Ringen um die Vormachtstellung am Golf

Die Beziehungen zwischen Iran und seinen arabischen Nachbarn erreichten nach der militärischen Intervention der arabischen Golfstaaten in Bahrain einen nie da gewesenen Tiefpunkt. Sollte es zu einer weiteren Eskalation kommen, würde dies vermutlich nicht bei diplomatischen Verstimmungen bleiben, warnt der libanesische Politologe Khattar Abou Diab im Interview mit Tarek Anegay.

Alle arabischen Golfstaaten verurteilten die "offenkundige und inakzeptable iranische Einmischung" in ihre inneren Angelegenheiten. Welche Folgen könnte diese Verurteilung für die Zukunft der Beziehungen der Golfstaaten zum Iran haben?

Khattar Abou Diab: Zum ersten Mal nimmt der Ton der Golfstaaten gegenüber dem Iran an Schärfe zu. Dies erfolgt nach den Unruhen in Bahrain und der Intervention einiger Golfstaaten im Rahmen des Sicherheitspakts des Golfkooperationsrats. Die Halbinsel-Schutzschild-Truppen ("Peninsula Shield Force") marschierten in den kleinen Inselstaat zur Unterstützung der Herrscherfamilie und gegen die Opposition ein, die angeblich stark vom Iran unterstützt wird.

Diese Eskalation wurde zudem dadurch verschärft, dass Kuwait ankündigte, einen iranischen Spionagering auf seinem Territorium zerschlagen zu haben, was zur gegenseitigen Ausweisung von Diplomaten führte. All diese Faktoren führten zu zusätzlichen Spannungen in der Region. Begleitet wurde dies durch Äußerungen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der Saudi-Arabien vor einer Weiterbesatzung Bahrains warnte. Diese Stufe der Eskalation am Golf haben wir nur in der Zeit des Iran-Irak-Kriegs erlebt.

Erwarten Sie noch weitere Eskalationen in dieser strategisch wichtigen Region?

Khattar Abou Diab: Iran versuchte, diese Eskalation, die mit einem Wortwechsel begann, aber dann zur Ausweisung von Diplomaten führte, durch diplomatische Gespräche zwischen den Außenministern zu begrenzen. Es scheint jedoch, dass sich die Golfstaaten vor der Zunahme des iranischen Einflusses fürchten. Mit anderen Worten: Das Ringen um die Gunst schiitischer Minderheiten in den Golfstaaten hat begonnen – mit Ausnahme von Bahrain, wo es eine schiitische Mehrheit gibt. Die Besorgnis der Golfstaaten besteht in erster Linie darin, dass die Loyalität dieser Minderheiten sich in Richtung Teherans verschieben könnte.

Khattar Abou Diab; Foto: Khattar Abou Diab
"Durch den Präventivplan in Bahrain und eine robuste Diplomatie verfolgen die Golfstaaten das Ziel, die roten Linien aufzuzeigen, die Iran nicht überschreiten darf", meint Khattar Abou Diab.

​​Ich glaube jedoch, dass diese Eskalation nicht im Interesse beider Seiten ist, insbesondere wenn sich Iran an die internationalen Verpflichtungen hält und auf den Revolutionsexport verzichtet. Die Politik des Revolutionsexports erzielte zwar deutliche Erfolge im Irak und im Libanon, stößt jedoch auf viele Hürden in der Golfregion, wo es die größten Ölreserven der Welt gibt und amerikanische Truppen stationiert sind. All diese Faktoren sind miteinander verflochten und beeinflussen sich gegenseitig.

Wie werden sich die Beziehungen zwischen Iran und den arabischen Golfstaaten entwickeln? Welche Szenarien erwarten Sie in naher Zukunft?

Khattar Abou Diab: Bislang stellten einige Golfstaaten eine Art Bindeglied zwischen Iran und den anderen Golfstaaten dar, insbesondere Kuwait, Katar und Oman. Oman durchlebt aber momentan selbst eine innere Krise; Katar, das jüngst als neue Regionalmacht im arabischen Raum auftritt, distanziert sich zunehmend von Teheran, während Kuwaits Beziehung zu Teheran kurz vor einem Tiefpunkt stehen. Das bedeutet, dass sich die Lage insgesamt deutlich zugespitzt hat.

Kann es Ihrer Ansicht nach zu einem Abbruch der Beziehungen zwischen den Golfstaaten und Iran kommen? Und wie wird so eine Entwicklung die Region prägen?

Khattar Abou Diab: Eine wichtige Rolle in den Beziehungen zwischen den Golfstaaten und Iran spielen zweifelsohne auch innenpolitische Probleme, die vom politischen Kontext der Region nicht zu trennen sind. Aber ich glaube, beide Akteure haben zurzeit kein Interesse an einer direkten Konfrontation. Vielmehr versucht jeder Akteur, dem anderen die rote Linien zu zeigen, die nicht überschritten werden soll: Der Iran versucht dadurch, die arabischen Golfstaaten davor zu warnen, die USA bei einem möglichen Angriff gegen ihn zu unterstützen. Dazu will Iran auch vor Augen führen, dass es Druckmittel innerhalb der Golfstaaten selbst besitzt.

Könnten die Golfstaaten in Bahrain eingreifen, ohne in eine Krise mit Iran zu geraten?

Der iranische Präsident Ahmadinedschad (rechts) mit dem saudischen König Abdullah (Mitte) und dem omanischen König Qabus (links)  beim Golfkooperationsrats in Doha 2007; Foto: AP
"Das Ringen um die Gunst schiitischer Minderheiten in den Golfstaaten hat begonnen – mit Ausnahme von Bahrain, wo es eine schiitische Mehrheit gibt. Die Besorgnis der Golfstaaten besteht in erster Linie darin, dass die Loyalität dieser Minderheiten sich in Richtung Teherans verschieben könnte", meint Khattar Abou Diab.

​​Khattar Abou Diab: Wenn keine Feindschaft zur Islamischen Republik bestünde, würden die Golfstaaten nicht nach dem sogenannten Präventivplan zum Schutz der Herrscherfamilie in Bahrain greifen. Dieser Schritt ist sehr bedeutend, weil ihn die Golfstaaten ohne internationale oder amerikanische Zustimmung durchgeführt haben. Es ist wohl die wichtigste Maßnahme, die sie in ihrer Geschichte seit der Unabhängigkeit von Großbritannien in den 1970er Jahren ergreifen. Ich bin der Meinung, dass die arabischen Staaten am Golf jetzt mehr Selbstvertrauen haben, sich den iranischen Plänen in der Region entgegenzustellen. Wie Sie wissen, kam es in der Vergangenheit zu einer Krise mit Iran wegen der Inseln der Vereinigten Arabischen Emirate, die der Iran besetzt hatte.

Bislang haben die Golfstaaten alle diplomatischen Möglichkeiten ausgeschöpft, um jegliche Eskalation mit Iran zu vermeiden. Durch den Präventivplan in Bahrain und eine robuste Diplomatie verfolgen die Golfstaaten das Ziel, die roten Linien aufzuzeigen, die Iran nicht überschreiten darf.

Die ganze Situation hängt letztlich vom Verhalten Teherans ab und auch davon, wie die iranische Führung diese Entwicklung begreifen wird. Sollte es zu einer weiteren Eskalation kommen, würde dies vermutlich nicht bei diplomatischen Verstimmungen bleiben.

Interview: Tarek Anegay

© Qantara.de 2011

Übersetzung aus dem Arabischen: Emad M. Ghanim und Loay Mudhoon

Khattar Abou Diab ist politischer Berater und Professor für Politikwissenschaften an der Sorbonne (Paris III). Als Nahost- und Islam-Experte veröffentlicht er regelmäßig in den Fachzeitschriften "Cahiers de l'Orient" und "Arabies". Abou Diab ist Ko-Autor von "The Worldwide Dictionary of Radical Islam" unter der Leitung von Antoine Sfeir.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de