Verdrehte Realität

Die iranische Künstlerin Parastou Forouhar erinnert in Teheran jedes Jahr an die Ermordung ihrer Eltern durch das Regime. Jetzt steht sie selbst vor Gericht - wegen eines Kunstwerks. Mit ihr sprach Catrin Lorch.

Von Catrin Lorch

Frau Forouhar, Sie reisen jedes Jahr im Herbst nach Teheran, um an die Ermordung Ihrer Eltern zu erinnern. In diesem Jahr wurde Ihnen am Flughafen schon der Pass abgenommen. War das eine Überraschung?

Parastou Forouhar: Eigentlich war es fast zu erwarten, ich werde in diesem Jahr nämlich in Teheran vor Gericht gestellt. In der Vergangenheit gab es immer wenn ich einreiste einen Anhörungstermin. Meist beim Informationsministerium, manchmal auch bei anderen Organen, die ebenfalls zum Sicherheitssystem gehören. Dabei versuchte man dann, Einfluss auf mich zu nehmen - ich wurde bedroht, mit Behauptungen konfrontiert, ich würde Konterrevolution betreiben.

Das bezog sich bislang aber immer auf die Gedenkfeier für Ihre Eltern, die vor fast zwanzig Jahren ermordet wurden.

Forouhar: Ja. Meine Eltern waren die prominenten oppositionellen Politiker Dariush and Parvaneh Forouhar. Sie waren Dissidenten, säkulare Demokraten, die sich schon in der Schah-Zeit und auch später in der islamischen Republik für demokratische Strukturen eingesetzt haben. Sie wurden am 22. November 1998 von 18 Beamten des Informationsministeriums der Islamischen Republik überfallen und bestialisch ermordet.

Damals starben noch mehr Menschen: Zwei wunderbare Schriftsteller, zwei Aktivisten, ein Dichter wurde mit seinem Sohn ermordet. Diese Verbrechen wurden als "Kettenmorde" berühmt, die Öffentlichkeit fühlte sich zutiefst verletzt und bei der Beerdigung meiner Eltern waren Tausende, die BBC sprach von 25.000 Menschen. Der Trauermarsch wurde zum Protest für die Rechte Andersdenkender. Als Reaktion wurde von der damaligen, reformorientierten Regierung eine Untersuchungskommission eingesetzt, die die Morde sogar zugab.

Das Informationsministerium hat in einer offiziellen Mitteilung im Januar 1999 zugegeben, in die Mordreihe verwickelt zu sein. Doch es dauerte fast zwei Jahre, bis wir nach langem Kampf erreichten, dass dieser Erklärung auch ein Prozess folgte. Leider war es ein Schauprozess, bei dem nur die Handlanger als Bauernopfer verurteilt wurden. Die Befehlsgeber, die ideologischen Strukturen aber auch die Bürokratie, die hinter diesem Verbrechen standen, blieben im Dunkeln.

Parastou Forouhar's "Countdown" series, here on display in Vienna's Belvedere (source: parastou-forouhar.de)
Die Künstlerin Parastou Forouhar war in diesem November auf dem Weg nach Teheran, um dort an die Ermordung ihrer Eltern durch das Regime zu erinnern. Sie ist Repressalien gewohnt - allerdings droht ihr in diesem Jahr ein Gerichtsverfahren, seit ein Foto, das Kunstwerke aus ihrer Serie "Countdown" zeigt, auf Instagram und bei Facebook zirkuliert: ein knallbunter Sitzsack, auf dem ein religiöses Banner festgenäht ist. Eine Sammlerin hatte sich für ein Selfie darin fotografiert, ohne das Wissen der Künstlerin.

Und seither erinnern Sie in jedem Jahr an den Todestag? Wie sieht das aus?

Forouhar: Die Veranstaltung wird immer wieder verboten. Meist steht die Polizei dann vor meinem Elternhaus und hindert Besucher am Betreten, es gab sogar schon Blockaden. Und ich bin an diesem Tag immer im Haus und darf es nicht verlassen. Im vergangenen Jahr ist beispielsweise niemand durch die Sperren gelangt, ich war allein mit meinem Onkel und zwei Tanten, die schon am Vorabend gekommen waren.

Die Klage in diesem Jahr hat aber gar nichts mit der Trauerfeier zu tun, sondern mit Ihrer Kunst.

Forouhar: Ja, ich werde wegen zwei neuer Vorwürfe vor Gericht gestellt: Das Informationsministerium hat im vergangenen Jahr eine Klage gegen mich eingereicht. Es geht um eine Reihe von Arbeiten, in denen ich traditionelle Tücher - sogenannte Ashura-Banner - verwende. Diese religiösen Banner habe ich auf "Beanbags" appliziert. Die Form der Skulpturen ist von diesen Hippie-Sitzsäcken abgeleitet, "Countdown" aus dem Jahr 2008 ist sozusagen die visuelle Entsprechung von Bequemlichkeit.

Diese Skulpturen sind allerdings nie beanstandet worden, dabei habe ich sie schon im Jahr ihrer Entstehung im Haus der Kulturen der Welt in Berlin gezeigt, später dann im Wiener Belvedere und weiteren Ausstellungsräumen und zuletzt in der Kunsthalle Lingen. Nichts ist passiert. Erst als eine Frau auf einem dieser Sitzsäcke fotografiert und die Selfies - ohne meine Kenntnis - dann auf Instagram und Facebook stellte, begann diese Hetzkampagne, die das Informationsministerium zum Anlass nahm, mich anzuzeigen.

Darf man sich denn auf Ihre Skulptur setzen?

Forouhar: Es geht bei meinen Arbeiten durchaus um Berührung, ich arbeite mit Bällen, Ballons, gemusterten Stofftüchern - es geht mir darum, den Alltag umzudrehen, ihn mit einer anderen Art der Wahrnehmung zu durchbrechen. Ich habe "Countdown" aber nicht als Nutzgegenstand oder als Möbel entworfen und bin auch nicht verantwortlich dafür, was andere Menschen oder Sammler mit meiner Kunst machen.

Schon bei meiner letzten Reise nach Iran hatte ich wegen dieser Fotos Termine bei der Staatsanwaltschaft, aber ich hatte gehofft, dass sich die Lage beruhigt hätte. Jetzt stehe ich am 25. November vor Gericht wegen "Beleidigung des Sakrosankten" und "Propaganda gegen das System", was übrigens ein schwer greifbarer Vorwurf ist, schließlich kann jede Kritik so ausgelegt werden.

Und wie wird Propaganda geahndet?

Forouhar: Auf beide meiner Anklagepunkte steht Haftstrafe. Die Mindeststrafe für Propaganda gegen das System ist ein Jahr Haft, das kann sich aber schnell erhöhen. Natürlich hoffe ich, dass die Verhandlung zu meinen Gunsten ausgeht, und es gibt auch die Möglichkeit der Revision. Gestern habe ich mit meiner Anwältin Akteneinsicht genommen - die Dreistigkeit der Gegenseite geht wirklich über die Grenzen meines Verstandes.

Jetzt haben Sie es mit genau den Behörden zu tun, die hinter der Ermordung Ihrer Eltern stehen.

Forouhar: Das ist die verdrehte Realität. Dass ich drei Tage nach dem Jahrestag, an den ich erinnern wollte, jetzt selbst vor Gericht stehe. Ich weiß nicht, ob ich jetzt - wie geplant - weiter reisen kann, eigentlich müsste ich von hier aus nach Athen fahren, wo ich eingeladen bin zu einer Auftragsarbeit

Warum bleiben Sie dabei, nach Iran zu fahren. Sie leben und arbeiten doch schon seit Anfang der Neunzigerjahre in Deutschland?

Forouhar: Es ist das Land, in dem ich aufgewachsen bin. Ein Großteil meiner Kindheitserinnerungen, vieles das mich geformt hat, hat mit diesem Land zu tun. Ich arbeite als Künstlerin intensiv mit dem Thema Erinnerung. Außerdem fühle ich mich der mühseligen, alltäglichen Arbeit vieler Menschen hier verbunden, die sich um ein demokratischeres und besseres System bemühen. Ich bin Teil dieser Bewegung, die mit Beharrlichkeit und Ausdauer ihre Rechte zurückerobern will. Und es geht mir auch um die Erinnerungsarbeit wegen der Ermordung meiner Eltern; ihr Haus ist ein Erinnerungsort, das will ich aufrechterhalten. Und dieses Recht will ich mir von diesem System nicht nehmen lassen, das mir schon meine Eltern genommen hat.

Catrin Lorch

© Süddeutsche Zeitung 2017