"Manche arabische Autoren vermitteln ein Zerrbild“

Der jordanische Literaturpreisträger Jalal Barjas, 2021
Der jordanische Literaturpreisträger Jalal Barjas, 2021

Der jordanische Schriftsteller Jalal Barjas hat mit seinem bisher nur auf Arabisch erschienenen Roman "Notizbücher des Buchhändlers“ den diesjährigen International Prize for Arabic Fiction gewonnen, den wichtigsten Literaturpreis in der arabischen Welt. Rim Najmi hat auf dem Internationalen Literaturfestival in Berlin mit ihm gesprochen.

Von Rim Najmi

Ihr Abend auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin wurde von so vielen Menschen besucht, dass Sie mehr Exemplare Ihres Romans "Notizbücher des Buchhändlers“ signieren sollten, als Sie dabei hatten. Wie kommen Sie als arabischer Schriftsteller beim deutschen Publikum an?

Jalal Barjas: Ich war sehr froh, mit den Lesern in Deutschland in Kontakt zu treten. Im Gespräch mit dem Publikum spürte ich eine Neugier auf arabische Literatur und den Wunsch, etwas über neue Ideen, andere Perspektiven und das Leben im Nahen Osten zu erfahren. Das brachte mich dazu, darüber nachzudenken, wie es generell mit den Übersetzungen aus dem Arabischen in andere Sprachen – auch ins Deutsche – bestellt ist. Ich wundere mich, warum so wenige arabische Werke übersetzt werden, wenn das Bedürfnis nach Bereicherung über die Grenzen der Kulturen hinaus so groß ist.

"Notizbücher des Buchhändlers“ soll demnächst ins Englische und von dort aus in weitere Sprachen übersetzt werden. Was halten Sie von den Übersetzungen arabischer Literatur in andere Sprachen? Neigen westliche Verlage tatsächlich zu arabischen Werken, die orientalistischen Stereotypen entsprechen oder die  "Tabus brechen" wollen?

BarjasEinige westliche Verlage haben durchaus eine orientalistische Sicht auf die arabische Literatur, wonach Araber als rückständig gelten und nicht auf der Höhe der menschlichen Zivilisation sind. Andere Verlage entscheiden nach kommerziellen Gesichtspunkten, welche arabische Literatur sie übersetzen – ganz gleich, ob das Material von den Lesern akzeptiert wird oder nicht. So wurden und werden einige arabische Schriftsteller regelmäßig übersetzt, obwohl sie nicht zu den besten zählen, die die arabische Welt zu bieten hat. Aber sie erfüllen schlicht die Erwartungen im Westen und das qualifiziert ihre Texte für die Übersetzung. Leider vermitteln einige arabische Schriftsteller ein Zerrbild ihrer Gesellschaften.

Jalal Barjas signiert sein preisgekröntes Buch "Notizbücher des Buchhändlers“ beim Internationalen Literaturfestival in Berlin im September 2021; Foto: Rim Najmi
Jalal Barjas signiert sein preisgekröntes Buch "Notizbücher des Buchhändlers“ beim Internationalen Literaturfestival in Berlin. "Der International Prize for Arabic Fiction hat das Interesse an arabischen Romanen geweckt,“ sagt er. "Die arabische Kulturszene erlebt einen wahren Aufschwung. Alle Schriftsteller träumen davon, dass ihre Bücher Beachtung finden. Insbesondere der sog. arabische Booker-Preis hat sich zu einem Ereignis entwickelt, das alljährlich mit Spannung erwartet wird.“



Doch es gibt auch Verlage, die nicht so arbeiten, vor allem seit Einführung des International Prize for Arabic Fiction, auch arabischer Booker-Preis genannt. Einige Romane wurden in eine Vielzahl von Sprachen übersetzt. Wir sollten uns fragen, was aus den Übersetzungen wird, die nach Verleihung des Preises angefertigt wurde. Und wir sollten uns fragen, ob die Übersetzung aus den richtigen Gründen beauftragt wurde, was den Vertrieb und die Werbung in der internationalen Leserschaft angeht. Denn letztlich wurden bereits viele arabische Romane übersetzt, die anschließend in der Versenkung verschwunden sind.

Nach der Veranstaltung auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin schrieben Sie auf Ihrer Facebook-Seite, dass dies eines der wichtigsten Erlebnisse in Ihrem literarischen Leben war. Warum?

Barjas: Das hat mehrere Gründe: Erstens die Ernsthaftigkeit, mit der kulturelle Fragen in Deutschland behandelt werden – so ganz ohne Formalitäten und Konventionen. Das Symposium hatte meine Erfahrungen als Romanautor zum Thema. Es war beispielhaft in Bezug auf die Vorbereitung und die Interaktion mit dem Publikum. Solche Symposien bauen Brücken zwischen Schriftstellern und Lesern, zwischen den Schriftstellern selbst und auch zu anderen Kulturschaffenden. Zudem hatte ich Gelegenheit, in Deutschland lebende arabische Schriftsteller zu treffen. Auch traf ich arabische Leser und Leserinnen. Daraus konnte ich viele der kulturellen Meilensteine erkennen, auf die sich das kulturelle Leben in Deutschland bezieht.

Buchcover Jalal Barjas "Notizhefte eines Buchhändlers", erschienen auf Arabisch
تروي "دفاتر الورّاق" قصة قارئ نهم مصاب بالفصام وينفِّذ سلسلة من الجرائم متخفّياً وراء أقنعة شخصيات روائيةز تقع أحداث "دفاتر الورّاق" في الأردن وموسكو خلال الفترة بين 1947 و2019، وتروي الرواية قصة إبراهيم، بائع الكتب والقارئ النهم، الذي يفقد كشكَه ويجد نفسه أسيرَ حياة التشرّد. وبعد إصابته بالفصام، يستدعي إبراهيم أبطالَ الروايات التي كان يحبها ليتخفّى وراء أقنعتهم وهو ينفِّذُ سلسلةً من عمليات السطو والسرقة والقتل، ويحاول الانتحار قبل أن يلتقي بالمرأة التي تغيّر مصيره.

Am Berliner Literaturfestival haben Sie als diesjähriger Gewinner des arabischen Booker-Preises teilgenommen. Dieser Preis und andere, wie der Katara Prize for Arabic Novel – den Sie schon einmal gewonnen haben –, stoßen bei einigen arabischen Schriftstellern auf Kritik. Manche sagen sogar, diese Preise und vor allem das "Geld vom Golf“ korrumpiere die arabische Literatur. Wie denken Sie darüber?

Barjas: Ich habe schon oft gesagt, dass die arabischen Literaturpreise und insbesondere der International Prize for Arabic Fiction einen Stein ins Wasser geworfen haben, der Kreise zieht. Das Interesse an arabischen Romanen wurde damit geweckt und die arabische Kulturszene erlebt einen wahren Aufschwung. Alle Schriftsteller träumen davon, dass ihre Bücher Beachtung finden. Insbesondere der International Prize for Arabic Fiction hat sich zu einem Ereignis entwickelt, das alljährlich mit Spannung erwartet wird.

Wegen der "Notizbücher des Buchhändlers“ hätten Sie fast Ihr Leben verloren. Wie kam es dazu?

Barjas: Ich wollte mich ganz in die Romanfigur und ihre Welt hineinversetzen. So gehe ich manchmal vor, wenn ich schreibe. Eines Tages überquerte ich eine Straße so, als sei ich Ibrahim der Buchhändler, der übrigens an Schizophrenie leidet. Infolge dieses riskanten Unterfangens wurde ich von einem Auto angefahren. Der Unfall eröffnete mir allerdings auch einen neuen Horizont im Roman.

Diese Identifikation mit Ihren Figuren während des Schreibens verleiht Ihren Romanen eine Ehrlichkeit, die für uns Leser spürbar ist. Doch wie befreien Sie sich aus diesem Zustand der Verinnerlichung?

Barjas: Wenn man jahrelang das Leben einer Romanfigur lebt, um wirklich authentisch schreiben zu können, ist das mit großen psychologischen Anstrengungen verbunden. Es ist eine Übung für sich, wieder aus diesem Zustand herauszufinden. Letztlich gelingt mir das nur dadurch, dass ich dann über eine andere Figur mit anderen Eigenschaften schreibe. Zudem muss ich mich vom Schreibprozess distanzieren und mich wieder dem täglichen Leben zuwenden.

Sie blicken optimistisch auf den Literaturmarkt in der arabischen Welt. Das steht im Kontrast zu den Statistiken und zur vorherrschenden Meinung, dass "Araber nicht lesen“. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?



Barjas: Internationale Institute, die das Verhalten der Leserschaft messen, veröffentlichen alljährlich Statistiken. Die Zahlen bezeugen meist, dass das Lesen in der arabischen Welt rückläufig ist oder gar nicht mehr existiert. Mich überzeugen diese Zahlen jedoch nicht mehr, zumal ich als Schriftsteller mit arabischen Lesern in Verbindung stehe, und zwar ständig. Ich stelle fest, dass die Lust am Lesen in der arabischen Welt deutlich zunimmt, auch durch die Verbreitung von Leseclubs, Lesekampagnen und den damit verbundenen Kulturveranstaltungen. Gewiss erreicht das Lesen in der arabischen Welt noch nicht den Stellenwert wie im Westen, aber wir sehen ein vielversprechendes Wachstum.

Interview von Rim Najmi

© Qantara.de 2021

 

Aus dem Englischen übersetzt von Peter Lammers