Am Tiefpunkt

Chen Alon ist nicht nur Theaterregisseur, sondern auch Mitbegründer der Nichtregierungsorganisation Combatants for Peace. Gleichzeitig unterrichtet er an Universitäten in Tel Aviv und Akko. Im Interview mit Fabian Ebeling spricht er darüber, wie die derzeitige israelische Politik die Arbeit von Kulturschaffenden und linken Organisationen beeinträchtigt.

Von Fabian Ebeling

Herr Alon, vor kurzem ist der israelische Verteidigungsminister Mosche Jaalon zurückgetreten, weil seiner Ansicht nach Extremisten in der Regierung das Ruder übernommen haben. Wie schätzen Sie das derzeitige politische Klima in Israel ein?

Chen Alon: Die Antwort ist ziemlich traurig und frustrierend. Der Diskurs in Israel, sei es an den Universitäten, in der Kunst oder den Medien, ist sehr weit nach rechts gerückt. Ich kann Ihnen ein Beispiel dafür geben: Jüdische Siedlungen im Westjordanland waren einst bei Kulturschaffenden heftig umstritten, weil sie als ein Hindernis für den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern galten. Heute treten jedoch alle Ensemble-Theater dort auf.

Früher wurde noch darüber gestritten, ob das in Ordnung ist. Viele Künstler, Journalisten und andere Kulturschaffende, die die Siedlungen vor zehn Jahren noch kritisierten, haben ihre Ansicht vollkommen geändert.

Es gibt ein Sprichwort von Bertold Brecht über die Schwierigkeit, die Wahrheit zu sagen: Die Wahrheit stirbt zuerst, wenn es gefährlich wird oder man einen Preis für sie zahlen muss. Heute haben wir in Israel in Sachen Meinungsfreiheit den Tiefpunkt erreicht.

Inwiefern betrifft Sie das als Theaterregisseur und Mitbegründer von Combatants for Peace?

Alon: Organisationen wie unsere erhalten keinerlei Unterstützung vom Staat. 2015 warb Justizministerin Ajelet Shaked für ein Gesetz, wonach Mitglieder linker Organisationen beim Besuch des Parlaments ein Abzeichen tragen sollten, damit man weiß, wer sie sind. So sollte es den Abgeordneten möglich sein, Lobbyisten zu erkennen, die die Interessen ausländischer Staaten vertreten.

Müssten dann nicht auch jene Lobbyisten Abzeichen tragen, die den Siedlungsbau im Westjordanland unterstützen?

Alon: Shakeds Antwort auf diese Frage war, dass hauptsächlich jüdische Persönlichkeiten im Ausland Geld für Siedlungen spenden und weniger Regierungen ausländischer Staaten. Angeblich würden nur linke Organisationen vom Ausland finanziert, das damit seine eigenen Interessen vertritt. Für Shaked ist es unerträglich, dass sich ausländische Mächte in unsere Demokratie einmischen.

Diese Haltung spüre ich andauernd. Die Regierung wirbt ständig für solche undemokratischen und rassistischen Gesetze. Es ist sehr traurig zu sehen, wie folgsam die Künstler und die sogenannte Elite sind. Nur, weil sie Angst haben, ihre Arbeit nicht fortsetzen zu können.

Sie unterrichten Theater in Tel Aviv, aber auch im Norden, am Western Galilee College in Akko. Spüren Sie auch an der Universität diesen Druck zur Konformität?

Alon: An der Universität ist dieser Druck weniger offensichtlich, nur deswegen bin ich noch hier. Würde ich zum Beispiel an einem öffentlichen Theater arbeiten, das dem Kulturministerium von Miri Regev untersteht, würde ich mit meiner Haltung und meinen Methoden niemals überleben.

Ich arbeite noch an der Universität, weil man hier eher in der Lage ist, seine Autonomie zu bewahren als woanders. Hier genieße ich einigermaßen Schutz, aber wirklich sicher kann ich mich hier mit meinen Ansichten auch nicht fühlen.

Hinter all diesen Problemen steht der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Sie bringen mit Combatants for Peace beide Seiten zusammen. In letzter Zeit hat sich die Situation durch Angriffe auf Israelis und die Reaktion der israelischen Sicherheitskräfte verschärft. Wie wirken sich die aktuellen Konflikte auf die Arbeit mit Ihren Studenten aus?

Alon: Das ist eine gute und gleichzeitig schwierige Frage. In Tel Aviv besucht nur ein einziger arabischer Student eines meiner Seminare. Am Western Galilee College in Akko ist das vollkommen anders. Akko gehört zu den größten israelischen Städten mit gemischter Bevölkerung. In den Bachelorstudiengängen machen Israelis und Palästinenser jeweils fünfzig Prozent aus. Die Antwort auf Ihre Frage hängt also vom Kontext ab.

In Akko geht es im Seminar ständig um den Konflikt. So sehr, dass ich manchmal einschreiten muss. Dann sage ich: „Ihr dürft jetzt nicht mehr darüber sprechen! Lasst uns unseren eigenen Turm zu Babel bauen und Theater machen!“

Die meisten Israelis in Akko haben einen eher rechten Hintergrund. Wenn sich beide Seiten in einen Wettbewerb darüber begeben, wer mehr Opfer bringen musste oder wer mehr gelitten hat, dann schafft das viele Konflikte. Tel Aviv ist homogener, jüdisch-israelisch orientiert, außer Jaffa natürlich. Vor allem für Ausländer sind die Nuancen in diesem Konflikt schwer auszumachen.

Combatants for Peace wurde von ehemaligen israelischen Soldaten und palästinensischen Kämpfern gegründet. Sie versuchen, die gegenseitigen Hürden zu überwinden und zu einer Normalisierung beizutragen. Können Sie beschreiben, was das für Ihre Arbeit bedeutet?

Alon: Ein palästinensischer Mitbegründer der Combatants for Peace sagte einmal: „Erinnert euch immer daran, dass unser Ziel eine Normalisierung des Lebens ist. Es ist unsere Vision, dass Menschen ein normales Leben führen können.“ Dazu folgen wir den Bedürfnissen unserer palästinensischen Mitglieder.

Wenn wir gemeinsam an einem israelischen Checkpoint Theater machen und die Palästinenser das als ein legitimes Werkzeug für den gewaltlosen Widerstand gegen die Besatzung des Westjordanlandes verstehen, dann bedeutet das keine Akzeptanz der Besatzung.

Es geht immer darum, wie die Beteiligten selbst eine Situation definieren. Das größte Hindernis für uns ist, dass eine Normalisierung sehr dynamisch ist. Sie ist aber auch ein Produkt des stetigen Dialogs zwischen beiden Seiten.

Wenn wir uns versöhnen wollen, müssen wir den Schmerz des anderen verstehen, seine Kultur kennen. Anders geht es nicht.

Interview: Fabian Ebeling

© Qantara.de 2016

Chen Alon ist Schauspieler, Theaterregisseur und Mitbegründer von Combatants for Peace, einer Organisation ehemaliger israelischer Soldaten und palästinensischer Kämpfer, die nach gewaltlosen Wegen zur Konfliktbewältigung suchen.