen Bewegung" im Jahr 2009 stehen deren Anführer Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi noch immer unter Hausarrest. Der iranische Präsident Rohani hatte im Wahlkampf versprochen, die Menschenrechte im Land künftig zu verbessern. Könnte er dann nicht auch die Strafen gegen die beiden Oppositionsführer aussetzen?

Ebadi: Das hoffe ich. Nach der Einigung im Atomstreit waren die Straßen im Iran voller jubelnder Menschen. Es ist jetzt daher die Zeit auch für eine Einigung über Menschenrechtsfragen gekommen. Da der Atomstreit nun beigelegt ist, sollte sich der Westen künftig mehr der Zivilgesellschaft und der Einhaltung der Menschenrechte im Iran widmen.

© Deutsche Welle 2015 

Das Interview führten Shahram Ahadi & Mitra Shodjaie.

Dr. Shirin Ebadi wurde 1947 im iranischen Hamedan geboren. Sie studierte Rechtswissenschaften in Teheran und wurde 1969 erste weibliche Richterin im iranischen Justizministerium. 1971 promovierte sie im Privatrecht an der Universität Teheran und hatte zwischen 1975 und 1979 einen Senatsvorsitz im Teheraner Stadtgericht inne. 1994 war sie Mitbegründerin der Kinderrechtsorganisation "Society for Protecting the Child's Rights", die sich für eine verbesserte Gesetzgebung für Kinder stark macht. 2002 gründete Ebadi gemeinsam mit weiteren iranischen Juristen das "Zentrum für Menschenrechte", das sich für die Rechte von Minderheiten einsetzte. 2003 wurde ihr mutiger Einsatz für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt.