Gegen die Politisierung der muslimischen Identität

Der libanesisch-britische Satiriker Karl Sharro, auch unter seinem Alter Ego "Karl reMarks" bekannt, ist ein aufstrebender Star der Online-Comedy. Jetzt hat er sein erstes Buch veröffentlicht: "And Then God Created the Middle East and Said 'Let There be Breaking News'". Mit ihm sprach Susannah Tarbush

Von Susannah Tarbush

Herr Sharro, woher stammt die Idee für Ihr neues Buch?

Karl Sharro: Seit Jahren denke ich schon daran, ein Buch zu schreiben, und auch viele andere Leute meinten, ich sollte dies tun. Besonders erwähnen möchte ich dabei Marcia Lynx Qualey von ArabLit, die von der Idee sehr begeistert war. Es begann mit einem Witz von mir, dass ich nach Jahren auf Twitter genauso gut ein Buch hätte schreiben können, und dann wurde mir klar, dass ich dies auf gewisse Art schon getan habe. Inhalte auf Twitter können irgendwann gelöscht werden. Also wollte ich die Tweets in einem Buch zusammenfassen, um ihnen eine dauerhafte Heimat zu geben. Nachdem ich im letzten Jahr am Nahostzentrum der "London School of Economics" (LSE) einen Vortrag gehalten hatte, kam der Verlag Saqi Books auf mich zu. Sie schlugen mit ein Buch vor, und das war der Anstoß, den ich brauchte, um endlich damit anzufangen.

Seit 2009 haben Sie über 90.000 Tweets geschrieben. War es schwer auszuwählen, welche Sie davon für die zehn Abschnitte des Buches verwenden wollten?

Sharro: Über die Jahre hinweg habe ich viele Vorträge gehalten, für die ich auch meine Tweets verwendet habe. Also führte ich über diejenigen, die ich mochte, eine fortlaufende Liste. Das waren nicht besonders viele. Und als ich dann letztes Jahr in Edinburgh beim Fringe Festival mit Stand-Up-Comedy auftrat, ging ich meine Tweets durch, um mein Programm vorzubereiten – und das hat mir wiederum für mein Buch geholfen. Zu der Zeit hatte ich die Tweets bereits thematisch geordnet, was es leichter machte, einige von ihnen für mein Buch auszuwählen, obwohl Saqi Books und ich immer noch ein paar Meinungsverschiedenheiten hatten – bei denen ich mich, so muss ich gestehen, nicht immer durchsetzen konnte.

Dr. Zahera Harb, eine langjährige Dozentin bei "International Journalism at City" der Londoner Universität, hat Sie bei der Buchvorstellung interviewt. Sie sagte, etwas, für das sie Stunden braucht, um es ihren Studenten zu erklären, könnten Sie in 140 Zeichen sagen. Es scheint so, als werde sie das Buch auf die Literaturlisten ihrer Studenten setzen. Sie haben ihr zwar gesagt, Ihr Buch sei nicht "pädagogisch" gedacht, aber hoffen Sie trotzdem auf Leser im akademischen Bereich?

Buchcover Karl Sharro: "And Then God Created the Middle East and Said ʹLet There be Breaking Newsʹ"; Quelle: Saqi Books
Karl Sharro: "Mein Ziel ist es, dass sich die Menschen nicht auf Fragen der Identität beschränken, sondern hiervon wegkommen. Für mich bedeutet das auch, mich von der Politisierung der muslimischen Identität, die ich für eine kontraproduktive Entwicklung halte, fernzuhalten."

Sharro: Sollte es mein Buch tatsächlich auf die Literaturlisten der Universität schaffen, würde ich mich sehr freuen. Ich weiß, dass einige Professoren meinen Blog und meine Tweets schon in ihren Lehrplan aufgenommen haben, also könnte es den Studenten über solche Listen leichter fallen, sie zu finden. Besonders schmeichelhaft wäre es für mich, wenn Zahera Harb dies tun würde.

Sie haben oft die Art aufs Korn genommen, wie die westlichen Journalisten und Experten über den Nahen Osten berichten. Wird diese Berichterstattung eigentlich besser?

Sharro: Heute mache ich mir mehr Sorgen darüber, wie die westlichen Journalisten über den Westen selbst berichten! Im Jahr 2016 habe ich getwittert: "Der Vorteil der US-Wahlen ist, dass man jetzt BBC-Reporter hört, die mit Amerikanern im selben herablassenden Tonfall reden, den sie sonst im Nahen Osten verwenden".

In diesem Witz steckt ein Funken Wahrheit. Die vereinfachende Berichterstattung, die mir einst beim Thema Nahostkonflikt aufgefallen ist, sehe ich heute über den Brexit und über Trump. Andererseits könnte es auch einfach an mir und meinem Versuch liegen, mein Material auf neue Bereiche auszuweiten.

Aber mal ernsthaft: Ich habe immer versucht, klar zu sagen, dass sich meine Kritik nicht gegen den gesamten westlichen Journalismus richtet, sondern nur gegen bestimmte Journalisten und Artikel. Ich glaube, insbesondere in den letzten paar Jahren, seit dem Beginn des Arabischen Frühlings, gibt es eine neue Generation von Korrespondenten und Journalisten, die einen sehr guten Job machen. Sie sprechen die Sprache des Landes und sorgen für mehr Tiefgang.

Nicht immer wird ihnen die Möglichkeit gegeben zu berichten, aber das Niveau wird besser. Ich habe allerdings das Glück, dass es immer noch genug klischeehafte, orientalistische Berichterstattung gibt, über die ich mich lustig machen kann.

Das "okzidentalistische" Thema einiger Ihrer Tweets – eine Art umgekehrte Spiegelung des orientalistischen Ansatzes – ist eine reiche Quelle für Humor. Als Sie in ihrem LSE-Vortrag sagten, sie hätten genug vom okzidentalistischen Humor, war das scherzhaft gemeint?

Sharro: Damit meinte ich in erster Linie eine bestimmte Richtung dieses Humors, die faul und bequem ist. Auf Twitter ist es zu einer Gewohnheit geworden, dieses Format ohne jegliche Kreativität oder Innovation zu verwenden. Für mich ist dies weiterhin eine reiche Quelle für Satire. Eines Tages möchte ich das Genre gern durch eine Art Reiseshow über den Westen erweitern – mit einer okzidentalistischen Parodie der BBC-Serie "Civilisations", wenn Sie so wollen.

Meinen Freunden habe ich bereits improvisierte Versionen dieser Show gezeigt. Natürlich ist das Format an sich nicht gut oder schlecht. Es hängt vom Stoff und von den Ideen ab.

Ihr Twitter-Wortwechsel mit dem libanesisch-amerikanischen Schriftsteller und Gelehrten Nassim Nicholas Taleb ist legendär. Wie erklären Sie diese Auseinandersetzung und Ihre Bemerkungen über „neo-assyrische Trolle“?

Sharro: Ich glaube, dies lag an unseren Meinungsverschiedenheiten über seine Theorie, die Menschen aus dem Libanon sprächen kein Arabisch, sondern einen aramäischen Dialekt. In diese Diskussion stieg ich mit ziemlich groben, satirischen Bemerkungen ein, bis ist die Sache zwischen uns schließlich eskalierte. Einige seiner Anhänger sind assyrische Nationalisten: Sie nehmen Anstoß an der Tatsache, dass sich ein Syrer wie ich gleichzeitig als Araber sieht.

Für mich ist das keine Frage von "entweder oder". Die Menschen der Levante haben sich seit Jahrhunderten vermischt – ethnische Identitäten überschneiden sich mit linguistischen Identitäten, und als Ergebnis erhalten wir weitere ethnische Facetten. Die neo-assyrischen Trolle, wie ich sie nenne, lehnen dies ab. Sie glauben vielmehr an eine spezielle assyrische Identität, die in direktem historischem Zusammenhang zu einer antiken assyrischen Identität steht – eine Theorie, die ich stark bezweifle.

Die Ereignisse der letzten Jahre – wie der Aufstieg des "Islamischen Staates", die vielen Opfer und die Unterdrückung der Christen – haben unvermeidlich zu einer Reaktion geführt. Und diese Reaktion könnte erklären, warum dieses Identitätsprojekt heute so in Mode gekommen ist. Aber ich glaube nicht, dass das die richtige Antwort auf diese Art von Barbarei ist. Ich will, dass sich die Menschen nicht auf eine solche Identität beschränken, sondern von ihr wegkommen. Für mich bedeutet das auch, mich von der Politisierung der muslimischen Identität, die ich für eine kontraproduktive Entwicklung halte, fernzuhalten.

Das Interview führte Susannah Tarbush.

© Qantara.de 2018

Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff